2/2: "Strafbarkeit sollte an Ausreiseverbot anknüpfen"
LTO: Wie sähe denn eine verfassungsgemäße Alternative aus?
Gazeas: Die Strafbarkeit sollte an ein zuvor ausgesprochenes Ausreiseverbot anknüpfen. Ein solches kann und wird bereits heute gegenüber Deutschen wie auch Ausländern verhängt. Auch bei ausreisewilligen Islamisten ist dies bereits in der Vergangenheit geschehen. Die entsprechenden Regelungen stehen im Passgesetz, im Personalausweisgesetz und im Aufenthaltsgesetz.
Wer gegen ein Ausreiseverbot verstößt, macht sich strafbar, schon nach geltendem Recht. Diese Strafvorschriften sollten modifiziert werden. Insbesondere wäre der derzeit sehr geringe Strafrahmen zu erhöhen. Ich habe hier einen Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgeschlagen.
Damit würde der Gesetzgeber einen verfassungsrechtlich weitaus sichereren Weg einschlagen und das – wie gesagt durchaus legitime – Ziel auf grundrechtsschonendere Weise erreichen.
Auch der Nachweis der Tat wäre viel leichter zu führen: Es reicht, dass jemand, gegen den ein Ausreiseverbot ergangen ist, versucht hat, trotzdem auszureisen. Wird die Person am Flughafen oder an einem Grenzübertritt angetroffen, ist dieser Nachweis, der im Kern an objektive Umstände anknüpft, ohne Probleme möglich. Im Ergebnis würde man, vermute ich, nach dieser Lösung weitaus mehr Täter überführen können als dies wegen der hohen Anforderungen an die innere Tatseite nach der StGB-Lösung der Fall wäre.
"Ebenso effektiv wie der Vorschlag der Koalition"
LTO: Aber wie effektiv ist ein Vorschlag, der ein vorheriges Ausreiseverbot verlangt?
Gazeas: In meinen Augen im Ergebnis ebenso effektiv wie der Vorschlag der Koalition. Die Sicherheitsbehörden sind – so die Aussagen von Praktikern und Politikern – in aller Regel über die Ausreisepläne von Islamisten im Bild. Eine effektive Gefahrenabwehr gebietet es in solchen Fällen meines Erachtens ohnehin, begleitend gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen wie einen Passentzug, eine Beschränkung der Gültigkeit des Personalausweises auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Ausreiseverbot) und, sobald und soweit dies Gesetz wird, die Ausstellung eines Ersatz-Personalausweises in Erwägung zu ziehen und in aller Regel auch anzuordnen. Auch das geschieht bereits heute.
Durch das Sieb des Strafrechts würden nur solche Personen fallen, von denen die Behörden keine Erkenntnisse über ihre Reiseabsichten haben und denen sie dementsprechend kein Ausreisverbot erteilen. In diesen Fällen hilft jedoch auch der geplante § 89a Abs. 2a StGB-E im Ergebnis nicht wirklich weiter. Zwar würde sich danach ein Ausreisender mit dem Versuch der Ausreise strafbar machen.
Da die Sicherheitsbehörden diese Person jedoch nicht „auf dem Schirm“ haben, wird man sie an der Ausreise nicht hindern bzw. nach Verwirklichung des Straftatbestandes – etwa am Flughafen in Deutschland – nicht festnehmen können. Durch die Verwirklichung des § 89a Abs. 2a StGB-E würde ein Sanktionsanspruch zwar entstehen; dieser wäre jedoch faktisch nicht durchsetzbar, da die Person die Bundesrepublik Deutschland bereits verlassen haben wird, wenn den Sicherheitsbehörden über sie strafrechtlich relevante Erkenntnisse vorliegen.
Erst bei der Rückkehr nach Deutschland könnte man die Person, sofern man dann mehr über sie weiß, festnehmen und den Sanktionsanspruch nach § 89a Abs. 2a StGB-E durchsetzen. In diesen Fällen hat der Rückkehrer jedoch in aller Regel ein terroristisches Ausbildungslager bereits durchlaufen – und sich bereits nach geltendem Recht strafbar gemacht. Dies gilt auch dann, wenn der Besuch des Terrorcamps im Ausland erfolgte (vgl. § 89a Abs. 3 StGB).
"Bereits eine 1-Euro-Spende soll strafbar sein"
LTO: Sie sagten, den geplanten Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB-E) sähen Sie weniger kritisch.
Gazeas: Der Gesetzgeber geht von der –zutreffenden – Annahme aus, dass finanzielle Ressourcen von Terrororganisationen wie dem IS den wirtschaftlichen Nährboden für zum Teil hochkomplex organisierte terroristische Aktivitäten bilden. Die Strafwürdigkeit der Terrorismusfinanzierung verfassungsrechtlich zu legitimieren ist weitaus einfacher als beim geplanten Ausreisetatbestand.
Die Neuregelung soll zum einen die derzeit in § 89a Abs. 1 Nr. 4 StGB enthaltene Strafbarkeit der Finanzierung von Vorbereitungshandlungen im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen ersetzen. Außerdem soll die Strafbarkeit der Finanzierung terroristischer Straftaten in einer Norm mit einheitlichem Strafrahmen zusammengestellt werden. Hintergrund hierfür sind in erster Linie Empfehlungen zur Nachbesserung, die die Financial Action Task Force (FATF), eine Einrichtung innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, an Deutschland adressiert hat.
Die wesentliche Änderung besteht darin, dass auf eine Erheblichkeitsschwelle verzichtet und eine erhöhte Mindeststrafe vorgesehen wird. Beides hat die FATF gefordert. Künftig soll damit schon die Spende von nur einem Euro zur Finanzierung der Reise in ein Terrorcamp strafbar sein. Da der Straftatbestand jedoch recht hohe Anforderungen auf der subjektiven Tatseite vorsieht, ist er grundsätzlich – von Detailfragen abgesehen – nicht zu beanstanden.
LTO: Wie stehen Sie zur Änderung des Personalausweisgesetzes, auf welche sich die Innenminister von Bund und Ländern geeinigt haben?
Gazeas: Die Idee, ausreisewilligen Personen den Personalausweis zu entziehen und durch einen Ersatz-Personalausweis zu ersetzen, erscheint auf den ersten Blick sinnvoll und auch notwendig. Denn potentielle Dschihadisten nutzen zunehmend Reiserouten, auf denen der Personalausweis zum Reisen genügt. Jedoch stellt das Grundgesetz wegen der damit einhergehenden ganz erheblichen Stigmatisierungswirkung eines solchen Ersatzausweises sehr hohe Anforderungen an die Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs.
Dr. Nikolaos Gazeas ist Rechtswissenschaftler an der Universität zu Köln. Er ist Experte für deutsches und internationales Strafrecht mit einem Schwerpunkt im Terrorismusstrafrecht. Zu den aktuell geplanten Gesetzesverschärfungen hat er am Montag als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Stellung genommen.
Das Interview führten Anne Herr und Pia Lorenz.
Regierungspläne zur Terrorismus-Bekämpfung: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15038 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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