Bauernprotestler, Klimaaktivisten, Kinderschänder, Rüstungskonzerne: Alle brauchen früher oder später anwaltlichen Rat. Die Generation Z will aber nicht mehr alle Mandate annehmen, sagt eine Studie aus UK. Doch was darf man ablehnen?
Die große Mehrheit junger Anwält:innen möchte aus ethischen Gründen Mandate ablehnen dürfen. Zwei Drittel der Befragten äußerten dies laut einer Studie des britischen Rechtsdienstleisters Obelisk Support. Die Realität sieht allerdings anders aus: Tatsächlich durften dies laut der Studie nur 18 Prozent der Befragten. Eine weitere Zahl ist erhellend: Auch gegen ein höheres Gehalt würden dreiviertel der jungen Anwält:innen keinen Arbeitgeber wählen, der ihre Werte nicht teilt, so die Studie aus UK.
Dana Denis-Smith, CEO von Obelisk Support, kennt die Gründe: Eine überwältigende Zahl der Teilnehmer an der Umfrage unter Junioranwält:innen (86 Prozent) hätten angegeben, dass sie durch ihre Arbeit einen positiven Wandel in der Gesellschaft bewirken wollten. Die Generation Z (GenZ) sei sich dabei durchaus der Notwendigkeit bewusst, auch Gewinne zu generieren. Allerdings sollen dies gute Gewinne sein – und nicht auf Kosten etwa der Umwelt oder des Klimas gehen. Finanzen und Werte sollten vielmehr in Einklang gebracht werden. Smith ist überzeugt: Kanzleien und Rechtsabteilungen, die talentierte Mitarbeiter:innen anziehen und binden wollen, können nicht einfach die Gehälter von Nachwuchsjurist:innen erhöhen. Sie müssen sich eher überlegen, für welche Mandant:innen sie tätig werden wollen und welche Pro-bono-Arbeit sie leisten.
Generation stellt sich die "Strafverteidiger-Partyfrage"
"Was für Spacken", kommentierte der Markenrechtsanwalt Christian Franz auf X die Ergebnisse der Studie. Eine Anwaltskanzlei, die "Werte vertritt", solle von der Erde verschluckt werden. Der Job liege darin, Mandanten zu vertreten. "Wir sind die last line of defence (Red.: Die letzte Verteidigungslinie). Wir vertreten Kinderschänder und Holocaust-Leugner", schreib er. Offenbar habe "eine ganze Nachwuchsgeneration nicht verstanden, was den Anwaltsberuf im Kern ausmacht. Die stellen sich selbst die Strafverteidiger-Partyfrage. Mit zwei Staatsexamina!"
Anwältin Rita Schulz-Hillenbrand schreibt: "Wer meint, sich Mandate von Beginn an aussuchen zu können, hat den Auftrag des Rechtsanwalts missverstanden. Er wird sicherlich kein schlechter Parteivertreter, aber sicher kein Organ der Rechtspflege."
Für den Anwalt Chan-jo Jun ist dies hingegen "kein Problem, sondern eine Chance. Man braucht nicht mit immer höheren Gehältern zu werben, sondern kann die GenZ mit Arbeitsbedingungen überzeugen", schreibt er auf X. Seine Kanzlei nehme "nur Fälle an, für die sich Bearbeiter freiwillig melden".
BRAK: Anwälte können sich ihre Mandate aussuchen
Doch wie sieht es berufsrechtlich aus? § 44 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ist scheinbar eindeutig: Danach muss ein Rechtsanwalt, der "(…) den Auftrag nicht annehmen will, die Ablehnung unverzüglich erklären"; weitergehende Voraussetzung sieht diese Vorschrift in der BRAO nicht vor. "Nach der gesetzlichen Regelung können sich Anwält:innen also grundsätzlich aussuchen, in welchen Fällen sie beraten möchten, es besteht Vertragsfreiheit", sagt Christian Dahns, Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Das gelte auch dann noch, wenn das Mandat bereits angenommen ist. "Es handelt sich bei der Mandatierung um einen Geschäftsbesorgungsvertrag, § 675 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das ist ein normaler Vertrag, der auch gekündigt werden kann. Diese darf nur nicht zur so genannten Unzeit erfolgen – also etwa unmittelbar vor oder während eines Verhandlungstermins", erklärt Dahns.
Anwält:innen sind aber auch Organe der Rechtspflege, § 1 BRAO – und daraus folgen doch einige Pflichten. Denn jede und jeder hat das Recht auf eine:n Anwält:in, und falls nötig kann das Gericht die Beiordnung verfügen. Das gilt im Zivil- und im Strafprozess mit der Beiordnung und der Pflichtverteidigung, §§ 48, 49 BRAO. Außergerichtlich kann zudem eine Beratungshilfe bzw. für gerichtliche Verfahren eine Prozesskostenhilfe verfügt werden, wenn die rechtsuchende Person über keine eigenen ausreichenden finanziellen Mittel verfügt – auch solche Mandate müssen übernommen werden, wenn es keine hinreichenden Gründe gibt, diese Mandate abzulehnen. Das können etwa nachweisbare Interessenkonflikte, Überlastung oder auch Krankheit sein.
In der Praxis stellen diese Fälle aber keine Probleme dar, sagt Dahns, denn es gebe bei den Gerichten oder Kammern häufig Listen von Anwält:innen, die beispielsweise Pflichtverteidigungen gerne übernehmen. Ferner kann man im bundeseinheitlichen Anwaltsverzeichnis der BRAK ganz gezielt nach Anwält:innen mit Interesse an Pflichtverteidigungen suchen. Dann andere Personen zu bestimmen, die die Arbeit mit Widerwillen ausführen würden, sei für keine:n Beteiligte:n zielführend. Er habe so etwas auch noch nicht erlebt.
Auch bei der Vertretung einer Anwält:in oder bei der Abwicklung einer Kanzlei im Todesfall eines Anwalts, müssen die Mandate von Kolleg:innen übernommen werden. "In der Praxis stellen sich auch hier in der Regel keine Probleme, die für die Abwicklung zuständigen Kammern haben für diese Fälle regelmäßig Kontakte zu erfahrenen Anwält:innen, die auch diese Fälle freiwillig übernehmen", erklärt Dahns. Für selbstständig arbeitende Anwält:innen in Deutschland sehe er also keine Gefahr, ungewollte Mandate bearbeiten zu müssen, so der Geschäftsführer der BRAK.
Anders könne das aber bei angestellten Anwält:innen aussehen.
Ablehnung von Mandaten bei einigen Kanzleien im UK fest etabliert
Für die ist es vielleicht die Schadensersatzklage des Energiekonzerns RWE auf 1,4 Milliarden Euro gegen Klimaaktivisten, die Vertretung des TÜV Süd gegen die Schadensersatzforderung der Opfer des Dammbruchs in Brasilien, die Klage gegen das Textilunternehmen Kik nach einem für 258 Menschen tödlichen Brand bei einem Zulieferer oder auch die Gewerkschaft der Lokomotivführer beim nächsten Streik der Deutschen Bahn: Rechtlich können Jurist:innen diese Fälle spannend finden – ethisch möchten sie vielleicht nicht auf der Seite der Unternehmen stehen.
Was also, wenn die eigene Kanzlei den Fall berät – und man selbst Associate ist und im Team mitarbeiten soll – und das nun beispielsweise aus ethischen Gründen wirklich nicht möchte? "Früher hätte man sich vermutlich nicht getraut, das anzusprechen", meint Dahns. Die GenZ aber sei selbstbewusster geworden, was sicherlich auch am arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt liege. "Da ist es einfacher, Forderungen zu stellen und auch durchzusetzen", so der BRAK-Geschäftsführer.
In UK ist es längst möglich, Mandate abzulehnen. Anlässlich des Obelisk-Reports berichtet ein Umfrageteilnehmer von einem Veganer, der sich weigern durfte, bei der Beratung eines Fischereibetriebes mitzuwirken. Dort sind einige Kanzleien inzwischen sogenannte B-Corporations (Benefit-Corporation). Das sind von dem non-profit Netzwerk B-Lab zertifizierte Unternehmungen, die sich für einen Mehrwert für Gesellschaft und Umwelt einsetzen. Die Londoner Kanzlei Bates Wells wurde als erste Anwaltskanzlei im Vereinigten Königreich zu einer B-Corporation. Dort ist die Ablehnung von Mandanten aus ESG-Gründen (Environmental, Social and Corporate Governance) fest etabliert. Auch in Deutschland sind bereits über 100 Unternehmen als B-Corporation zertifiziert – rein deutsche Kanzleien sind nicht darunter, allerdings gebe es "Bestrebungen von zwei Steuerberatungen/-beratungsgesellschaften, die die Zertifizierung anstreben", teilte B-Lab Deutschland auf LTO-Anfrage mit.
Als Arbeitgeber haben Kanzleien grundsätzlich ein Weisungsrecht
Auch ohne diese Zertifizierung dürfen Anwält:innen etwa bei GvW Graf von Westphalen die Mitarbeit an Mandaten ablehnen. "Wenn eine Person sagt, dass sie aus einem nachvollziehbaren Gewissenskonflikt nicht an einem Mandat mitarbeiten möchte, dann ist das bei uns möglich", sagt Christof Kleinmann, Managing Partner der Kanzlei. Es müsse aber ein ernstzunehmender Konflikt sein. GvW habe selbst früh begonnen, sich als Kanzlei nachhaltig aufzustellen und sich mit ethischen Fragestellungen in diesem Kontext zu beschäftigen und habe das Bekenntnis zum nachhaltigen Wirtschaften als Zielbestimmung in die Satzung aufgenommen. "Da wäre es nicht sehr glaubhaft, wenn wir überzeugende Argumente von Mitarbeitenden nicht ernst nehmen würden", so Kleinmann.
Arbeitsrechtlich sei das ein anderes Thema: Da haben die Arbeitgebenden nach § 106 Gewerbeordnung das Weisungsrecht, weitere Aufgaben ergeben sich oft aus dem Arbeitsvertrag. "Aber was habe ich als Kanzlei davon, wenn ich hier auf das Arbeitsrecht pochen würde? Gute Arbeit bekomme ich dann, wenn die Menschen dahinterstehen", so Kleinmann, auch Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Dr. Hans-Hermann Aldenhoff, Country Head Deutschland von Simmons & Simmons, bestätigt, dass eine Kanzlei die Mitarbeit an Mandaten über das Direktionsrecht vorgegeben kann – grundsätzlich hält auch er das aber nicht für sinnvoll. "Sicherlich würden und möchten wir auf die Belange von einzelnen Mitarbeitenden Rücksicht nehmen", sagt Aldenhoff. Wenn es aber um eine generelle Ablehnung von Kernmandanten der Kanzlei gehe, sei es womöglich die falsche Kanzlei. Simmons & Simmons etwa hat sich selbst bereits Beschränkungen auferlegt: "Wir haben aus ESG-Gründen die Beratung von Zigarettenherstellern ausgeschlossen", so Aldenhoff. Simmons gehört zu den Kanzleien, die in UK bereits als B-Corporation zertifiziert sind.
Dass derartige Entscheidungen grundlegende Probleme für die Unternehmen bedeutet, befürchtet Aldenhoff nicht: "Es wird immer Anwälte geben, die für auch derartige Unternehmen tätig werden", sagt der Anwalt, im Zweifel gebe es bei derartigen Management-Entscheidungen einer Kanzlei einen Spin-off von Anwält:innen.
"Keine berufsrechtliche Konferenz, auf der nicht darüber diskutiert wurde"
Die Diskussion über die Vertretung bestimmter Mandanten wird also auch international geführt. "Keine berufsrechtliche Konferenz in den letzten zwei Jahren, sei es in den USA, UK, Australien, Schweden, auf der über dieses Thema nicht diskutiert worden ist", schreibt Professor Dr. Matthias Kilian, Direktor des Instituts für Anwaltsrecht an der Uni Köln, auf Linkedin. Kilian war es auch, der die Studie zu den jungen Anwält:innen auf X verbreitet hatte.
Neu ist die Diskussion nicht. Johannes Brand, Partner bei Buse, erinnert auf Linkedin an die Vertretung der RAF durch Otto Schily und Christian Ströbele, die auf extremen Widerstand gestoßen sei. Derartige Vertretungen seien für den Rechtsstaat enorm wichtig. Andererseits hätten "Anwälte keinen hippokratischen Eid geschworen und sind eben nicht gezwungen, jeden Mandanten, der uns in der Notaufnahme angeliefert wird, zu behandeln. Wir können wählen". Und es helfe durchaus, "wenn man sich nicht jedes Mal auf die Zunge beißen muss, wenn man mit dem eigenen Mandanten telefoniert".
Vielleicht also ist die GenZ gar nicht so besonders.
"Alles Spacken" oder "Gewissensentscheidung": . In: Legal Tribune Online, 13.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54084 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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