Minijobber schlechter zu bezahlen als Vollzeitkräfte, weil man mit letzteren angeblich besser planen könne, lässt das BAG nicht durchgehen. Moritz Coché analysiert, wie das Urteil für die Arbeitsrechtspraxis zu verstehen ist.
In nicht wenigen Berufen gehört eine arbeitgeberseitige Zuweisung von Einsätzen oder Diensten zum Alltag. Vollzeitbeschäftigte aber mit dem Argument, mit ihnen lasse sich die Arbeit verlässlicher planen, besser zu bezahlen als geringfügig Beschäftigte mit flexibleren Arbeitszeiten - umgangssprachlich auch als “Minijobber” bekannt -, ist nicht erlaubt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Mittwoch entschieden (Urt. V. 18.01.2023, Az. 5 AZR 108/22).
Bisher liegen nur die Pressemitteilung zu dem Urteil, nicht aber die Entscheidungsgründe vor. Doch auch schon in der Pressemitteilung wird deutlich, wie das BAG die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung (mittelbarer) Diskriminierungen von geringfügig Beschäftigten ausweitet. Die Gewährung eines vergleichsweise niedrigeren Stundenlohns für geringfügig Beschäftigte mutiert für Unternehmen zum kostspieligen Verhängnis, selbst wenn der Grund für die schlechtere Bezahlung jedenfalls auf den ersten Blick gar nicht in der geringeren Arbeitszeit liegt.
Fünf Euro weniger Stundenlohn für Minijobber
Das in dem Fall beklagte Unternehmen setzte Rettungsassistenten in Voll- und Teilzeit ein, sogenannte Hauptamtliche, und teilte diese verbindlich zu Diensten ein. Diese Planungssicherheit nahm das Unternehmen zum Anlass, den Hauptamtlichen einen erhöhten Stundenlohn von 17 Euro brutto zu gewähren. Die geringfügig beschäftigten Rettungsassistenten – im Jargon des Unternehmens sogenannte Nebenamtliche - waren hingegen weisungsfrei im Hinblick auf Lage und Umfang der Arbeitszeit. Sie durften Wunschtermine äußern bzw. Anfragen für Dienste ablehnen, weswegen ihnen das Unternehmen aber nur einen Lohn von zwölf Euro brutto die Stunde zahlte.
Das BAG bekräftigt in seiner Entscheidung die Regel, dass geringfügig Beschäftigte bei gleicher Qualifikation und identischer Tätigkeit keinen geringeren Stundenlohn erhalten dürfen als Vollzeitbeschäftigte. Es argumentierte, dass ein lediglich pauschal ins Feld geführter Mehraufwand bei der Einsatzplanung keinen niedrigeren Stundenlohn bei identischer Tätigkeit rechtfertige.
Aufgrund der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) bezweifelt das BAG in seiner Entscheidung zudem, ob das Unternehmen durch die einseitig zu Diensten eingeteilten sogenannten Hauptamtlichen tatsächlich eine größere Planungssicherheit erziele. Schließlich rechtfertige die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts gegenüber den sogenannten Hauptamtlichen keinen schlechteren Stundenlohn für geringfügig Beschäftigte.
Minijobber sind Teilzeitkräfte im Sinne des Gesetzes
Die Entscheidung des BAG ist konsequent. Es klingt trivial - und wird doch gerne vergessen: geringfügig Beschäftigte sind Teilzeitbeschäftigte i.S.d. Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) und genießen denselben Diskriminierungsschutz wie z.B. ein Teilzeitbeschäftigter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Spielraum besteht nicht, da der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 TzBfG ausdrücklich klarstellt, dass geringfügig Beschäftigte Teilzeitbeschäftigte sind. Schwierigkeiten in der Praxis entzünden sich primär anhand des Irrglaubens, geringfügig Beschäftigten ohne weiteres schlechtere Arbeitsbedingungen gewähren zu dürfen.
Dabei verbietet § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG grundsätzlich, dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit schlechter behandelt werden darf als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Das Diskriminierungsverbot in § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG hat die in der EU-Richtlinie (RL 1999/70/EG) aufgenommene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in nationales Recht umgesetzt und dient insbesondere dazu, Teilzeitarbeit zu fördern sowie mittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zu verhindern.
Eine (mittelbare) Diskriminierung von Minijobbern steht dann im Raum, wenn Unternehmen eine Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten anhand des Volumens der Arbeitszeit begründen. Nur wenn es einem Unternehmen gelingt, die Ungleichbehandlung etwa anhand des Aufgabenumfangs oder des Leistungszwecks sachlich zu rechtfertigen, ist eine Ungleichbehandlung ausnahmsweise zulässig.
Das BAG hat diese vorstehenden Maßstäbe am Mittwoch ausgeprägt, indem es einen niedrigeren Stundenlohn für geringfügig Beschäftigte bei identischer Tätigkeit als diskriminierend einstufte. Insbesondere kann danach ein größeres Maß an Weisungsfreiheit für die geringfügig Beschäftigten bezüglich des Umfangs und der Lage der Arbeitszeit kein sachlich rechtfertigender Grund sein.
Ist ein niedrigerer Stundenlohn für geringfügig Beschäftigte damit per se ausgeschlossen?
Zunächst die für Unternehmen erfreuliche Nachricht: im Einzelfall kann es natürlich weiterhin sachlich gerechtfertigt sein, geringfügig Beschäftigten einen vergleichsweise niedrigeren Stundenlohn zu zahlen. Alles andere wäre in Anbetracht der ausdrücklichen Regelung in § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG ein überraschendes Novum gewesen.
Gleichwohl ist zunehmend größere Sorgfalt geboten, da das BAG eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen Teilzeitarbeit großzügig zu bejahen scheint. Dass ein Notfallrettungen und Krankentransporte durchführendes Unternehmen Rettungsassistenten in Voll- und Teilzeit einsetzt und diese kraft des unternehmensseitigen Weisungsrechts in Dienste einteilt, während geringfügig Beschäftigte Wunschtermine für ihre Einsätze benennen können, trägt auf den ersten Blick nicht den Stempel einer Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten auf der Stirn.
Der Teufel steckt im Detail
Wirft man einen zweiten Blick auf den Sachverhalt, zeichnet sich ein differenzierteres Bild: Zwar knüpfen in dem Fall des beklagten Unternehmens die unterschiedlichen Stundenlöhne nicht direkt an die Eigenschaft als Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigter und somit nicht unmittelbar an die Arbeitszeit als Kriterium einer Ungleichbehandlung an. Die Ungleichbehandlung resultiert aber daraus, dass das Unternehmen geringfügig Beschäftigten einen niedrigeren Stundenlohn gewährt, weil es diese nicht in Dienste einteilt, sondern den geringfügig Beschäftigten frei zu wählende Dienste lediglich anbietet. Diese Unterscheidung zwischen fester Dienstplaneinteilung und Wunschterminen wendete das Unternehmen ausschließlich auf geringfügig Beschäftigte an und knüpft die Ungleichbehandlung bei identischer Tätigkeit als Rettungsassistent mittelbar doch an das Kriterium der Arbeitszeit an.
Die Entscheidung darf von Unternehmen, die vorschnell ohne Detailprüfung des konkreten Arbeitsmodells einen niedrigen Stundenlohn für bestimmte Teilzeitbeschäftigte ansetzen, als Schuss vor den Bug verstanden werden. Das Urteil des BAG räumt weiter mit der Illusion des geringfügig Beschäftigten als Arbeitnehmer zweiter Klasse auf und führt eindrucksvoll vor Augen, dass eine verbotene Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter bereits im Rahmen von – ohne böse Absichten – eingeführter vielfältiger Arbeitsmodelle versteckt lauern kann.
Der Autor Moritz Coché ist Rechtsanwalt in der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln. Er berät Unternehmen in sämtlichen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrecht mit einem Schwerpunkt auf tariflichen Restrukturierungen, betriebsverfassungsrechtlichen Reorganisationen sowie der Einführung, Modifikation und Beendigung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.
BAG zur Lohngleichheit für Minijobber: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50812 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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