Asylrecht: Schützt die Verfassung vor Abschiebungen nach Griechenland?

Marei Pelzer

28.10.2010

Ein irakischer Flüchtling wehrt sich gegen seine Abschiebung nach Griechenland. Im vorläufigen Verfahren bekam er Recht. Nun hat das BVerfG darüber zu entscheiden, wie viel Rechtsschutz Asylsuchenden zusteht, für die nach "Dublin II" ein anderer EU-Staat zuständig ist. Marei Pelzer von PRO ASYL über die Hoffnung auf eine Rückkehr zum rechtsstaatlichen Normalzustand.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verhandelt am Donnerstag zu den so genannten Dublin-Überstellungen von Asylsuchenden nach Griechenland. Die Verfassungsbeschwerde hatte ein Flüchtling aus dem Irak eingelegt, der über Griechenland nach Deutschland geflohen war. Statt eines Asylverfahrens erhielt er die Mitteilung, er müsse zurück nach Griechenland. Das Land sei aufgrund des europäischen Zuständigkeitssystems "Dublin II" zuständig.

Nach Griechenland will der Betroffene jedoch keinesfalls zurück. In Griechenland befinden sich Flüchtlinge in einer katastrophalen Lage. Das Land sorgt weder für eine einigermaßen menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen noch bekommen diese Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren. Die Anerkennungsquote im Jahr 2009 lag in Griechenland nur knapp über null Prozent.

Hintergrund der drohenden Abschiebung nach Griechenland ist eine Zuständigkeitsregelung der EU, wonach in der Regel der Einreisestaat für das Asylverfahren zuständig ist. Hinter dem klagenden Iraker steht eine große Zahl weiterer Fälle, in denen sich Asylsuchende gegen ihre Abschiebung zur Wehr setzen.

Das BVerfG hat die Überstellung des irakischen Beschwerdeführers nach Griechenland mit Beschluss vom 8. September 2009 (Az. 2 BvQ 56/09) und bis heute in zwölf weiteren Fällen vorläufig gestoppt. Nach Ansicht des Gerichts ist aufgrund ernst zu nehmender Quellen zu befürchten, dass das griechische Asylsystem nicht europäischen Standards entspricht. Nun steht eine Grundsatzentscheidung in Karlsruhe bevor.

Wie viel Ausnahme braucht der Ausschluss vom Eilrechtsschutz?

Das höchste deutsche Gericht wird in der Hauptsache zu klären haben, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen Schutz vor Rücküberstellungen in Staaten wie Griechenland zu gewähren ist, in denen das Asylsystem massive Mängel aufweist.

Damit steht auch eine Änderung des Grundgesetzes (GG) von 1993 auf dem Prüfstand. Der damals eingefügte Artikel 16 a GG sieht vor, dass Asylsuchende auch ohne Gewährung von Eilrechtsschutz in so genannte "sichere Drittstaaten" abgeschoben werden können.

Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Griechenland wurden von Verfassungs wegen als sicher qualifiziert. Eine Ausnahme von dem Sofortvollzug der Abschiebung ließ das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung zur Asylrechtsänderung im Jahr 1996 nur in Extremfällen zu, wenn zum Beispiel der angeblich sichere Staat selbst zum Verfolgerstaat wird.

Die Bundesrichter selbst formulierten nun im September 2009 in ihrer Pressemitteilungen zum Eilbeschluss im Fall des Irakers: Die Verfassungsbeschwerde "gibt Anlass zur Untersuchung, ob die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 [...] entwickelten Vorgaben zu den verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmen vom Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebung von Asylantragstellern in für die Behandlung des Asylbegehrens zuständige Drittstaaten zu präzisieren sind.

Darüber hinaus ist zu klären, ob Fallkonstellationen denkbar sind, in denen die Abschiebung eines Asylantragstellers in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union im vorläufigen Rechtschutz ausgesetzt werden darf, wie dies europarechtlich nach der Dublin-II-Verordnung möglich ist."

Rückkehr zum rechtsstaatlichen Normalzustand ein Muss

Unabhängig davon, wie das BVerfG letztlich entscheiden wird, müssen die fundamentalen Rechte von Asylsuchenden aufgrund der Europäisierung des Asylrechts geachtet werden.

Denn nicht nur das Grundgesetz garantiert mit Artikel 19 Abs. 4 das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz, sondern auch Artikel 47 der EU-Grundrechte-Charta. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Eilrechtsschutz zu erlangen.

Für Asylsuchende in der EU heißt dies, dass sie nicht wie eine rechtlose Masse von einem EU-Staat in den nächsten verschoben werden dürfen. Sie haben Rechte – und deren Einhaltung muss gerichtlich einklagbar sein. Dies ist eigentlich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit.

Doch ebendiese war in Deutschland seit 1993 für Asylsuchende verloren gegangen. Jetzt scheint die Zeit reif, ein wenig Rechtsstaat auch für Asylsuchende wieder zurückzugewinnen. Führt der Weg über Karlsruhe in eine Sackgasse, muss der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) den Grundrechten der Asylsuchenden zum Durchbruch verhelfen.

Ein britisches Gericht hat bereits am 12. Juli dieses Jahres den EuGH angerufen und zur Klärung grundlegender Fragen aufgefordert.

Die Autorin Marei Pelzer ist rechtspolitische Referentin bei PRO ASYL.

Zitiervorschlag

Asylrecht: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1814 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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