Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg den Zeugen Jehovas die Anerkennung als öffentlich-rechtliche Körperschaft verweigert. Ein herber Schlag nicht nur für das Image der umstrittenen Glaubensgemeinschaft. Thomas Traub über die Vorgaben der Verfassung zum Umgang mit einer Gemeinschaft, für die der Staat des Grundgesetzes und staatliche Wahlen "Satanswerk" sind.
Der Kabinettsbeschluss vom 20. Dezember 2010, der jetzt bekannt wurde, könnte den Auftakt für einen langjährigen Rechtsstreit bilden. Bereits einmal hatte die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas – damals noch in der Rechtsform des eingetragenen Vereins – alle gerichtlichen Instanzen ausgeschöpft und vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Urteil erstritten.
Die Entscheidung führte dazu, dass der Religionsgemeinschaft 2006 in Berlin der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen wurde. In den folgenden Jahren haben sich insgesamt elf weitere Bundesländer Berlin angeschlossen und die Zeugen Jehovas ebenfalls als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt.
Baden-Württemberg stellt sich nun dagegen, die Landesregierung hat die Anerkennung als öffentlich-rechtliche Körperschaft verweigert. Eine Begründung für die Ablehnung ist noch nicht öffentlich bekannt, vieles spricht aber dafür, dass das Land die Religionsgemeinschaft für nicht rechtstreu hält. Eine Klage der Zeugen Jehovas ist nun zwar möglich, aber durchaus riskant.
Körperschaftsstatus: Wirtschaftlich und rechtlich vorteilhaft und gut für’s Image
Der Körperschaftsstatus als besondere Rechtsform für Religionsgemeinschaften ist historisch begründet, aber inzwischen bewährt. Erst im September 2010 hat sich der Deutsche Juristentag mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, den Körperschaftsstatus beizubehalten.
Mit der Ablehnung versagt Baden-Württemberg den Zeugen Jehovas diverse Vorteile. So können öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften von ihren Mitgliedern Steuern erheben (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung (WRV)). Sie sind berechtigt, Beamte einzustellen und Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, die nicht dem Sozialversicherungsrecht unterliegen.
Und auch in zahlreichen weiteren Gesetzen finden sich Privilegien, die nur den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften zugute kommen: Vergünstigungen im Gebührenrecht, Sonderregelungen im Arbeits- und Sozialrecht, besonderer Schutz im Strafrecht (zum Beispiel § 132a Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB)).
Von Bedeutung ist gerade für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die in der Öffentlichkeit oft kritisch beäugt und als Sekte bezeichnet wird, auch der Imagegewinn, der mit der Verleihung dieses Status' verbunden ist. Das Recht, sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu bezeichnen, wird von vielen Bürgern als eine Art staatlichen "Gütesiegels" angesehen.
Kein Monopol für christliche Volkskirchen
Kein Wunder also, dass Religionsgemeinschaft ein Interesse daran haben, den besonderen Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erwerben. Das ist auch für solche Religionsgemeinschaften möglich, die nicht wie vor allem die großen christlichen Kirchen schon traditionell Körperschaften des öffentlichen Rechts waren. Zuständig sind dafür die einzelnen Bundesländer, in denen die konkrete Rechtsform der Verleihung unterschiedlich geregelt ist.
In der Rechtswissenschaft wird teilweise die Auffassung vertreten, dass ein Bundesland, bei dem eine Religionsgemeinschaft dann die Zweitverleihung beantragt, an die Entscheidung des Bundeslandes gebunden sei, das den Körperschaftsstatus als erstes verliehen hat. Baden-Württemberg wäre also verpflichtet, der Entscheidung Berlins zu folgen und den Zeugen Jehovas ebenfalls den Körperschaftsstatus zu verleihen.
Für eine solche Bindung Baden-Württembergs an die Entscheidung Berlins und anderer Bundesländer gibt es jedoch keine Rechtsgrundlage. Es wäre auch nicht sinnvoll, wenn die baden-württembergische Landesregierung die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas als Körperschaft anerkennen müsste, obwohl sie vielleicht zusätzliche Informationen hat, die den Berliner Behörden gar nicht zur Verfügung standen.
Dies bedeutet aber nicht, dass das Kabinett von Ministerpräsident Mappus bei seinem Beschluss rechtliches oder gar politisches Ermessen ausüben könnte. Wenn die Zeugen Jehovas die Voraussetzungen für die Verleihung (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Weimarer Rechtsverfassung WRV erfüllen, dann haben sie einen Rechtsanspruch auf den Körperschaftsstatus.
Rechtstreue, aber keine Staatsloyalität
Und während die Zeugen Jehovas sicherlich durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die erforderliche Gewähr der Dauer bieten, ist das vom BVerfG für ebenfalls notwendig erklärte ungeschriebene Kriterium der Rechtstreue möglicherweise nicht so eindeutig erfüllt.
Eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft erhalten will, muss das geltende Recht beachten und darf durch ihr Verhalten weder fundamentale Verfassungsprinzipien noch Grundrechte Dritter gefährden. Vor allem die körperliche Unversehrtheit, das Kindeswohl und die Religionsfreiheit konkurrierender Glaubensrichtungen sind dabei wesentlich.
Eine besondere Loyalität zum Staat, die über diese Rechtstreue hinaus ginge, verlangt das BVerfG dagegen nicht. Deshalb darf den Zeugen Jehovas der Körperschaftsstatus auch nicht allein deshalb verweigert werden, weil in ihren religiösen Lehren der Staat des Grundgesetzes als "Bestandteil der Welt Satans" angesehen wird und ein religiöses Gebot die Teilnahme an staatlichen Wahlen verbietet.
Niemand kann, so die Karlsruher Richter, mit mathematischer Genauigkeit berechnen kann, ob das Kriterium der "Rechtstreue" erfüllt ist. Sie verlangen daher von den Behörden und Gerichten eine komplexe Prognose, in der eine Vielzahl von Informationen und Umständen berücksichtigt und gewürdigt werden muss. Bislang hat die baden-württembergische Landesregierung ihre Entscheidung öffentlich nicht im Detail begründet. Justizminister Goll verwies lediglich auf die Ergebnisses eines Gutachtens, für welches zahlreiche Gespräche mit Aussteigern geführt worden seien.
Es ist zu erwarten, dass die Zeugen Jehovas gegen die ablehnende Entscheidung klagen. Man darf dann gespannt darauf sein, mit welchen Tatsachen das Kabinett seinen Beschluss im Einzelnen begründet und ob die Gerichte die Einschätzung fehlender Rechtstreue bestätigen. Allerdings ist der Rechtsweg ist für die Zeugen Jehovas nicht ohne Risiko. Sollte sich die negative Beurteilung der Landesregierung als rechtlich zutreffend herausstellen, dürften auch in den übrigen Bundesländern Forderungen laut werden, ihnen den bereits erteilten Körperschaftsstatus wieder zu entziehen.
Thomas Traub ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln.
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Thomas Traub, Baden-Württemberg verweigert Körperschaftsstatus: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2398 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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