3/3: Die (überschaubaren) Rechtsfolgen der Leitlinien
Wie schon erwähnt, schaffen die Leitlinien kein neues Recht: was nicht schon aus der Verordnung abzuleiten ist, kann durch die Leitlinien nicht eingeräumt werden. Weder gewähren sie den Endnutzern und Zugangsdiensteanbietern irgendwelche Rechte, noch erlegen sie ihnen Verpflichtungen auf (vgl. zu den - rechtstechnisch ähnlich verankerten - Marktanalyse-Leitlinien der Kommission das Urteil des EuGH vom 12.05.2011, C-410/09, Polska Telefonia Cyfrowa). Dass die Regulierungsbehörden den Leitlinien "weitestgehend Rechnung" zu tragen haben, gebietet im Streitfall eine Auseinandersetzung mit den Leitlinien, nicht aber deren "Befolgung" – ganz davon abgesehen, dass die Leitlinien wirkliche Streitfälle ohnehin offen lassen und der Einzelfall-Beurteilung der Regulierungsbehörden überantworten.
Hinzu kommt, dass Anbieter von Internetzugangsdiensten sich nicht notwendigerweise an die in den Leitlinien getroffenen (eher spärlichen) Festlegungen halten werden. Es ist z.B. durchaus denkbar, dass ein Netzbetreiber eine Form des zero-rating praktiziert, die gemäß Abs. 41 der Leitlinien unzulässig ist. Will die Regulierungsbehörde die in den Leitlinien zum Ausdruck kommende Rechtsansicht von BEREC durchsetzen, muss sie gegen diesen Anbieter nach Art. 5 der Verordnung vorgehen - und natürlich hat der Anbieter gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 4 der Rahmenrichtlinie.
Am Ende spricht der EuGH
Letztlich wird es am EuGH liegen, die sich aus der Netzneutralitäts-Verordnung ergebenden Rechte und Pflichten abzugrenzen. Dabei wird er die Leitlinien zwar gewiss berücksichtigen; gebunden ist er daran aber nicht. Wiederum anders als in den USA ("Chevron deference"), gibt es im Europarecht nämlich auch keinen Grundsatz, wonach sich ein Gericht in der Regel an jene Auslegung einer Rechtsvorschrift halten muss, die von der Behörde vertreten wird, die diese Rechtsvorschrift zu vollziehen hat.
Dass die in den BEREC-Leitlinien vertretenen Rechtsansichten nicht widerspruchslos von allen Betroffenen geteilt werden, zeigt die Stellungnahme von ETNO, eines Verbands vor allem großer europäischer Netzbetreiber. Dort werde man, so heißt es in der Stellungnahme, die Leitlinien gründlich analysieren und dabei besonders darauf achten, ob sie mit der Netzneutralitäts-Verordnung und den darin den Regulierungsbehörden zugewiesenen Aufgaben konsistent sind. Das ist diplomatisch ausgedrückt, heißt aber nicht viel mehr als: wir werden uns wohl vor Gericht sehen.
Vielleicht muss ja das Internet demnächst wieder einmal gerettet werden.
Der Autor Prof. Dr. Hans Peter Lehofer ist Richter am österreichischen Verwaltungsgerichtshof und Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien. Unter blog.lehofer.at publiziert er regelmäßig zum Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und –dienste.
BEREC-Leitlinien zur Netzneutralität: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20446 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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