Werkvertrag vs. Immobilienkauf: Zwei BGH-Zivilsenate stritten sich über die Ersatzfähigkeit der sog. fiktiven Mängelbeseitigungskosten. Am Freitag ging der Disput nun zu Ende – und zwar wünschenswert praxisgerecht, findet Heiko Fuchs.
Für die Rechtsentwicklung wird es oftmals als nachteilig bewertet, wenn höchstrichterliche Grundsatzentscheidungen durch einen späten Vergleich in der Revisionsinstanz verhindert werden. Und so wird sich auch mancher Rechtsgelehrte ärgern, dass der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) den Streit mit dem VII. Senat über fiktiven Schadensersatz nicht für eine Vorlage an und damit eine Klärung durch den Großen Senat für Zivilsachen genutzt hat. Doch tatsächlich haben beide Senate durch ihre Entscheidungen eine weise Lösung gefunden, die trotz aller Unterschiede in der Behandlung von kauf- und werkvertraglichen Fragestellungen nicht zu einer Entfremdung beider Vertragstypen führen und zu praxisgerechten Lösungen führen wird.
Ein kurzer Rückblick: Mit Urteil vom 22. Februar 2018 (Az. VII ZR 46/17) hatte der für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen zuständige VII. Zivilsenat des BGH entschieden, dass es entgegen seiner jahrzehntelangen ständigen Rechtsprechung im Werkvertragsrecht nicht mehr zulässig sei, den Anspruch auf Schadensersatz wegen Mängeln am Bauwerk anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten ("fiktiven") Mängelbeseitigungskosten zu bemessen. Dies begründete er mit "Besonderheiten des Werkvertragsrechts", weshalb die Behandlung des Schadensersatzes bspw. im Kaufrecht insoweit nicht relevant sei.
Das sah der für Immobilienkaufverträge zuständige V. Zivilsenat allerdings anders. Er wollte an seiner mit der bisherigen Auffassung des Bausenats übereinstimmenden Rechtsprechung festhalten und fragte mit Beschluss vom 13. März 2020 (Az. V ZR 33/19) beim VII. Senat an, ob dieser an seiner gerade erst geänderten Rechtsprechung festhalte. Eine solche Vorlage ist eine notwendige Vorstufe zur Anrufung des Großen Zivilsenats, der aus der Präsidentin und den Vorsitzenden der Zivilsenate besteht. Der VII. Senat vertiefte daraufhin mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 (Az. VII ARZ 1/20) die Begründung seiner Rechtsprechungsänderung, an der er ausdrücklich festhielt. Gleichzeitig zeigte er dem V. Senat jedoch Wege auf, wie eine Lösung ohne Gesichtsverlust und ohne Klärung durch den Großen Senat aussehen könnte.
Kaufsenat begräbt nun das Kriegsbeil
Diesen Weg hat der V. Senat nunmehr beschritten und mit seinem Urteil vom Freitag (Urt. v. 12.03.2021, Az. V ZR 33/19) das Kriegsbeil begraben. Nach seiner Auffassung kann der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes weiterhin entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich sei, ob der Mangel auch tatsächlich beseitigt wird.
Die geänderte Rechtsprechung des VII. Senats zum Werkvertragsrecht lasse sich nämlich, so der Kaufsenat, auf die kaufrechtliche Sachmängelhaftung nicht übertragen. Insbesondere stehe dem Käufer - anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht - kein Vorschussanspruch zu. Es wäre daher nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsse.
Vorlage an Großen Senat kann unterbleiben
Eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen sei deswegen aber nicht mehr erforderlich, so der V. Senat, weil der VII. Zivilsenat die Begründung seiner Rechtsprechungsänderung im Hinblick auf die Verankerung im Werk- und Architektenvertragsrecht vertieft und ergänzt habe. Insbesondere hätten die angefragten Kollegen klargestellt, dass ein zweckgebundener und abzurechnender Vorfinanzierungsanspruch nicht aus dem allgemeinen Schadensersatzrecht hergeleitet werden könne. Die von dem VII. Zivilsenat vorgenommene Bemessung des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung sei angesichts der präzisierten und klarer konturierten werkvertraglichen Verankerung nicht auf andere Vertragstypen des besonderen Schuldrechts übertragbar.
Der Kaufsenat hält in der Folge die praktischen Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht beim Erwerb gebrauchter Immobilien im Regelfall gering. Denn bei Mängeln, mit denen der Immobilienkäufer nicht oder jedenfalls deutlich schlechter leben könne als mit der mangelfreien Immobilie, halte der Bausenat die Schätzung des mangelbedingten Minderwerts anhand der Mängelbeseitigungskosten weiterhin für zulässig. Infolgedessen müssten in solchen Fällen - jedenfalls im Ergebnis - die noch nicht angefallenen Mängelbeseitigungskosten unabhängig von der Rechtsnatur des Vertrags ersetzt werden.
Die Einordnung des Vertrags in das Kauf- oder in das Werkvertragsrecht wirkt sich nach Auffassung des V. Senats künftig vor allem in denjenigen Fällen aus, in denen die Mängelbeseitigungskosten den mangelbedingten Minderwert erheblich überschreiten. Gerade in solchen Fallkonstellationen gebe es für eine unterschiedliche Behandlung von Kauf- und Werkverträgen jedoch triftige Gründe, gerade was die Vorfinanzierungslast des Käufers angeht. Zudem wirke das Kaufrecht einer unangemessenen Überkompensation des Käufers durch die Begrenzung des Nacherfüllungsanspruchs entgegen. Sei nämlich die Nacherfüllung nach den Vorgaben des § 439 Abs. 4 Satz 2 BGB als unverhältnismäßig anzusehen, könne der Käufer als Schadensersatz nur den mangelbedingten Minderwert verlangen. Im Werkvertragsrecht gebe es für eine solche Begrenzung des Schadensersatzanspruchs keine Entsprechung.
Das endgültige Ende der schwäbischen Baufinanzierung
Damit haben beide Senate dem Meinungsstreit um fiktive Mängelbeseitigungskosten die Schärfe genommen. "Kaufverträge" über den Erwerb neu zu errichtender oder umzubauender Immobilien werden ohnehin hinsichtlich des Bauwerks nach Werkvertragsrecht behandelt (vgl. § 650u BGB).
Handelt es sich um die Veräußerung einer gebrauchten Immobilie und übernimmt der Verkäufer eine untergeordnete werkvertragliche Verpflichtung (bspw. das Streichen der Wände und Decken), kann diese je nach Ausgestaltung der Vereinbarung und nach ihrer Bedeutung für den Vertrag isoliert dem Werkvertragsrecht unterworfen oder, wie vom V. Senat im entschiedenen Fall angenommen, vom Kaufrecht mit umfasst werden. Dann ist es aber auch nicht zu beanstanden, wenn dem Käufer die Vorfinanzierungslast genommen wird, indem der im Kaufrecht fehlende Vorschussanspruch durch den Schadensersatz in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten kompensiert wird.
Im Werk- und damit insbesondere im Bau- und Architektenvertragsrecht wird es demgegenüber bei dem grundsätzlichen Verbot der fiktiven Schadensberechnung bleiben, was zu begrüßen ist. Die geänderte Rechtsprechung des VII. Senats stößt in der Praxis auf wenig Widerstand und löst zahlreiche dort typische Streitgestaltungen interessengerecht auf. Insbesondere bei Mängeln, die auf einer nicht erreichten vereinbarten Beschaffenheit beruhen, aber den Verkehrswert des Bauwerks unberührt lassen (bspw. der falsche Farbton der Fassade), wird das Recht des Unternehmers zur zweiten Andienung gestärkt.
Einen Mangel dulden und den Schaden liquidieren – die "schwäbische Baufinanzierung" bei Bau- und Architektenverträgen ist damit endgültig Geschichte.
Der Autor Prof. Dr. Heiko Fuchs ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
BGH legt Streit um fiktiven Schadensersatz bei: . In: Legal Tribune Online, 12.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44491 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag