Ein Gesetzentwurf des DAV schlägt umfassende Reformen des anwaltlichen Gesellschaftsrechts vor. Nicht schlecht für den Anfang - aber er kneift genau dort, wo es am wichtigsten wäre, meint Volker Römermann.
Im März 2019 hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) seinen Vorschlag für eine Neuordnung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts präsentiert. Dem war 2018 ein von Martin Henssler formulierter Diskussionsentwurf vorausgegangen.
Eine Änderung zwischen den beiden Entwurfsfassungen sticht besonders ins Auge: Der DAV verzichtet auf eine Regelung zu "auswärtiger Kapitalbeteiligung".
Alle Gesellschaftsformen und ein Register
Im Grunde sämtliche Rechtsformen sollen Anwälten zukünftig zur Verfügung stehen, auch die Kommanditgesellschaft und sogar die GmbH & Co. KG.
Unbefangene Leser werden das achselzuckend quittieren mit Gedanken wie "Warum auch nicht?". Tatsächlich wäre diese Revolution wohl keiner Notiz wert, wäre da nicht eine erbittert geführte, ideologisch aufgeheizte, stark politisierte Debatte unter Einschluss mehrerer BGH-Entscheidungen gewesen. Ein Register für alle Anwaltssozietäten soll es geben, auch für die BGB-Gesellschaft, auch das ist neu.
Konsequent betrachtet könnte dann endlich die Rechtsprechung zu "Scheinsozien" ad acta gelegt werden. Sie trieb in den vergangenen Jahren noch seltsame Blüten bis hin zu der - dann auch noch von der herrschenden Meinung vertretenen - Idee, auch bei Gesellschaftsformen mit gesetzlichem Register, vor allem also der Partnerschaft, sei noch Raum für "Schein"-Partner.
Die offizielle Zulassung nicht mehr nur der einzelnen Anwälte, sondern darüber hinaus einer Sozietät als solcher durch die zuständige Anwaltskammer befürwortet der DAV, allerdings nicht generell, sondern nur in einigen Fällen. Wenn die Struktur simpel ist (maximal zehn aktive Anwälte oder unbeschränkte Haftung), geht es auch ohne. Ausgerechnet da, wo die Zulassung in wenigen Minuten erledigt wäre, soll den Kammern also der Aufwand erspart bleiben.
Anwaltskonzerne mit Compliance Officer
Sozietäten sollen den Namen "Anwaltsgesellschaft" nur tragen dürfen, wenn sie mehrheitlich aus beruflich aktiven Rechtsanwälten bestehen. In einen derartig unzugänglichen Kodex geheime Sprachnachrichten zu verpacken, mag im gelehrten Elfenbeinturm Entzücken auslösen, geht aber an der Lebenswirklichkeit des Publikums um Lichtjahre vorbei.
Wer an Mehrheitserfordernissen festhalten will, sollte das klar bekennen und sich nicht hinter Gesetzentwürfen verstecken, die vom Thema im Grunde wegführen und allenfalls den Anschein einer Lösung erwecken könnten. Mehrheitszwänge hat das BVerfG indes in den vergangenen Jahren partiell als verfassungswidrig eingestuft und vor diesem Hintergrund erklärt sich womöglich jenes hilflos anmutende Unterfangen.
Anwaltskonzerne sollen zulässig werden: Gesellschaften mit Berufsträgern also, die sich an anderen Berufsausübungsgesellschaften beteiligen. Auch hier gilt: "Warum nicht?", und spätere Betrachter der Gesetzesnovelle werden sich nicht mehr erklären können, wozu es jemals Restriktionen gab. "Sehr vorsichtig" soll indes, so die Entwurfsbegründung des DAV etwas überraschend, die Liberalisierung ausfallen. Anwaltsgesellschaften als Konzernmütter: ja. Steuerberatungsgesellschaften, die sich an Anwaltssozietäten beteiligen: nein, da sollen es doch lieber weiter natürliche Personen sein. Das führt zu weiteren Wertungswidersprüchen. In den berufsrechtlichen Dschungel wird zwar eine Schneise geschlagen, zum gepflegten Garten wird er so aber nicht.
Jede Sozietät soll gegenüber der Rechtsanwaltskammer ein für die Einhaltung der Berufspflichten "primär verantwortliches" Mitglied der Geschäftsführung benennen, das auch für die Einrichtung eines effektiven Compliance-Management-Systems zu sorgen habe. Auch Rechtsanwälte sollen also ihr Recht beachten und weil sie es nicht von alleine tun, wird ihnen eine Aufsichtsstruktur verordnet. Bei einem Beruf, der im ersten Paragraphen des Berufsgesetzes als "Organ der Rechtspflege" apostrophiert wird, mag das überraschen, die Wirklichkeit gibt aber durchaus Anlässe dazu, an so etwas zu denken. Die "primäre" Verantwortung entlässt die anderen Rechtsanwälte übrigens keineswegs aus der Haftung, sondern lässt deren Pflichten gänzlich unberührt, heißt es explizit im Entwurf.
Andere Berufe, aber bitte kein Kapital
Das alles waren noch Punkte, die auch für konservative Berufsangehörige ohne nachhaltigen Widerstand konsensfähig sein könnten. Jetzt aber geht es ans Eingemachte: Die Möglichkeiten interprofessioneller Zusammenarbeit sollen deutlich ausgebaut werden. Das wesentliche Kriterium für die Beurteilung der Sozietätsfähigkeit soll die "Vereinbarkeit" sein.
Was das wiederum bedeutet, lässt sich dem Wortlaut nur insoweit entnehmen, als dort Beispiele benannt sind: Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc. Offenbar soll es dabei aber gerade nicht sein Bewenden haben, diese – gefühlt "bekannten" – Berufe werden "insbesondere" in ein normatives Schaufenster gestellt, aber geschlossen ist der Kreis damit keineswegs.
Noch schlimmer hätte es kommen können, so wird mancher denken, wenn der DAV-Vorstand noch einen weiteren Tabubruch aus dem Diskussionsentwurf mit den Weihen der verbandspolitischen Billigung versehen hätte. Ursprünglich war eine Öffnung für Investoren erwogen worden. Im Berufsrecht wird das unter der Bezeichnung "auswärtige Kapitalbeteiligung" diskutiert, als wenn Gesellschafter auswärtig wären. Im Kern geht es um Teilhaber, die nicht aktiv den Anwalts- oder einen vereinbaren Beruf ausüben. Der DAV hatte dazu vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) erfahren, dass man eine Gesetzes-Initiative plane. Kleine und innovative Anbieter auf dem Rechtsberatungssektor hätten Kapitalbedarf und das soll wohl harmonisch abgestimmt werden mit Anwälten und Anderen, nicht zuletzt Inkassounternehmern.
Verteilung des Marktes
An dieser Einschätzung ist richtig, dass Unternehmer zuweilen Kapital benötigen. Warum nun kleine und nicht auch große Anbieter von den fürsorglichen Gedanken des Ministeriums umfasst sind, erschließt sich kaum; auch nicht, was den Rechtsberatungssektor so grundlegend von anderen unternehmerischen Gebieten unterscheiden könnte, dass hier die kategorische Abwehr von Kapital besonders nottäte.
Dem Ganzen liegt womöglich der Gedanke zugrunde, dass Kapital, das von Investoren stammt, per se mit Misstrauen, das hingegen, das aus Erbschaften, Lottogewinnen oder eigener Schaffenskraft gewonnen wurde, mit Wohlwollen zu betrachten sei. Das Problem ist nur, dass das RVG tendenziell nicht darauf ausgelegt ist, den Weg zum Millionär zu ebnen. Anwaltliche Kapitalkraft ist daher typischerweise begrenzt, große Sprünge etwa bei Infrastruktur, Personal, Literatur und last but not least der Legal-Tech-Ausstattung sind da kaum drin.
Kein Wunder, dass andere Player im Begriff sind, die Anwaltschaft mit ungebremster Kapitalkraft aus der Vorherrschaft über viele Bereiche rechtlicher Leistungen zu verdrängen. Der DAV schreckt just an dieser Stelle, wo es um das große Ganze, die Verteilung des Kuchens geht, vor der eigenen Courage zurück und präferiert es, anstelle eines eigenen Vorschlages auf das Ministerium zu warten. Vielleicht kommt Godot ja rasch und hat den rettenden Gesetzentwurf unter dem Arm. Darin könnte etwa stehen, dass zwischen komplettem Verbot und völliger Freigabe Schattierungen möglich wären, die Öffnung für Investoren unter gesetzlich definierten Bedingungen etwa.
Fortschritt durch Anregung
Im Ergebnis kann schon als Fortschritt betrachtet werden, dass DAV und – deutlich kraft- und phantasieloser – die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) nun doch noch Vorstöße unternehmen, um das anwaltliche Gesellschaftsrecht aus dem Morast herauszuschubsen.
Ob der Gesetzgeber sich der Anwaltschaft erbarmt? Sich vielleicht sogar in einem Sturm kreativer Schaffenswut dazu aufschwingt, dem Rechtsberatungssektor einen Rahmen für zukünftige Entwicklungen zu verleihen, der nicht nur Hürden errichtet, sondern eine Basis legt für zukunftsweisende Strukturen? Das BMJV hat Anlässe, über eine Fortentwicklung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts nachzudenken, das ist schon ein Wert an sich. Nach jahrelangem Stillstand ist Bewegung zu spüren. Möge die weitere Diskussion die richtige Richtung einschlagen und nicht von Bedenkenträgern im Keim erstickt werden. Wenn sich die Anwaltschaft im Rechtsberatungssektor noch erfolgversprechend aufstellen will, ist es höchste Zeit.
Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht sowie für Arbeitsrecht und Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Eine ausführliche Stellungnahme des Autors zum DAV-Diskussionsentwurf findet sich in der GmbH-Rundschau 7/2019 vom 1. April 2019.
Anwaltliches Gesellschaftsrecht: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34561 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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