Der Streit schwelt seit Jahren, jetzt warten Generationen von Steuerpflichtigen auf die Entscheidung des BFH. Die Hintergründe und mögliche Konsequenzen des Urteils analysiert Dennis Klein.
Die Wurzeln des jetzigen Streits reichen weit zurück. Im Jahr 2005 musste der Gesetzgeber das Konzept der Rentenbesteuerung umstellen: von der bis dahin geltenden vorgelagerten Besteuerung auf die nachgelagerte Altersbesteuerung. Diese Änderung erfolgte nicht ganz freiwillig, sondern war durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2002 notwendig geworden. Das BVerfG hatte die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Altersrenten der Angestellten gerügt.
Während nämlich die Beamtenpensionen seit jeher als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit voll versteuert werden, galt dies bis dato nicht für die Altersrenten. Diese waren im Wesentlichen steuerfrei. Dafür mussten Angestellte die Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung aus dem schon versteuerten Einkommen bestreiten. Bei späterem Rentenbezug unterfiel lediglich ein Ertragsanteil der Einkommensteuer, gewissermaßen die Verzinsung der Rentenbeiträge.
Wegen großzügiger steuerlicher Grundfreibeträge kam die Ertragsanteilsbesteuerung bei der Mehrzahl der Rentner nicht zum Tragen, faktisch war also meistens keine Einkommensteuer zu zahlen. So kam auch das hartnäckige Gerücht auf, dass Rentner nicht der Einkommensteuer unterfallen und vom Finanzamt in Ruhe gelassen würden.
BVerfG mahnte Ungleichbehandlung an
Das BVerfG sah in dieser unterschiedlichen Besteuerung von Beamtenpensionen und Altersrenten eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung und mahnte eine Änderung an. Für die Umstellung schrieb das Gericht dem Gesetzgeber zugleich ins Stammbuch, eine Doppelbesteuerung der Renten zu vermeiden.
2005 erfolgte dann die Systemumstellung durch das Alterseinkünftegesetz. Nunmehr sollen die Altersrenten der jährlichen Einkommensteuer unterfallen. Im Gegenzug können die vorherigen Beiträge in die Rentenversicherung steuermindernd geltend gemacht werden. Dies geschieht bei den steuerlichen Sonderausgaben, zu denen etwa auch die Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung gehören. Hieraus rührt der Name nachgelagerte Besteuerung.
In der Erwerbsphase fallen durch die Rentenbeiträge weniger Steuern an; in der nachfolgenden Altersruhephase müssen diese Renten allerdings versteuert werden.
Das Problem bei der Umstellung: Ein sofortiger Wechsel zur nachgelagerten Besteuerung war nicht möglich. Denn die bisherigen Rentnerjahrgänge hatten in ihrem früheren Erwerbsleben die Rentenbeiträge nicht steuermindernd geltend machen können. Ihre Renten nun voll der Einkommensteuer zu unterwerfen, wäre als Doppelbenachteiligung eklatant ungerecht gewesen
Schrittweise Besteuerung der Renten – oder ungerechte Doppelbesteuerung?
Darum sieht das Einkommensteuergesetz eine sich über 35 Jahre erstreckende sukzessive Umstellung vor. Die Rentenjahrgänge bis 2005 müssen 50 Prozent der Altersrente versteuern. Ab 2006 wird jahrgangsweise der Besteuerungsanteil angehoben. Wer im Jahr 2021 in Rente geht, muss 81 Prozent der Rente versteuern, die Rentenjahrgänge ab 2040 dann 100 Prozent.
In den entsprechenden Zeiträumen sind mit steigender Tendenz die Rentenbeiträge abzugsfähig. Im Jahr 2021 etwa zu 92 Prozent, ab dem Jahr 2025 dann zu 100 Prozent.
Die generelle Umstellung als solche steht nicht in Streit. Der Teufel steckt aber im Detail der Regelungen. Denn der Besteuerungsanteil der Renten und die Abzugsfähigkeit der Beiträge steigen nicht im gleichen Maße. Wer beispielsweise 2040 in Rente geht, muss 100 % seiner Rente versteuern, kann aber erst ab dem Jahr 2025 seine Rentenbeiträge voll absetzen. Dadurch kann es zu einer Doppelbesteuerung kommen: Zuerst müssen die Rentenbeiträge aus (teilweise) schon versteuertem Einkommen bestritten werden und später langt der Fiskus beim Rentenbezug nochmals mit der Einkommensteuer zu.
Einfacher "Rechentrick" der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung versucht diese Einwände mit der Argumentation zu entkräften, es liege solange keine Doppelbesteuerung vor, wie der steuerfreie Teil der Renten insgesamt höher ausfalle als die Summe der Beitragsleistungen. Für diesen Vergleich zieht sie das sogenannte Nominalwertprinzip heran. Obwohl sich Rentenbeiträge und -bezüge über Jahrzehnte erstrecken, werden die einfachen Summen der Zahlungen verglichen. Zinseffekte und die sonst bei mehrjährigen Zahlungsreihen üblichen Barwerte bzw. Kapitalwerte bleiben unberücksichtigt. Allein dieser "Rechentrick" verdeckt einen Großteil der Doppelbesteuerung.
Weitere umstrittene Detailfragen drehen sich darum, wie die steuerfreien Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung in die Beurteilung einzubeziehen sind. Ferner, inwieweit Grundfreibeträge und Sonderausgabenabzüge für Kranken- und Pflegeversicherung anzurechnen sind. Dies wirft stellenweise neue Probleme auf bei Selbständigen, die ohne Arbeitgeberunterstützung allein ihre Beiträge finanzieren müssen.
Wird sich der BFH der Kritik beugen?
Es ist vor diesem Hintergrund keineswegs ausgemacht, wie der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden wird. Zahlreiche namhafte Beobachter erkennen in den jetzigen Regelungen eine Doppelbesteuerung, weil Besteuerungsanteil der Renten und Abzugsfähigkeit der Beiträge nicht in gleichem Maße umgestellt werden. Und dies, obwohl das BVerfG seinerzeit ausdrücklich auf die unzulässige Doppelbesteuerung hingewiesen habe.
Zu diesen Kritikern zählen ironischerweise auch die Sachverständigen Bert Rürup und Herbert Rische, der frühere Chef der Deutschen Rentenversicherung. Sie hatten damals bei der Konzeption des Alterseinkünftegesetzes beraten, sahen im späteren Gesetzgebungsprozess aber nicht alle ihre Bedenken berücksichtigt. Auch dem jetzt zur Entscheidung berufenen Senat des BFH gehört ein Richter an, der sich fachwissenschaftlich durchaus kritisch geäußert hatte.
Auf der anderen Seite haben bislang alle wesentlichen Streitpunkte des Alterseinkünftegesetzes den BFH unbeschadet passiert. Dies betraf etwa die Systemumstellung an sich oder die Regelung, dass Rentensteigerung voll der Besteuerung unterliegen. Auch die Vorinstanzen sahen im Endeffekt keine verfassungswidrige Doppelbesteuerung, teilweise mit dem Hinweis, dieser Effekt sei als Bagatelle hinzunehmen.
Urteil betrifft frühere Selbstständige – aber Klärung von Grundsatzfragen möglich
Bei den jetzt zur Entscheidung anstehenden Fällen geht es um frühere Selbständige, die freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung oder zusätzlich zu einem berufsständischen Versorgungswerk versichert gewesen sind. Insofern sind es nicht die "typischen Rentnerfälle" und die Finanzverwaltung sieht der Entscheidung betont gelassen entgegen. Andererseits ist es die vom BFH lang ersehnte Gelegenheit, diese Frage der Doppelbesteuerung zu klären. Deren Brisanz wird in den kommenden Jahren auch zunehmen, da die Besteuerungseffekte von Rentenjahrgang zu Rentenjahrgang deutlicher werden.
Sollte der BFH mit einiger argumentativer Verrenkung die Regelungen billigen, werden die Steuerpflichtigen voraussichtlich Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erheben. Wenn der BFH selbst schwerwiegende Bedenken hat, muss er die Frage von sich aus den Karlsruher Richterinnen und Richtern zur Entscheidung vorlegen. So oder so – es spricht einiges dafür, dass dem Bundesfinanzministerium und dem (neuen) Bundestag eine weitere steuerliche Baustelle ins Haus steht.
Prof. Dr. Dennis Klein ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.
BFH zur möglichen Doppelbesteuerung von Renten: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45069 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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