Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes: Ber­li­ner Neu­tra­li­täts­ge­setz ver­fas­sungs­wid­rig

Das Berliner Neutralitätsgesetz ist das schärfste in Deutschland - aber vielleicht nicht mehr lange. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses ist es in Teilen verfassungswidrig.

Das Gutachten ist auf Antrag der SPD-Fraktion erstellt worden und soll klären, ob das Berliner Neutralitätsgesetz, welches Beamten das offene Tragen religiöser Symbole verbietet, mit den Vorgaben aus der zweiten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vereinbar ist.

Ist es nicht, so das wenig verblüffende Fazit. Denn das 2005 erlassene Gesetz sieht für Lehrkräfte ein pauschales Verbot offen getragener religiöser Symbole vor. Eine entsprechende Regelungsbefugnis hatte das BVerfG in seinem ersten Kopftuchurteil 2003 noch in das Ermessen der Länder gestellt. Nach seiner neuen Rechtsprechung soll hingegen jeweils im Einzelfall zu prüfen sein, ob durch das als verpflichtend empfundene religiöse Symbol die staatliche Neutralität oder der Schulfrieden gefährdet würden. Das Gutachten empfiehlt daher, das Berliner Neutralitätsgesetz um eine entsprechende Bestimmung zu ergänzen. Diese müsse jedoch nur für Lehrkräfte – und sollte zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch für Erzieher(innen) in Kitas – gelten, nicht jedoch für alle übrigen Beamten.

Interessant ist die im Gutachten angesprochene Möglichkeit, dem Senat im Gesetz die Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen einzuräumen, die einzelne Schulen oder Schulbezirke mit "substantiellen Konfliktlagen in Bezug auf das richtige religiöse Verhalten" wiederum von dieser Ausnahme ausklammern. Dort würde dann effektiv weiterhin das pauschale Verbot gelten. Diese Gestaltungsmöglichkeit hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung anerkannt.

Kein Änderungsbedarf für Rechtsreferendare

Das Berliner Neutralitätsgesetz entfacht immer wieder neue Debatten. Zuletzt hatte der Fall der muslimischen Rechtsreferendarin Betül Ulusoy für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie hatte bereits vor der Entscheidung des Bezirksamts Neukölln über ihre (Nicht)annahme für die Verwaltungsstation große Medien wie etwa die Zeit erfolgreich in Stellung gebracht. Im Ergebnis erhielt sie eine Zusage unter der Auflage, dass sie mit Kopftuch den Bürgern nicht in hoheitlicher Funktion gegenübertreten dürfe – und lehnte die Stelle daraufhin ab.

Schon bisher sieht das Neutralitätsgesetz in § 4 die Möglichkeit vor, dass für "Beamtinnen und Beamte im Vorbereitungsdienst und andere in der Ausbildung befindliche Personen" Ausnahmen gemacht werden können. Unter welchen Bedingungen dies geschehen kann, bestimmt das Gesetz nicht. Das Berliner Kammergericht teilte vergangenes Jahr mit, dass für etwa zwei Referendarinnen jährlich eine Befreiung von der Sitzungsvertretung in der Station bei der Staatsanwaltschaft gewährt würde – was allerdings keine Ausnahme vom Neutralitätsgesetz darstellt, sondern von der üblichen juristischen Ausbildung. Ohnehin ist die Regelung des § 4 ungeeignet, den Vorgaben des BVerfG gerecht zu werden, da sie ausdrücklich nur für in Ausbildung befindliche Personen gilt.

Der Berliner Senat prüft weiterhin, ob und ggf. welche Änderungen des Gesetzes erfolgen sollen, erklärte der Berliner SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16145 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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