Anlegeransprüche gegen Ratingagenturen: EU-Kommission will Moody’s, Fitch & Co. in Haftung nehmen

von Prof. Dr. Thomas M.J. Möllers, Christine Wecker

25.07.2012

Seit Beginn der Finanzkrise wird Ratingagenturen ein zu großer Einfluss auf die Finanzmärkte, ja sogar eine Mitschuld an der Krise vorgehalten. Das Europäische Parlament diskutiert nun einen Verordnungsentwurf der EU-Kommission, nach dem Ratingagenturen für Schäden von Anlegern haften sollen. Ein wichtiger Schritt, aber noch nicht genug, meinen Thomas M. J. Möllers und Christine Wecker.

Eine Haftung für inhaltlich falsche Ratings sieht der Verordnungsentwurf nicht vor. Es sind eher Compliance-artige Regelungen, die die Kommission vorgeschlagen hat. Es ist aber zweifelhaft, ob die neuen Regelungen Fehlbewertungen, welche die Finanzkrise mitverursacht haben, vermeiden können.

Der Entwurf enthält im Anhang zunächst einen umfassenden Pflichtenkatalog. Danach haben die Agenturen unter anderem jegliche Interessenkonflikte zu vermeiden, sicherzustellen, dass Ratings auf einer gründlichen Analyse aller zur Verfügung stehenden Informationen basieren sowie die Offenlegungspflichten gegenüber der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zu beachten.

Verstößt eine Agentur vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen eine dieser Pflichten, muss sie für Schäden von Anlegern haften, die auf das Rating der Agentur vertraut haben. Allerdings nur dann, wenn sich die Pflichtverletzung auch auf das Rating ausgewirkt hat.

Beweiserleichterung für Anleger

Da Anleger regelmäßig keinen Einblick in das interne Bewertungsverfahren der Agenturen haben werden, soll ihnen an dieser Stelle eine Beweislastumkehr helfen. Die Geschädigten müssen lediglich Tatsachen glaubhaft machen, die darauf schließen lassen, dass die Agentur eine ihrer Pflichten verletzt hat.

Anschließend ist es an der Agentur, zu beweisen, dass sie ihren Pflichten doch nachgekommen ist oder sich die Pflichtverletzung zumindest nicht auf das von ihr abgegebene Rating ausgewirkt hat.

Der Anleger kommt jedoch nicht darum herum, darzulegen und zu beweisen, dass ihm durch das fehlerhafte Rating ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Wie dieser zu bestimmen ist, lässt der Entwurf im Einzelnen offen. Im Kapitalmarktrecht kann bisher der Anleger etwa den Kursdifferenzschaden geltend machen, der sich aus der Differenz des Kurses mit und ohne die unrichtige Information ergibt.

Es gibt nur selten eine objektiv "falsche" Bewertung

Ebenso wie Finanzanalysen sind Ratings eine Einschätzung zukünftiger Entwicklungen. Daher gibt es grundsätzlich keine objektiv "richtige" oder "falsche" Bewertung. Ein Rating wird immer eine Gratwanderung sein. Es bewegt sich zwischen der rechtzeitigen und akkuraten Information der Marktteilnehmer, um diese vor künftigen negativen Entwicklungen zu schützen, und einem vorschnellen Downgraden, das schnell zu einem Dominoeffekt auf den Märkten und Überreaktionen bei Anlegern führen kann.

Solche Einschätzungen der Ratingagenturen sind damit kaum nachprüfbar. Eine gewisse Kontrollmöglichkeit gibt es dennoch. Die Ratingagenturen müssen ihre Bewertungen auf der Grundlage von Fakten erstellen und diese gegenüber der ESMA offenlegen.

Mit der Veröffentlichung eines Ratings erklärt die Agentur implizit, dass sie ihre Beurteilung auf eine angemessene Informationsbasis stützt und nach sorgfältiger Auswertung im Wege anerkannter Prognoseverfahren erstellt hat. Die Daten müssen also richtig, vollständig und aktuell sein, um zu einer zutreffenden Bewertung zu führen.

Kein Rating ohne aktuelle Informationsbasis

Dieses "Gebot der Richtigkeit und Vollständigkeit des Ratings" greift der Verordnungsentwurf zwar auf. Die Agenturen können sich aber von der Haftung freizeichnen, indem sie mit geeigneten Verfahren sicherstellen, dass die abgegebenen Ratings auf einer gründlichen Analyse aller zur Verfügung stehenden Informationen basieren.

Allein die Implementierung eines solchen Kontrollverfahrens garantiert jedoch kaum die "richtige" Bewertung der zugrunde gelegten Informationen. Der Gesetzgeber müsste die Agenturen vielmehr dazu verpflichten, die Informationsbasis selbst regelmäßig zu aktualisieren und zu vervollständigen.

Der Verordnungsentwurf verfolgt im Ergebnis zwar das richtige Ziel, wenn er die Agenturen in die Haftung nehmen will. Pflichten, deren Verletzung eine Haftung auslösen soll, müssen aber spätestens in einer Durchführungsverordnung konkretisiert, wenn nicht gar erweitert werden. Beispielsweise müsste der Begriff des "geeigneten Verfahrens" vom Normgeber definiert werden. Auch der vage zeitliche Rahmen, ein Rating zu überprüfen ("mindestens einmal jährlich"), ist in seiner derzeitigen Fassung zu starr und wird den dynamischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten nicht gerecht. Zu fordern sind vielmehr laufende Überwachungs- und Prüfpflichten, wenn konkrete Anhaltspunkte für Veränderungen der Parameter des Ausfallrisikos gegeben sind. Schließlich sollte der Verordnungsvorschlag so genannte Rating-Outlooks verpflichtend vorschreiben, die dem endgültigen Rating vorgeschaltet sind und weniger starke Marktverwerfungen hervorrufen.

Der Autor Prof. Dr. Thomas M.J. Möllers ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung in Augsburg. Die Autorin Christine Wecker ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. In zahlreichen Veröffentlichungen haben sie die Rechtsentwicklungen zu den Ratingagenturen begleitet.

Zitiervorschlag

Anlegeransprüche gegen Ratingagenturen: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6694 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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