Wenn es um die Zulässigkeit von Werbeblockern geht, greifen Verlage wie Anbieter rechtlich tief in die Trickkiste. Das verwundert nicht. In Karlsruhe geht es am Donnerstag um ein gewichtiges Geschäftsmodell einer Branche im Umbruch.
Es ist das erste Verfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH), zu dem das Urteil vor laufenden Kameras verkündet werden wird. Der Bedeutung der Sache ist das angemessen. Ab 9 Uhr verhandelt der I. Zivilsenat über die Zulässigkeit von Adblockern. Und damit über das gesamte Geschäftsmodell der Internetwerbung. Mittelbar betrifft die Frage, über die in Karlsruhe debattiert wird, alle Internetnutzer, ob sie nun aktuell ihre Werbung blocken oder nicht.
In dem Rechtsstreit geht es um die Zulässigkeit des Internet-Werbeblockers "Adblock Plus" des Kölner Unternehmens Eyeo. Internetnutzer können die Software kostenfrei herunterladen. Sie verhindert, dass bestimmte Werbeinhalte auf Internetseiten angezeigt werden, indem sie mit Hilfe von Filterregeln Serverpfade und Dateimerkmale von Werbeanbietern identifiziert und blockt ("Blacklist"). Es besteht die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von den Filtern zu machen und in eine sog. Whitelist aufnehmen zu lassen. Standardmäßig ist das Programm so konfiguriert, dass es einige "nicht aufdringliche Werbung" zulässt, diese also dem Nutzer anzeigt, obwohl der einen Werbeblocker installiert hat. Kleinere und mittlere Unternehmen können für solche unaufdringliche Werbung kostenlos von der Sperre ausgenommen werden; von größeren Webseitenbetreibern und Werbenetzwerkanbietern verlangt Eyeo für die Aufnahme in die Whitelist eine Umsatzbeteiligung – und erhält sie auch, vor allem von großen US-Internetunternehmen.
Axel Springer hält das Programm für eine unlautere Behinderung des Wettbewerbs. Und damit ist der Verlag, der u.a. hinter Bild.de und welt.de steht, nicht allein. Auch Handelsblatt und Zeit Online sowie RTL und ProSiebenSat.1 gingen schon gegen ADBlockPlus vor. Die Gerichte entschieden bislang eher gegen die Verlage. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln aber untersagte Eyeo zwar nicht das grundsätzliche Modell Werbeblocker, aber doch das von ihr betriebene Whitelisting-Modell. Nun ist der BGH am Zug. Und man darf mit einer Grundsatzentscheidung rechnen.
Auf dem Spiel steht das Geschäftsmodell Internetwerbung
Für die Verlage, von denen viele ohnehin noch kein tragfähiges Geschäftsmodell für das Zeitalter der Digitalisierung gefunden haben, steht ein Geschäftsmodell auf dem Spiel, das sie eins zu eins vom Printgeschäft ins Internet transportierten – bis die Werbeblocker kamen. Die Verlage finanzieren ihre redaktionellen Angebote auch durch Werbung, also mit dem Entgelt, das sie von anderen Unternehmen für die Veröffentlichung von deren Anzeigen auf ihren Internetseiten erhalten. Sie argumentieren, dass Eyeo dieses Geschäftsmodell durch die Ausschaltung der Werbung gezielt und mit Schädigungsabsicht behindere.
Vor dem OLG Köln war Springer damit im Ergebnis erfolgreich. Die bezahlte Whitelist hielten die rheinländischen Richter für eine unzulässige aggressive Praktik im Sinne von § 4a Abs. 1 S. 1 des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG). Springer könne seine vertraglichen Rechte gegenüber seinen Werbekunden nicht ausüben und das Programm wirke durch die Kombination von Blacklist und Whitelist sowohl gegenüber dem Verlag als auch gegenüber dem Werbekunden als "Gatekeeper" – zu viel Macht für Eyeo.
Auch der I. Zivilsenat des BGH dürfte über diese Fragen mit dieser Zweiteilung verhandeln – vorgegeben durch den Haupt- und Hilfsantrag, den Springer nach den bisherigen Erfahrungen der Verlage mit der gerichtlichen Akzeptanz für Werbeblocker gestellt hat. Hilfsweise will der Mediengigant, sofern der Senat schon nicht das ganze Modell Adblocker kippt, dem Kölner Unternehmen zumindest das Whitelisting-Modell verbieten lassen ("einen Werbeblocker anzubieten, wenn und soweit Werbung nur nach von der Beklagten vorgegebenen Kriterien und gegen Zahlung eines Entgelts der Klägerin nicht unterdrückt wird").
Die Argumente der Verlage gegen Werbeblocker
Ioannis Katsivelas rechnet damit, dass der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung zu Werbeblockern im Fernsehen aus dem Jahr 2004 festhalten und diese auf Internet-Werbeblocker erweitern wird. So argumentierten auch die meisten Instanzgerichte, die wie das Landgericht Hamburg (zum Nachteil von Zeit Online und dem Handelsblatt) und das Landgericht München (gegen ProSiebenSAt.1 und RTL) Werbeblocker an sich für zulässig erachteten.
Katsivelas hält Werbeblocker für "ein wichtiges und zugleich legitimes technisches Hilfsmittel, mit dem Internetnutzer störende und teilweise auch datenschutzrechtlich bedenkliche Werbung unterdrücken können". Sie dienten der Wahrnehmung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Für wettbewerbswidrig hält der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Informations- und Kommunikationsrecht, Gesundheitsrecht und Rechtstheorie der Universität Hamburg, der sich mit dem Thema in mehreren Fachbeiträgen beschäftigt hat, sie nicht. Schließlich könnten die Nutzer autonom entscheiden, ob und inwieweit sie die Werbung auf Webseiten durch Adblocker blocken; und die Seitenbetreiber könnten stattdessen auch auf bezahlte Inhalte setzen oder Adblock-Nutzer von ihren Seiten ausschließen – so wie es bild.de schon seit längerem tut.
Die Verlage sehen das naturgemäß anders. Mit seinem Hauptantrag will Springer das Modell Werbeblocker an sich untersagen lassen. Natürlich geht es in der Sache um ihr Geschäftsmodell; um Wettbewerb und darum, ob Eyeo diesen rechtswidrig behindert. Argumentativ aber greifen beide Parteien längst tief in die Trickkiste. Springer, in den unteren Instanzen vertreten von Lubberger Lehment, argumentiert damit, dass durch den Werbeblocker der Inhalt der Website und die Werbung voneinander getrennt würden, was mit dem Abreißen von Plakatwerbung vergleichbar sei. Katsivelas überzeugt das nicht: "Die Blockierung erfolgt in der Regel nur durch Auslesen des Quellcodes - Adblocker greifen daher durch den bloßen Nichtaufruf einzelner Elemente nicht unmittelbar in die Gestaltung der Webseite ein", so der Wissenschaftler.
Springer argumentiert weiter mit einer Urheberrechtsverletzung durch Eyeo, die von CMS Hasche Sigle vertreten werden. Genauer sieht Springer das Unternehmen als Teilnehmer an einer urheberrechtswidrigen Verwertungshandlung der Internetnutzer. Die riefen, so der Verlag, die Internetseiten der Verlage ab, obwohl die mit dieser Nutzung unter Verwendung eines Werbeblockers nicht einverstanden seien. Katsivelas sieht darin – wie bislang auch die Instanzgerichte – aber keine Urheberrechtsverletzung, "solange die Webseitenbetreiber ihren Nutzern uneingeschränkt den Abruf ihrer Inhalte gestatten". Und auch eine kartellrechtswidrige marktbeherrschende Stellung konnten die Gerichte bislang nicht erkennen: Schließlich gebe es genug Leser, die gar keine Werbeblocker nutzten, so dass die Verlage die Werbung immer noch an genug User ausspielen könnten, argumentierte zum Beispiel das LG München.
Wettbewerbswidriges Whitelisting?
Man darf gespannt sein, ob es vor dem I. Senat um solche juristischen Nebenkriegsschauplätze gehen wird. Auf Seiten von Springer unterstützt nun BGH-Anwalt Prof Dr. Christian Rohnke von Rohnke Winter, die beklagte Eyeo-GmbH wird jetzt vertreten von der BGH-Kanzlei Engel und Rinkler. Ob die Karlsruher Richter ein grundsätzliches Verbot von Werbeblockern überhaupt in Erwägung ziehen, dürfte am Donnerstag recht schnell klarwerden.
Für den Medienrechtler Katsivelas wäre es eher überraschend, wenn der BGH ein solches vollständiges Vertriebsverbot anordnen würde. Dass auch der I. Senat das Whitelisting-Modell als aggressive geschäftliche Handlung einstufen wird, hält er dagegen für möglich.
Für richtig würde er ein Verbot des Whitelisting nicht halten. Und ist damit in prominenter Gesellschaft. Der Internet- und Medienrechtler Prof. Dr. Thomas Hoeren aus Münster hat in einem – im Auftrag der beklagten Eyeo erstellten - Gutachten vertreten, dass der Betreiber des Werbeblockers zwar erheblichen wirtschaftlichen Druck auf die Online-Werbebranche und die Betreiber von Webseiten ausübe. Dennoch müssten Letztere schließlich nicht unbedingt an der Whitelist teilnehmen, sondern diese Teilnahme wäre lediglich eine weitere Möglichkeit der Verbreitung von Werbung. Für Katsivelas spricht gegen eine aggressive geschäftliche Handlung auch, dass dem Nutzer schließlich freistehe, auch die Werbung von der Whitelist auszublenden.
Der BGH könnte Eyeo auch zwingen, auf ein anderes Whitelisting-Modell umzusteigen, vermutlich eines, das keinen finanziellen Unterschied zwischen kleinen und großen Webseitenbetreibern macht. Eine kostenloste Freischaltung unaufdringlicher Werbung auch für reichweitenstarke Webseiten zum Beispiel wäre laut Katsivelas "sicherlich zulässig", aber aus naheliegenden Gründen kein Geschäftsmodell für die Werbeblocker-Anbieter.
Für Katsivelas steht fest, dass, sollte der BGH Adblocker für zulässig befinden, "die Online-Werbebranche spätestens ab diesem Zeitpunkt gefragt wäre, sich mit den Content-Anbietern zusammenzusetzen und akzeptable Werbeformate zu entwickeln". Aus seiner Sicht könnte das den Beginn einer Neuausrichtung der Internetwerbung bedeuten. Bis es so weit ist, müssten die Verlage sich aus seiner Sicht allerdings technisch gegen die Blocker- Tools rüsten bzw. verstärkt auf Bezahlinhalte setzen. Vieles spricht dafür, dass die Verlage aus Karlsruhe einen weiteren Grund bekommen werden, ihr Finanzierungsmodell grundlegend zu überdenken und ihr Geschäft neu aufzustellen.
Pia Lorenz, BGH verhandelt über AdBlocker: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28141 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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