Nach 18 Jahren trennte sich das ZDF von Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss und besetzte dessen Rolle neu – zu Recht, wie das BAG nun entschied. Michael Fuhlrott erläutert, warum Rundfunk- und Kunstfreiheit das Befristungsrecht stechen.
Berichte über Schauspieler in den Medien sind alltäglich – im Zusammenhang mit Urteilen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in eigener Sache aber doch eher ungewöhnlich. Gleichwohl hatten die obersten deutschen Arbeitsrichter aus Erfurt am Mittwoch über einen solchen Fall zu entscheiden und kamen zu dem Ergebnis, dass die Eigenart der Arbeitsleistung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) die Befristung des Arbeitsvertrags einer Produktionsfirma mit einem Schauspieler sachlich rechtfertigen kann. Und zwar auch dann, wenn der Akteur aufgrund einer Vielzahl von befristeten Arbeitsverträgen in derselben Rolle über Jahre hinweg beschäftigt wurde (Urt. v. 30.08.2017, Az.: 7 AZR 864/15).
Der aus der Krimiserie "Der Alte" bekannte Schauspieler Sanoussi-Bliss verkörperte in knapp 170 Folgen über rund 18 Jahre Oberkommissar Axel Richter. Die im ZDF ausgestrahlte Sendung wurde von einer Produktionsfirma im Auftrag des ZDF produziert, mit der Sanoussi-Bliss jeweils pro Folge gesonderte, sogenannte "Mitarbeiter-Verträge" beziehungsweise "Schauspielverträge" abschloss. Diese sahen je Folge entweder Pauschalvergütungen von 18.000 Euro respektive zuletzt 21.500 Euro vor oder honorierten den Einsatz an jedem Drehtag mit 2.500 Euro.
Im September 2014 informierte der Redaktionsleiter des ZDF Sanoussi-Bliss mündlich, dass sein Engagement für die Krimiserie nach zwei noch ausstehenden Folgen (Nr. 391: "Blutige Spur" und Nr. 392: "Alpenglühen") enden werde. Schriftlich wurde dem Schauspieler im November 2014 durch die Produktionsfirma sodann mitgeteilt, dass sein Engagement aufgrund der letzten Befristung geendet habe. Vorsorglich sprachen die Produzenten zudem noch eine außerordentlich fristlose, hilfsweise ordentlich fristgerechte Kündigung aus.
Viele Besonderheiten im Film-Business
Dies nahm der Schauspieler nicht hin und erhob Klage. Mit dieser machte er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses sowie die Unwirksamkeit der Befristung geltend und verlangte die Zahlung von Annahmeverzugslohn. Weiter verlangte er, ihn für die Vergangenheit durchgängig als sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigten zu behandeln und entsprechende Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Bei den jeweiligen Verträgen habe es sich nämlich um Arbeitsverhältnisse gehandelt, deren Befristungen unwirksam seien. Es fehle an einem diese Verträge rechtfertigenden Sachgrund gem. § 14 Abs. 1 TzBfG.
Auch sei aufgrund der Vielzahl der einzelnen Verträge und des Zeitraums seines Einsatzes her eine unzulässige Kettenbefristung gegeben. Die Befristungsabrede sei im Übrigen nicht hinreichend bestimmt, da sie keine konkreten Tage nenne. Dies sei für eine kalendermäßige Zeitbefristung jedoch notwendig.
Weiterhin sei es übliche Praxis gewesen, dass er auch nach Ablauf der Drehtage noch für Synchronisationen, Nach- oder Neuaufnahmen oder für Produktionen von Trailern habe zur Verfügung stehen müssen. Dadurch sei sein Einsatz nicht lediglich auf die in dem Mitarbeitervertrag genannten Tage beschränkt gewesen.
Programmfreiheit vs. Befristungsrecht
Die Produktionsfirma sah dies naturgemäß anders. Die Einsätze des Klägers seien zeitlich sehr begrenzt gewesen, etwa im Jahr 2014 nur an 47 Drehtagen erfolgt. Für jede Folge sei ein neuer Vertrag abgeschlossen, jedoch kein bestehender Vertrag verlängert worden. Die jeweilige Auftragsproduktion sei stets drittmittelfinanziert gewesen. Damit sei die Befristung aufgrund der Eigenart der Arbeitsleistung gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG sachlich gerechtfertigt.
Die grundgesetzlich geschützte Kunst- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 Grundgesetz (GG) müsse außerdem beachtet werden: Die Zulässigkeit des Austauschs von Schauspielern als programmgestaltende Mitarbeiter und damit Künstler durch die Produktionsfirma als Filmunternehmen sei gerade Ausdruck der Kunst- und Rundfunkfreiheit.
2/2: "Befristet" muss nicht wörtlich draufstehen
Diese Argumentation überzeugte sowohl das Arbeitsgericht (ArbG München v. 21.04.2015, Az.: 3 Ca 14163/14) als auch das Landesarbeitsgericht (LAG München v. 29.10.2015, Az.: 4 Sa 527/15) wie schließlich auch das BAG am Mittwoch. Es sei unschädlich, dass die Verträge nicht ausdrücklich als befristet bezeichnet waren, so die Erfurter Richter. Durch die Verwendung des Wortes "Vertragszeit" und die Benennung konkreter Folgen sei eindeutig gewesen, dass kein dauerhafter Einsatz erfolgen sollte. Die Rundfunk- und Kunstfreiheit erlaubten daher zeitlich befristete Verträge für den Einsatz von Schauspielern dem Grunde nach. Es handele sich hierbei um eine besondere Art der Arbeitsleistung, die nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG zulässigerweise befristet erfolgen dürfe.
In der Filmbranche müsse einem Produzenten zudem die Freiheit zukommen, die künstlerische Ausgestaltung der Produktion autonom zu handhaben. Die Gestaltung des Drehbuchs einschließlich Handlung, agierenden Personen und deren Entwicklung sowie Kontinuität oder auch eine etwaige Neubesetzung von Rollen, die Auswahl der Schauspieler, Regie etc. seien damit Bereiche, die dem grundgesetzlichen Schutz unterfielen.
Auch kommt nach Auffassung des Gerichts eine Befristung gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG zusätzlich in Betracht, da der betriebliche Bedarf an den Leistungen des Klägers nur vorübergehend bestanden habe. Die beklagte Firma habe schließlich vom ZDF jeweils nur isoliert Aufträge für einzelne Folgen erhalten und nach Abproduktion einer Folge auf die Beauftragung mit der nächsten Folge warten müssen. Diese grundgesetzlichen Erwägungen seien auch dem Argument einer unzulässigen Kettenbefristung entgegenzusetzen.
Drehbuch geht auch dem Bestandsschutzinteresse vor
Das damit grundsätzlich anerkennenswerte Interesse des Produktionsunternehmens müsse allerdings im Einzelfall mit dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers abgewogen werden. Auch künstlerisch tätige Arbeitnehmer müssten einen Mindestbestandschutz genießen, so das BAG. Das erfordere bereits das ebenfalls verfassungsrechtlich gem. Art. 12 Abs. 1 geschützte Grundrecht der Berufsfreiheit. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass Sanoussi-Bliss rund 18 Jahre aufgrund verschiedener Verträge tätig gewesen sei. Dessen beruflicher und wirtschaftlicher beziehungsweise finanzieller Schwerpunkt im "produktiven Lebensabschnitt" habe daher andere Engagements zeitlich eingeschränkt, auch wenn solche dem Grunde nach für den Kläger zulässig waren.
Doch auch bei dieser Abwägung überwiege im Ergebnis das dramaturgische Interesse der Produktionsfirma. Diese müsse in der Lage sein, eine jahrzehntelang laufende Serienproduktion wie "Der Alte" inhaltlich verändern und beispielsweise die Darstellercrew "verjüngen" zu können. Die Rücksicht auf Bestandsschutzinteressen von Schauspielern würde daher sofort und unmittelbar in die verfassungsrechtlich geschützte Rundfunk- und künstlerische Gestaltungsfreiheit eingreifen.
Der Rechtsstreit ging damit für den klagenden Schauspieler auch letztinstanzlich vor dem BAG so aus, wie vom LAG München (a.a.O.) in weiser Vorahnung prognostiziert: Der Kläger habe schließlich von vornherein wissen müssen, dass die Entwicklung seiner langjährig "verkörperten Rolle des 'Kommissars Richter' in diesem Kommissarteam nicht zwangsläufig von Dauer sein musste, er als Schauspieler in einer Kommissarrolle einer Krimiserienproduktion nicht zwingend auch die Lebenszeitbeamtenstelle erhalten/behalten würde, die ein Kommissar im realen Leben, wenngleich selbst hier nicht zwangsläufig auf Dauer, persönlich innehat […]." Kleines Trostpflaster mag vielleicht sein, dass ein Fernsehkommissar während seiner aktiven Zeit regelmäßig auch höher vergütet wird.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht und Human Resources Management an der Hochschule Fresenius in Hamburg sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Römermann Rechtsanwälte AG.
Michael Fuhlrott, Krimiserie "Der Alte" vor dem BAG: Kommissar Richter muss gehen . In: Legal Tribune Online, 31.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24221/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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