Anwälte müssen Zustellungen von Anwalt zu Anwalt nicht entgegennehmen, sagt das Anwaltsgericht Düsseldorf. Auch nicht, wenn es wirklich eilig ist, etwa bei der Vollziehung einstweiliger Verfügungen. Ein Lehrstück über rechtsstaatliche Ärgernisse, berufsrechtliche Defizite und neue Haftungsfallen für Anwälte, findet Volker Römermann.
Ein Fall aus dem wettbewerbsrechtlichen Alltag: Eine einstweilige Verfügung wird beantragt. Sie wird erlassen – bis dahin perfekt gelaufen für den Antragsteller respektive Kläger – und dann sieht das Gesetz eine Zustellung binnen Monatsfrist vor. Der Grundgedanke dahinter: Wer nicht binnen Monatsfrist vollzieht – hier also: durch Zustellung -, der kann es auch nicht so eilig gehabt haben und die ergangene Verfügung ist dann wieder aufzuheben.
Soweit die Theorie reicht, ist das System plausibel. Die Praxis indes kämpft mit einer Unbekannten, deren Unwägbarkeiten sich allzu oft in für den Kläger verheerenden Ergebnissen auswirken: dem Gericht. Hat man die erste Hürde des Richters übersprungen, ist es damit noch lange nicht getan.
Nun steht nämlich dessen Geschäftsstelle vor der offenbar noch komplexeren Aufgabe, diese Entscheidung in ordentlicher Weise und mit Stempel zu Papier sowie das Ganze dann im Umschlag auch noch zur Post oder zum Gerichtsfach zu bringen. Dabei können Wochen vergehen. In dieser Zeit tickt für den Antragsteller und dessen anwaltliche Vertreter die Uhr.
Vollziehungsversuch last minute
So auch in dem Fall, über den das Anwaltsgericht (AnwG) Düsseldorf zu entscheiden hatte: Am 4. Juli war dem Klägervertreter die vollstreckbare Ausfertigung einer Verfügung vom 5. Juni zugegangen. Damit hatte er noch ganze zwei Tage für die Zustellung. Nun war Eile geboten. Am 5. Juli versuchte der Rechtsanwalt, beim anwaltlichen Vertreter des Beklagten zuzustellen: per Email, Fax und Boten, jeweils mit Empfangsbekenntnis, von Anwalt zu Anwalt.
Der Beklagten-Anwalt nutzte den 5. Juli derweil sinnvoll: Er versuchte, in einer Art Crash-Selbstlernkurs berufsrechtliche Kenntnisse zu erwerben beziehungsweise zu erweitern, um herauszufinden, ob er die Zustellung wohl entgegennehmen müsse.
Beachtlich, was er alles unternahm: Er kontaktierte die Anwaltskammer Düsseldorf ebenso wie die Kölner Kollegen, fragte einen befreundeten Richter um Rat und erwarb berufsrechtliche Literatur. Schließlich fragte er den Mandanten. Der wies – erwartungsgemäß – seinen Anwalt an, das Schriftstück nicht anzunehmen.
So geschah es. Die Zustellung war gescheitert, die Vollziehung nicht rechtzeitig, der im Verfahren siegreiche Kläger musste auf die Rechte aus dem Urteil verzichten und wurde mit Kosten belastet.
Sein Prozessbevollmächtigter zeigte den Kollegen der Gegenseite an, der die Zustellung verweigert hatte. Dieser wurde nun freigesprochen. Der "zustellende Rechtsanwalt hätte den Weg der Zustellung über den Gerichtsvollzieher wählen müssen", heißt es im Urteil des Anwaltsgerichts Düsseldorf (v. 17.03.14, Az. 3 EV 546/12). Rechtskräftig ist die Entscheidung nicht, nach Angaben sowohl des Pressesprechers des Anwaltsgerichts in Düsseldorf als auch des Anwaltsgerichtshofs in Hamm hat der Generalstaatsanwalt Berufung eingelegt.
Unmögliche Pflichten erfüllen
"Die Kammer verkennt nicht, dass ihm dies im vorliegenden Fall aus Zeitgründen faktisch nicht mehr möglich gewesen war" – die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher war also eine Pflicht, deren Erfüllung das AnwG selbst für unmöglich hält. Indes: "Er hätte bei dem Gericht darauf drängen können und müssen, dass ihm das Urteil wegen der Eilbedürftigkeit früher zugestellt würde. Außerdem ist nicht erkennbar, aus welchem Grund er nach Eingang des Urteils (…) noch einen Tag mit der Zustellung (…) gewartet hatte (...)".
Derartige Anforderungen aus der Feder eines Anwaltsgerichts lesen sich befremdlich, waren diese Gerichte doch dereinst zu dem Zweck als besonderer Rechtszug installiert worden, gerade den Sachverstand und Erfahrungshorizont der Anwaltsrichter zu nutzen. Sie sollten aus ihrer Praxis schöpfen und keine lebensfremden Forderungen erheben.
Fast 150 Jahre später darf festgehalten werden: Diesen Zielen werden Anwaltsgerichte in keiner Instanz gerecht. Auch mit der personellen Besetzung hat sich die Anwaltschaft keinen Gefallen getan. Gerade die anwaltlichen Richter neigen zu scharfen Urteilen über ihre Berufskollegen und "Marktbegleiter". Dass sie nur Richter werden, wenn die Kammer sie vorschlägt, um deren Bescheide es vor den Anwaltsgerichten dann geht, ist ein weiteres rechtsstaatliches Ärgernis und wirkt nicht qualitätssteigernd.
Das Ende der Anwaltszustellung?: . In: Legal Tribune Online, 26.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12093 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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