Die evangelische Diakonie hat eine konfessionslose Bewerberin abgelehnt – wegen der fehlenden Religionszugehörigkeit. Vom BAG wurde ihr eine Entschädigung zugesprochen. Das Urteil ist keine Überraschung, aber folgenreich meint Michael Fuhlrott.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) kam alles andere als unerwartet. Die Kirche kann gegenüber einer konfessionslosen Bewerberin für eine Referentenstelle nicht auf die fehlende Religionszugehörigkeit verweisen, um sie abzulehnen, Urt. v. 25.10.2018, Az.: 8 AZR 501/14. Mit dem Urteil setzt das BAG insbesondere die neuen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um.
Das kirchliche Arbeitsrecht kennt einige arbeitsrechtliche Besonderheiten: So können etwa keine Personal- oder Betriebsräte mit hohen Mitbestimmungsrechten, sondern nur Mitarbeitervertretungen gebildet werden. Auch eine gewerkschaftliche Vertretung existiert faktisch nicht. Kirchliche Arbeitnehmer dürfen nicht in den Streik treten. Die insbesondere in der katholischen Kirche geltende und für die dort beschäftigten konfessionsgebundenen Mitarbeiter geltende sog. Grundordnung setzt zudem enge Vorgaben an loyales Verhalten. Verstöße hiergegen können kündigungsrechtliche Relevanz haben.
Diese Besonderheiten rühren einerseits aus der historischen Entwicklung der Kirchen in Deutschland her, sind aber andererseits auch in der Verfassung verankert: Die durch Art. 140 Grundgesetz (GG) inkorporierten Artikel 136 ff. der Weimarer Reichsverfassung (WRV) stellen weiterhin geltendes Verfassungsrecht dar. Art. 137 Abs. 3 WRV erlaubt den Kirchen ausdrücklich, die inneren Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten.
Kirchliche Sonderregelungen auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen u.a. wegen der Herkunft, des Geschlechts aber auch der Religion verbietet, sieht für Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Rechtfertigungsmöglichkeit bei Ungleichbehandlungen vor. Nach § 9 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion durch Religionsgemeinschaften, "auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt."
Die dem AGG u.a. zugrunde liegende Anti-Diskriminierungs-Richtlinie 2000/78/EG erlaubt in Art. 4 Abs. 2 S. 1 den Mitgliedsstaaten eine solche Differenzierung, wenn die Religion "nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt".
Von Berlin nach Erfurt über Brüssel und zurück
Unter Berufung auf diese Normen hatte das zuvor mit der Sache befasste Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urt. v. 28.5.2014, Az.: 4 Sa 157/14 und 4 Sa 238/14) die Klage von der Bewerberin, Frau Egenberger, abgewiesen, nachdem das Arbeitsgericht Berlin (Urt. v. 18.12.2013, Az.: 54 Ca 6322/13) ihr noch eine Entschädigung wegen Diskriminierung i.H. eines Monatsverdienstes der mit 60 Prozent ausgeschriebenen Teilzeitstelle (= 1.957,73 Euro) zusprach. Diese hatte sich als konfessionslose Bewerberin auf eine Teilzeitstelle als Referentin für ein Anti-Rassismus-Forschungsprojekt bei der evangelischen Diakonie beworben.
Vom kirchlichen Arbeitgeber war sie sowohl mangels Eignung, aber insbesondere auch mangels Zugehörigkeit zur Kirche abgelehnt worden. Letztgenannte Anforderung war ausdrücklich Bestandteil des Anforderungsprofils der seinerzeitigen Stellenausschreibung. Frau Egenberger sah sich hierdurch diskriminiert und klagte auf eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG. Hiernach kann ein Bewerber unabhängig von der Frage seiner Einstellung eine Entschädigung in Geld bis zu drei Monatsverdiensten erhalten, wenn er im Bewerbungsverfahren diskriminiert worden ist.
Die Berufungsinstanz vermochte eine solche Diskriminierung nicht zu erkennen bzw. sah diese aufgrund des besonderen Rechtfertigungsgrunds gem. § 9 AGG als zulässig an. Gegen diese klagabweisende Entscheidung der Landesarbeitsrichter legte die Klägerin sodann Revision zum Bundesarbeitsgericht ein. Dieses setzte das Verfahren mit Beschluss vom 17. März 2016 (Az.: 8 AZR 501/14 (A)) aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Sache vor. Die obersten deutschen Arbeitsrichter baten um Klärung, ob die Kirche selbst verbindlich bestimmen dürfte, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung ausmacht.
Die Antwort des EuGH im April 2018 (Urt. v. 17.4.2018, Az.: C-414/16) fiel deutlich aus. Sie sorgte im deutschen (Kirchen-)Arbeitsrecht für Aufruhr und wurde bisweilen auch als "Paradigmenwechsel" bezeichnet: Die Frage, ob für eine Stelle die Kirchenzugehörigkeit eine notwendige und gerechtfertigte Anforderung sei, müsse einer wirksamen Kontrolle durch staatliche Gerichte unterliegen. Nach dem EuGH sei nur so gewährleistet, dass diese Anforderungen tatsächlich eingehalten würden. Andernfalls drohe die Gefahr, dass "die Kontrolle der Einhaltung dieser Kriterien völlig ins Leere" ginge.
Entscheidung des BAG: Keine Überraschung, aber folgenreich
Insoweit kam die Entscheidung des BAG am 25. Oktober 2018 nicht unerwartet. Der Klägerin steht nach dem Urteil eine Entschädigung in Höhe von 3.915,46 Euro zu (BAG v. 25.10.2018, Az.: 8 AZR 501/14). Damit hob das BAG nicht nur die Entscheidung der Vorinstanz auf, sondern änderte auch noch das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Berlins hinsichtlich der Höhe der Entschädigungszahlung von einem auf zwei Monatsgehälter zugunsten der Klägerin. Die beklagte kirchliche Arbeitgeberin könne sich hinsichtlich der Diskriminierung auf keine Rechtfertigung berufen. Soweit das deutsche Recht den Kirchen weitergehende Rechtfertigungsmöglichkeiten erlaube, seien diese unionsrechtswidrig und müssten ohne Anwendung bleiben.
Eine Zugehörigkeit zur Kirche als berufliche Anforderung stelle für die Position als Referentin keine notwendige berufliche Anforderung dar. Eine Beeinträchtigung des "Ethos" der Kirche sei nicht zu erwarten. Dies folgerte das BAG bereits daraus, dass der gesuchte Stelleninhaber bei seiner Tätigkeit als Referent "in einen internen Meinungsbildungsprozess (…) eingebunden war und deshalb in Fragen, die das Ethos des Beklagten betrafen, nicht unabhängig handeln konnte". Daher gebe es keine Rechtfertigung, eine Zugehörigkeit zur Kirche als Einstellungsvoraussetzung zu verlangen.
Anfang vom Ende des kirchlichen Arbeitsrechts?
Ist die heutige Entscheidung nun der "Anfang vom Ende des kirchlichen Arbeitsrechts"? Dies sicherlich nicht, wenngleich für die Kirchen die Unterwerfung ihrer eigenen Maßstäbe unter eine volle staatliche Kontrolle ein Novum ist. In jedem Fall führt das Urteil zu einer völligen Neuausrichtung der Einstellungs- und Personalpolitik der Kirchen in Deutschland.
Allerdings dürfte im Zusammenhang mit weiteren Entscheidungen im Kirchenarbeitsrecht das "letzte Amen noch nicht gesprochen sein". Mit einer aktuelleren Entscheidung aus September 2018 (Urt. v. 11.9.2018, C-68/17) hatte der EuGH erst kürzlich durchblicken lassen, dass er die Kündigung eines katholischen Chefarztes aufgrund dessen Wiederheirat in einem von einer kirchlichen Einrichtung getragenen Krankenhaus als Diskriminierung ansehen wird. Auch diese Vorgaben wird das BAG bei seiner erneuten Befassung in naher Zukunft umsetzen und mit dem kirchlichen Arbeitsrecht und grundgesetzlichen Vorgaben in Einklang bringen müssen.
Insgesamt müssen sich die Kirchen folglich darauf einstellen, dass die bislang lieb gewonnenen Privilegien des kirchlichen Arbeitsrechts nach und nach bröckeln und die Kirchen sich mehr und mehr einem "normalen Arbeitgeber" annähern. Dies mag man je nach persönlicher Einstellung begrüßen oder ablehnen – für die Betroffenen und die Rechte der Beschäftigten stellt es in jeder Hinsicht einen Gewinn dar.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Hamburg.
BAG spricht konfessionsloser Bewerberin AGG-Entschädigung zu: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31723 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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