Neue Spielregeln für Saisonarbeitskräfte?: Das BAG ent­wi­ckelt ein "beg­renztes" Arbeits­ver­hältnis

Gastbeitrag von Dr. Alexander Willemsen

20.11.2019

Eine Badeaufsicht, die jedes Jahr von April bis Oktober arbeitet – das klingt erst mal nach einer Befristung. Aber das ist keineswegs zwingend, urteilte jetzt das BAG. Und unterwirft das "begrenzte" Arbeitsverhältnis einem ganz anderen Regime.

Manchmal braucht die Arbeitsgerichtsbarkeit drei Instanzen, um zum Kern eines juristischen Problems vorzudringen. Einen an sich unscheinbaren Fall, in dem um die Wirksamkeit der Befristung der Tätigkeit einer Badeaufsicht auf die Monate April bis Oktober eines jeden Kalenderjahres gestritten wurde, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung vom Dienstag aus einer frischen Perspektive betrachtet: Nach Auffassung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts lag kein befristetes, sondern ein "begrenztes" Arbeitsverhältnis vor – für das andere Spielregeln gelten (BAG, Urt. v. 19.11.2019, Az. 7 AZR 582/17).

Der klagende Arbeitnehmer war seit Juli 2000 bei der beklagten Gemeinde als Badeaufsicht und gelegentlich zur Reinigung und Pflege des Schwimmbads beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst unbefristet, wurde aber im September 2005 gekündigt. Gleichzeitig wurde dem Mann ein neuer Arbeitsvertrag ab dem 1. April 2006 angeboten. Dieser sah vor, dass er "jeweils für die Saison vom 1. April bis zum 31. Oktober eines Kalenderjahres eingestellt" wird. In dringenden Fällen sollte er seine Arbeitsleistung auf Anordnung des Arbeitgebers aber auch darüber hinaus erbringen.

So geschah es in der Folgezeit. In der Saison 2016 stellte die beklagte Gemeinde allerdings unbefristet eine Fachkraft für Bäderbetriebe ein, die das ganze Jahr über – und nicht bloß im Saisonbetrieb zwischen April und Oktober – tätig wurde.

Der jetzige Kläger beantragte daraufhin die gerichtliche Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Die Befristung seines Arbeitsvertrages auf die Zeit zwischen April und Oktober eines Jahres hielt er aus verschiedenen Gründen für unwirksam. Er bemängelte unter anderem, dass es an der konkreten Festlegung der Befristung fehle und es keinen - an sich erforderlichen - Sachgrund für die Befristung gebe. Zusätzlich verwies der Mann auf den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD), der in § 30 Abs. 2 eine Höchstbefristungsdauer von fünf Jahren vorsieht; diese sei hier überschritten.

Instanzgerichte: Wirksam befristet nach TzBfG?

Das Arbeitsgericht (ArbG) Verden und in zweiter Instanz das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen unterstellten, dass die Parteien jedes Jahr aufs Neue ein befristetes Arbeitsverhältnis für die Dauer von April bis Oktober eines Kalenderjahres abgeschlossen hätten. Die Wirksamkeit des Vertrags prüften sie am Maßstab des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG).

In formaler Hinsicht lag ihres Erachtens eine schriftliche Befristungsabrede vor. Die einmalige Vereinbarung der Befristung hielt das LAG Niedersachen für auch künftig ausreichend. Es sei nicht nötig, für jedes Kalenderjahr eine gesonderte Befristungsabrede zu treffen. Dem Schriftformerfordernis nach § 14 Abs. 4 TzBfG werde mit der Vereinbarung genügt, die sich jeweils auf eine Periode des Kalenderjahres beziehe (hier: April bis Oktober). Damit hätten sich die Parteien in dem Arbeitsvertrag beanstandungsfrei auch auf die entsprechende Befristung der Folgejahre geeinigt.

Auch in materieller Hinsicht hielten die Vorinstanzen die Befristung für wirksam, weil sie von einem konkreten Sachgrund ausgingen: Ein Betreiber eines Freibads könne trotz witterungsbedingter Schwankungen im Wesentlichen von einem Beschäftigungsbedarf von Mai bis Ende September ausgehen. In dieser Zeitspanne finde der Badebetrieb statt, zudem Instandsetzungsarbeiten im April und Oktober. Auch die Höchstbefristungsdauer des § 30 Abs. 2 TVöD mache die Befristung nicht unwirksam, da diese jeweils auf sieben Monate beschränkt sei. Es komme, so die Unterinstanzen, jedes Kalenderjahr ein neuer befristeter Vertrag zustande, auf die Gesamtsumme aller aufeinanderfolgenden Verträge komme es nicht an.

Das LAG Niedersachen ließ allerdings ausdrücklich die Revision zum BAG zu, weil zu einer Vertragsgestaltung wie dieser noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung existiere.

BAG: beschränkt, nicht befristet

Das hat sich nun geändert. Und das BAG sieht den Fall aus einem ganz anderen Blickwinkel. Laut der Pressemitteilung vom Dienstag gehen Deutschlands oberste Arbeitsrichter - anders als die Vorinstanzen – nicht davon aus, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis vorliegt. Die Parteien hätten in dem Vertrag keine Vielzahl befristeter Arbeitsverhältnisse für künftige Jahre vereinbart, sondern das Arbeitsverhältnis sei vielmehr unbefristet geschlossen worden. Besonders sei nur, dass die Arbeits- und Vergütungspflicht auf die Monate April bis Oktober eines jeden Kalenderjahres begrenzt sei.

Angesichts der Überlegungen, die die Vorinstanzen angestellt haben, überrascht der Ansatz des BAG zwar; er ist aber konsequent und richtig. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 TzBfG ist ein Arbeitnehmer nur dann befristet beschäftigt, wenn der Arbeitsvertrag auf bestimmte Zeit geschlossen wurde. Das war hier nicht der Fall. Der Vertrag als solcher war nicht zeitlich befristet, lediglich die Tätigkeit des Arbeitnehmers war begrenzt. Damit schied eine Prüfung des Vertrages anhand der Vorgaben des TzBfG aus.

Das BAG zieht allerdings einen anderen Prüfungsmaßstab heran: Die Erfurter Richter verweisen darauf, dass der Kläger nicht nach § 307 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unangemessen benachteiligt werde, da die Kommune bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses davon ausgehen durfte, nur während der Badesaison Beschäftigungsbedarf für ihn zu haben.

Zeitliche Begrenzung braucht ab jetzt einen sachlichen Grund

Wie sich die neue Entscheidung des BAG in die Welt der sog. prekären Arbeitsverhältnisse (d. h. Befristungen und Teilzeit) einfügt, wird sich erst noch zeigen müssen. Auch wenn erst mit den Entscheidungsgründen in ein paar Monaten klar werden wird, was genau das BAG damit meint, steht doch jetzt schon, dass nach Ansicht der Erfurter Richter Klauseln in Saisonarbeitsverträgen, die die Arbeits- und Vergütungspflicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränken, offenbar der AGB-Kontrolle unterliegen.

Für die Zukunft dürfte das bedeuten, dass eine konkrete zeitliche Begrenzung von Saisonarbeit (einschließlich etwaiger Vorbereitungs- und Nacharbeiten) sachlich begründet werden muss. Wie streng diese Begründung richterlich überprüft wird, ist noch unklar. Der Maßstab müsste jedoch weniger streng sein als die Prüfung des Sachgrundes einer Befristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG: Bei einem Saisonarbeitsvertrag hat der Arbeitnehmer schließlich die Gewissheit, zu Beginn der neuen Saison wieder tätig werden zu können, während der lediglich für eine Saison befristet Angestellte jedes Jahr aufs Neue hoffen muss, wieder eingestellt zu werden.

Umgekehrt ist zu berücksichtigen, dass bei einem Teilzeitarbeitsverhältnis, das in gewisser Weise auch die Arbeits- und Vergütungspflicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt, für die Teilzeit keinerlei sachliche Gründe angegeben werden müssen.

Arbeitgeber mit Saisonbetrieben sollten sich in Zukunft genau überlegen, ob sie ihren Mitarbeitern – unter wohl erleichterten Voraussetzungen – unbefristete, aber "begrenzte" Saisonarbeitsverhältnisse anbieten oder es bei der gängigen Praxis von befristeten Saisonarbeitsverträgen bleiben wollen.

Der Autor Dr. Alexander Willemsen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.

Beteiligte Kanzlei

Zitiervorschlag

Neue Spielregeln für Saisonarbeitskräfte?: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38811 (abgerufen am: 03.11.2024 )

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