Der BGH hat die Revisionen von Beate Zschäpe und zwei ihrer NSU-Helfer verworfen. Mit Spannung war vor allem erwartet worden, ob Zschäpes Verurteilung als Mittäterin in Karlsruhe Bestand haben würde. Das Gericht hatte daran keine Zweifel.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung von Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft als Mittäterin der NSU-Morde gebilligt und ihre Revision wie auch die zweier NSU-Unterstützer gegen das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 11. Juli 2018 verworfen (Beschl. v. 12.08.2021, Az. 3 StR 441/20). Auch die vom OLG München Zschäpe seinerzeit attestierte "besondere Schwere der Schuld" bleibt bestehen.
Eine geringfügige Änderung nahm der 3. Strafsenat lediglich beim Schuldspruch vor. Wegen zweier Morde am 4. und 6. April 2004 in Dortmund und Kassel erfolgt die Verurteilung nun "in Tateinheit" anstatt "in Tatmehrheit".
Diese Änderung bewirkt zwar den Wegfall einer vom OLG festgesetzten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe. Die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe bleibt davon jedoch unberührt (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Strafgesetzbuch).
Zehn NSU-Morde, mehrere Brandanschläge und Raubüberfälle
Fast 14 Jahre lebte Beate Zschäpe mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund. In dieser Zeit ermordeten die Männer acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin. 2011 nahmen sie sich das Leben, um der drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an, verschickte ein Bekennervideo und stellte sich.
Das OLG München verurteilte Zschäpe 2018 nach mehr als fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen wegen zehnfachen Mordes, mehrfach versuchten Mordes, Raubüberfalls sowie schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung als Mittäterin zu lebenslanger Haft – obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war.
Wegen der Vielzahl der verübten Taten stellte das OLG auch die besondere Schwere der Schuld fest. Ende April 2020 legt das Gericht auf 3.025 Seiten die Urteilsgründe vor. Darin kam es zu dem Schluss, dass Zschäpe "jeweils gemeinschaftlich und vorsätzlich handelnd in 10 Fällen einen Menschen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet" habe.
"Tatherrschaft und starkes Tatinteresse"
In den daraufhin eingelegten Revisionen hatte Zschäpes Verteidiger mit der Sachrüge vor allem kritisiert, dass ihre Mandantin zu Unrecht als Mittäterin verurteilt worden sei. "Das OLG hat im Fall von Frau Zschäpe geltendes Recht falsch angewendet, denn ohne einen einigermaßen gewichtigen Tatbeitrag geleistet zu haben, ist eine Verurteilung wegen Mittäterschaft auch auf Grundlage der bisherigen BGH-Rechtsprechung nicht möglich", hatte Zschäpe-Pflichtverteidiger Wolfgang Stahl kürzlich gegenüber LTO noch einmal bekräftigt. Bei sämtlichen der Angeklagten Zschäpe zugeschriebenen Beiträgen zu den eigentlichen Ausführungshandlungen handelte es sich um nicht einmal untergeordnete Beiträge zur konkreten Verwirklichung der jeweiligen Tatbestände, so Stahl.
Dieser Argumentation vermochte der BGH in seinem 31-seitigen Beschluss nun nicht zu folgen. Vielmehr beruhten die vom OLG getroffene Feststellungen, die Angeklagte sei an der Planung jedes einzelnen Mordanschlags und Raubüberfalls beteiligt gewesen, nicht nur auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung, sondern trügen auch die Verurteilung der Angeklagten als Mittäterin der von Böhnhardt und Mundlos ausgeführten Taten.
Dem Vorwurf der Verteidiger und einiger Stimmen aus der Strafrechtswissenschaft, die Annahme von Zschäpes Mittäterschaft widerspreche der bisherigen Rechtsprechung des BGH, widersprach der 3. Senat: Auf "Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs" sei der Senat zum Ergebnis gelangt, dass Zschäpe die Mordanschläge und Raubüberfälle gemeinschaftlich mit Böhnhardt und Mundlos begangen habe. Sie habe hierfür in ausreichendem Maße sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse besessen. Fazit des Senats: "Sie leistete gewichtige objektive Tatbeiträge und hatte ein starkes Tatinteresse".
Zschäpe, so das Gericht, habe schließlich "maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer Komplizen zur Tatbegehung" besessen. Sie habe sich während der Ausführung der Taten in oder in der Nähe der Wohnung aufgehalten und sei bereit gewesen, bestimmte, zugesagte Handlungen vorzunehmen, ohne die das Ziel der Taten nicht hätte erreicht werde konnte.
"Bestimmender Einfluss bei der Tatplanung"
Zschäpe habe vor jedem Mordanschlag und Raubüberfall zusammen mit Böhnhardt und Mundlos die Erkenntnisse aus den Ausspähmaßnahmen ausgewertet und zusammen mit ihnen die Entscheidung getroffen, die Tat in ihrer konkreten Gestalt zu begehen. Indem sie als gleichberechtigtes Mitglied der Vereinigung an der Tatplanung mitwirkt habe, habe sie bestimmenden Einfluss darauf genommen, ob, wann, wo und wie – ob mit Schusswaffe oder Sprengsatz - die Taten ausgeführt wurden.
Auch habe sie zugesichert, die tatbedingte Abwesenheit ihrer Komplizen zu legendieren. Zudem versprach sie - "wie seit der Gründung des NSU vorgesehen war" - zu einem bestimmten Zeitpunkt der Deliktserie das Bekennervideo in der aktuellen Version zu verbreiten und entsprechende Beweismittel zu vernichten.
Beides, so der BGH, habe bei jeder einzelnen Tat die Anwesenheit der Angeklagten in der als Zentrale genutzten Wohnung erfordert. "Ihre in jedem Einzelfall zugesagten Handlungen waren wesentlicher Bestandteil der Konzeption der gesamten Deliktserie", heißt es im BGH-Beschluss.
BGH: "Fernziel nationalsozialistisch-völkische Herrschaftsform in Deutschland"
Die von Zschäpe arbeitsteilig übernommenen Aufgaben waren laut Strafsenat entscheidend dafür, dass der von ihr, Böhnhardt und Mundlos erstrebte ideologische Zweck der Mordanschläge – und damit mittelbar auch der Raubüberfälle – realisierbar war. "Nach der Grundidee der im 'Untergrund' agierenden Vereinigung sollte die Öffentlichkeit zunächst nur den Seriencharakter der Mordanschläge erkennen, während beabsichtigt war, dass die tatverantwortliche Organisation und die Tatmotivation zunächst unentdeckt bleiben. Die nachfolgende Veröffentlichung eines gemeinschaftlich erstellten Bekennungsdokuments über diese Serientaten sollte eine gegenüber dem Bekenntnis zu einer Einzeltat deutlich größere destabilisierende Wirkung entfalten."
Auch Zschäpe, so der BGH, habe die Ansicht vertreten, "erst durch dieses Vorgehen könne eine Staats- und Gesellschaftsform Deutschlands entsprechend ihren nationalsozialistisch-rassistischen Vorstellungen herbeigeführt werden." Zschäpes Tatbeiträge bewertete das Gericht als maßgeblich für das Gelingen der NSU-Verbrechen: "Der Zweck der gesamten Deliktserie stand und fiel mit den von der Angeklagten zugesagten Handlungen. Sie übte daher eine wesentliche Funktion aus, von der das Gelingen des Gesamtvorhabens abhing."
Das "starke Tatinteresse" von Zschäpe begründete der BGH schließlich mit ihrer politisch-ideologischen Einstellung: Nach den Feststellungen des OLG habe sie in gleichem Maße wie Böhnhardt und Mundlos mit den Mordanschlägen auf Menschen südländischer Herkunft die betreffenden Opfergruppen einschüchtern wollen, um sie zur Auswanderung zu bewegen. Bei dem Anschlag auf die Polizisten in Heilbronn sei es ihr darauf angekommen, die Behörden als unfähig zur Verhinderung und Aufklärung von Taten zum Nachteil von Repräsentanten des Staates darzustellen. "Fernziel war jeweils, in Deutschland eine nationalsozialistisch-völkische Herrschaftsform zu errichten."
Zschäpe-Anwalt: "Heftige Kritik in Wissenschaft erwartet"
Unterdessen reagierte Zschäpe-Pflichtverteidiger Wolfgang Stahl gegenüber LTO mit Unverständnis auf den Beschluss des BGH: Die Entscheidung wirke sehr ergebnisorientiert. "Die Ausführungen, nach denen die Zusage der von Zschäpe vorzunehmenden Handlungen (Legendierungstätigkeit, Beweismittelvernichtung, Tatbekennung) wesentlich die Deliktsverwirklichung gefördert und auch insoweit – zusätzlich über die Beteiligung an der Tatplanung hinaus – einen hierfür bedeutenden objektiven Tatbeitrag erbracht haben soll, kann ich nicht zustimmen. All diese Frau Zschäpe zugeschriebenen Handlungen fördern und unterstützen das Organisationsdelikt, nicht aber die Tötungsdelikte und Raubüberfälle." Die Entscheidung werde auf heftige Kritik in der Wissenschaft stoßen, so Stahl.
Neben Zschäpe hatten auch die NSU-Helfer Ralf Wohlleben und Holger G. keinen Erfolg mit ihren Revisionen. Wohlleben war vom OLG München als Waffenbeschaffer zu zehn Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen verurteilt worden, G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft.
Erneut verhandelt wird dagegen der Fall des Mitangeklagten André E., der vom OLG wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. In seinem Fall hatte auch die Bundesanwaltschaft zu seinen Lasten Revision eingelegt, so dass eine mündliche Verhandlung nach der Strafprozessordnung zwingend ist. Über die vom GBA eingereichte Revision sowie über dessen eigene wird der 3. Strafsenat des BGH am 2. Dezember 2021 mündlich verhandeln. Als Termin zur Verkündung einer Entscheidung stellte das Gericht den 15. Dezember 2021 in Aussicht.
BGH bejaht Mittäterschaft von Beate Zschäpe: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45776 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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