Der Atomausstieg vor dem BVerfG: Vertrauen der Energiekonzerne schon lange löchrig

Der Atomausstieg ist besiegelt, die Klagen sind vor dem BVerfG eingereicht – eine Entscheidung steht noch aus. Mit einem erfolgreichen Ausgang dürfen die Unternehmen allerdings nicht rechnen, meint Felix Ekardt. Der Atomausstieg sei nicht einmal eine ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung und stütze sich auf korrekt ermittelte Tatsachen.

Drei große Energiekonzerne haben im Sommer in Karlsruhe  Verfassungsbeschwerde gegen den letzten Atomausstieg aus dem Jahr 2011 eingelegt, der zur schrittweisen Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke bis 2022 führen soll.

Der Atomausstieg sei eine entschädigungspflichtige Enteignung oder zumindest eine verfassungswidrige Inhaltsbestimmung, weil er auf falschen Tatsachen beruhe und den Vertrauensschutz der Energiekonzerne missachte. Eine Argumentation, die nicht überzeugt – das Abschalten der Atomkraftwerke ist sehr wohl mit dem Grundgesetz vereinbar.

EU-Stresstest bietet Grundlage für Ausstiegsentscheidung

Der Atomausstieg ist schon keine Enteignung, sondern eine Inhaltsbestimmung. Das Gesetz greift nicht auf konkrete Gegenstände im Eigentum der Energiekonzerne zu; es trifft vielmehr eine allgemeine Regelung für die Zukunft. Eine Enteignung müsste mit einem Akt staatlicher Güterbeschaffung einhergehen, was beim Atomausstieg gerade nicht der Fall ist.

Der Atomausstieg ist also eine Inhaltsbestimmung, und noch nicht einmal eine ausgleichspflichtige. Die Belastung der Atomkonzerne ist auch ohne eine Entschädigung verhältnismäßig. Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit rechtfertigt ihn.

Die Gründe, die der Gesetzgebers zur Grundlage für den Atomausstieg gemacht hat, sind nicht zu beanstanden. Zwar kann man den Ansatz des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kritisieren, dem Gesetzgeber weitgehend freie Hand zu lassen, wenn es darum geht, die Tatsachengrundlage für Gesetzesvorhaben zu erheben; bei komplexen und unsicheren Fragen wie der Gefährlichkeit der Nukleartechnologie muss der Gesetzgeber aber zwangsläufig erhebliche Spielräume haben.

Eine ausreichende Tatsachengrundlage für den Atomausstieg dokumentiert etwa der EU-Stresstest für Atomkraftwerke und der Bericht der deutschen Reaktorsicherheitskommission, die das Umweltministerium berät. Stichworte sind das Attentatsrisiko sowie die Entsorgung des Atommülls; der Ausfall von Notstromaggregaten und Erdbeben sind auch in Deutschland ein Problem und nicht etwa nur im Tsunami-gefährdeten Japan. Atomstrom macht zudem nur rund drei Prozent der Weltenergieversorgung aus.

Deutschland ist nach wie vor Stromexporteur

Kritiker des Atomausstiegs übergehen gerne, dass der zügige Ausbau erneuerbarer Energien strukturell inkompatibel ist mit einer großen Anzahl von Atomkraftwerken. Die Unregelmäßigkeit von Wind und Sonne ist nur mit Großkraftwerken zu vereinbaren, die schnell regelbar sind, also mit Gas- und nicht mit Kohle- oder Atomkraftwerken. Letztere helfen also nicht wirklich beim Klimaschutz.

Außerdem hat der Atomausstieg nicht per se zu einer angespannten Netzsituation geführt; Deutschland ist nach wie vor Stromexporteur und nicht -importeur, obwohl die Hälfte der Atomkraftwerke bereits abgeschaltet ist.

Kein Vertrauensschutz

Die Energiekonzerne können sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie durften nämlich nur darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber willkürliche Änderungen vermeiden und ihnen damit die notwendige Verlässlichkeit für ihre Investitionen bieten würde. Willkürlich ist der Atomausstieg der schwarz-gelben Regierung aber keinesfalls.

Die Lernfähigkeit des Rechts ist notwendigerweise in unserer Grundrechtsordnung mitgedacht. Hinter den Grundrechten steht seit der Aufklärung die Vorstellung von Vernunft, die mit konstant wachsender Erkenntnis zu neuen, besseren Gesetzen führt.

Der Vertrauensschutz der Kläger war außerdem schon lange durchlöchert. Bereits seit 30 Jahren wird in Deutschland regelmäßig nicht nur bei den Grünen, sondern auch in der Volkspartei SPD eine Ausstiegswilligkeit artikuliert. Erst recht entzog aber der sogar im Konsens vereinbarte Atomausstieg von 2001 bzw. 2002 dem Vertrauen der Energiekonzerne in den Fortbestand ihrer Rechtspositionen jede Grundlage.

Energiekonzerne werden vor Gericht verlieren

Und selbst nachdem der Regierungswechsel 2010 zu einer zwischenzeitlichen Laufzeitverlängerung geführt hatte, mussten die Energiekonzerne angesichts eindeutiger und unmissverständlicher Erklärungen der Oppositionsfraktionen damit rechnen, dass eine andere Bundestagsmehrheit die alte Rechtslage wiederherstellen würde.

Hinzu kommt die historische Verflechtung der Energiekonzerne mit dem Staat und die jahrzehntelange staatliche Förderung in Form von Forschungsförderung auf europäischer und nationaler Ebene, Finanzierungshilfen bei der Errichtung von Kraftwerken und dem Verzicht auf eine angemessene Haftpflichtversicherung des Unfallrisikos.

Die Klagen der Energiekonzerne gegen den Atomausstieg von 2011 werden daher keinen Erfolg haben.

Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. Jurist, Philosoph und Soziologe, Universität Rostock, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, ist politikberatend im Klimaschutz tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen Energie- und Klimaschutzrecht, WTO-Recht, Gerechtigkeits- und Menschenrechtstheorie und transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.

Zitiervorschlag

Felix Ekardt, Der Atomausstieg vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8020 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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