Nach einer vielbeachteten Entscheidung des BGH soll der Verkauf von E-Zigaretten strafbar sein. Jakob Dalby hält das für falsch: Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich eindeutig das Gegenteil.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, v. 23.12.2015, Az. 2 StR 525/13), demzufolge der Handel mit Liquids für E-Zigaretten in den allermeisten Fällen strafbar ist, sorgte für reichlich Aufregung in der E-Zigaretten-Branche und in den Medien. Trotz der Einordnung als Leitsatzentscheidung hat der 2. Strafsenat bei seinen Erwägungen jedoch wichtige Teile der Gesetzesmaterialien unberücksichtigt gelassen – und effektiv das Gegenteil dessen entschieden, was dem deutschen Gesetzgeber vorgeschwebt hat.
Im Kern seines Urteils steht die Einordnung von nikotinhaltigen E-Liquids als Tabakerzeugnisse zum anderweitigen oralen Gebrauch i.S.d. § 3 Vorläufiges Tabakgesetz (VTabakG). Die Einstufung als Tabakerzeugnis kann man wohl noch mitgehen, da sich in den Liquids selbst zwar kein Tabak mehr findet, dieser aber bei ihrer Herstellung verwendet wird. Die Krux liegt in der angeblichen Verwendung "zum anderweitigen oralen Gebrauch". Klar ist insofern, dass E-Zigaretten nur Dampf erzeugen und deswegen keine Raucherzeugnisse sind. Auf die Idee des Kauens oder Schnupfens, die der § 3 ausdrücklich nennt, würde bei E-Zigaretten auch niemand kommen. Die Zigaretten werden vielmehr oral konsumiert, sprich in die Mundhöhle eingeführt und dann in die Lunge aufgenommen – insofern scheint die Subsumtion unter den oralen Gebrauch zunächst folgerichtig.
"Oraler Gebrauch" meint nicht "Dampfen"
Doch gerade das "Dampfen" einer E-Zigarette war mit dem "oralen Gebrauch" des § 3 VTabakG nicht gemeint. Die Vorschrift zielt vielmehr ausschließlich auf Lutschtabak wie etwa den traditionellen schwedischen "Snus" und ähnliche Produkte. Der BGH geht irrig davon aus, dass "weder nach dem Wortlaut des Gesetzes noch nach seinem Zweck ersichtlich (ist), dass ein anderweitiger oraler Gebrauch nur vorliegen soll, wenn Nikotin, wie bei Snustabak, ausschließlich über die Mundschleimhäute (…) aufgenommen wird." Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/6992 v. 08.03.1994) ergebe sich nicht, dass der anderweitige orale Gebrauch auf Lutschtabak beschränkt werden müsse.
Tatsächlich bezieht die erwähnte Gesetzesbegründung hierzu nicht Stellung. Allerdings wurde mit dem VTabakG eine europäische Richtlinie (RL 92/41/EWG) umgesetzt, die ihrerseits in Art. 2 Nr. 4 wie folgt definiert: "alle zum oralen Gebrauch bestimmten Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen, sei es in Form eines Pulvers oder eines feinkörnigen Granulats oder einer Kombination dieser Formen, insbesondere in Portionsbeuteln bzw. porösen Beuteln, oder in einer Form, die an ein Lebensmittel erinnert, mit Ausnahme von Erzeugnissen, die zum Rauchen oder Kauen bestimmt sind."
Gesetzeshistorie widerlegt BGH
Danach wären E-Liquids vom oralen Gebrauch eindeutig nicht mit umfasst. Da der deutsche Gesetzgeber diese Formulierung jedoch nicht übernommen hat, habe er sich die Definition gerade nicht zu Eigen machen wollen, meint der BGH. Bei dieser Auslegung zieht er leider nicht alle zur Verfügung stehenden Materialien heran, denn aus der Gesetzeshistorie folgt eindeutig das Gegenteil.
Exakt der Begriff des "anderweitigen oralen Gebrauchs" wurde in Umsetzung der Richtlinie nämlich nur ein Jahr später auch in § 5a TabakVO aufgenommen. Das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch wurde hiermit verboten. Auch der BGH begründet die Strafbarkeit des Handelns mit E-Liquids für E-Zigaretten mit einem Verstoß gegen § 5a TabakVO i.V.m. §§ 52 Abs. 2 Nr.1, 21 Abs. 1 lit. g VTabakG.
Zu der zustimmungspflichtigen Verordnung machte der Bundesrat einige Ausführungen (BR-Drs. 933/95 v. 29.12.1995) – unter anderem stellte er klar, dass der Begriff des oralen Gebrauchs eben doch im Sinne der Richtlinie gemeint sei. Diese Klarstellung galt zwar der VTabakVO und nicht dem VTabakG, aber ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs zwischen den beiden kann kaum ernsthaft gewollt sein. Es wäre jedoch eine der Konsequenzen aus dem BGH-Urteil.
In einer neueren Richtlinie (WerbeRL 2003/33/EWG) ist die EU von dem "oralen Gebrauch" sogar ganz abgerückt, und spricht nur noch von "Lutschen". Der Gesetzgeber hielt bei der Umsetzung eine Änderung der Begrifflichkeiten jedoch nicht für geboten, da sie schon bisher in diesem Sinne zu interpretieren seien (BT-Drs. 16/1940 v. 23.06.2006).
Beide hier genannten Gesetzesbegründungen finden in dem BGH-Urteil erstaunlicherweise keinerlei Erwähnung, dabei sind sie leicht auffindbar. Sie widersprechen einer Einordnung der E-Zigarette unter die Tabakgesetze.
Gesetzgeber hat Willen zur Zulassung
Vor dem Hintergrund der kommenden Reform der Tabakgesetze zur Umsetzung der RL 2014/40/EU im Mai 2016 ist das Urteil ebenfalls bemerkenswert. Der BGH "wischt" über diese Neuregelung nur kurz hinweg und verweist darauf, dass eine "Beschränkung" kommen wird. Richtig! Eine Regulierung – kein Verbot. Übrigens: Das kommende Tabakgesetz unterscheidet richtlinienkonform ebenfalls deutlich zwischen Tabakerzeugnissen, verwandten Erzeugnissen und E-Zigaretten. Der Gesetzgeber hat nicht den Willen zum Verbot, sondern zur Zulassung von E-Zigaretten. Der Handel wird ausdrücklich erlaubt.
Das Urteil ist also auch mit Blick auf die Zukunft ein Irrläufer. Eine ausführliche Recherche der Gesetzesmaterialien hätte der nun um sich greifenden Verunsicherung vorgebeugt. Festzuhalten ist: Das sog. "Dampfen" ist kein "anderweitiger oraler Gebrauch". Damit fällt und fiel die E-Zigarette nicht unter die Tabakgesetze. Wie der Handel auf das Urteil reagiert bleibt jedoch abzuwarten. Große Panik– wie die meisten Tageszeitungen sie entfachen – sollte vor dem Hintergrund des Gesagten und der kommenden Erlaubnis aber nicht ausbrechen.
Dem Konsumenten und Händler sei noch eines mit auf den Weg gegeben: Bitte nicht an der E-Zigarette lutschen und auch nicht als Lutschwaren verkaufen. Man könnte sich strafbar machen.
Dr. Jakob Dalby ist Rechtsreferendar bei der British American Tobacco GmbH und setzte sich hierbei vor allem mit rechtlichen Fragen zu den Tabakgesetzen, der E-Zigarette und der Tabakproduktrichtlinie auseinander. Er gibt in diesem Artikel seine Privatmeinung wieder.
Contra BGH: E-Zigaretten sind keine Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18433 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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