Kein Recht auf Homeoffice, aber Online-Betriebsratswahlen und flexiblere Arbeitszeitmodelle – das sieht der Koalitionsvertrag für das Arbeitsrecht vor. Die Vertrauensarbeitszeit will die neue Regierung explizit beibehalten.
Die Ampel hat am Mittwoch ihre Pläne für die 20. Legislaturperiode vorgestellt. Auf rund sechs Seiten befassen sich die Parteien mit ihren Vorhaben für die Arbeitswelt – zuzüglich der Pläne für die Altersvorsorge und die weitere Förderung der Entgelttransparenz. Wie die Maßnahmen konkret umgesetzt werden sollen, bleibt naturgemäß offen, doch mehr Flexibilität und Digitalisierung werden sie sicherlich bringen.
Digitale Betriebsratssitzungen und -wahlen
In der Corona-Pandemie hatte das Bundeskabinett bereits den § 129 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eingeführt. Die Norm hatte es befristet bis Ende Juni 2021 ermöglicht, Sitzungen des Betriebsrates und Betriebsversammlungen virtuell durchzuführen.
Diese Option sollen Betriebsräte nun dauerhaft erhalten: Nach dem Koalitionsvertrag sollen die Betriebsräte "selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten". Auch Betriebsratswahlen, die kommendes Jahr turnusmäßig anstehen, sollen online abgehalten werden können – dies zumindest als Pilotprojekt.
Diesen Schritt hatte der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes noch gescheut. Die Möglichkeit von virtuellen Sitzungen war über diese Gesetzesnovelle war in § 30 BetrVG zwar geschaffen worden, Sitzungen in Präsenz sollten aber weiterhin Vorrang haben. Dem scheint die Ampel nun mit dem Wahlrecht der Betriebsräte ein Ende setzen zu wollen.
"Die Weiterentwicklung der Mitbestimmung ist wünschenswert - was jetzt geplant ist, ist aber doch recht schüchtern", meint Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard), Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Dass Betriebsräte digital oder analog arbeiten können sollen, sei ein Allgemeinplatz und es bliebe unklar, ob das auch Homeoffice für Betriebsräte bedeute. "Das kann sinnvoll sein, und ist jetzt auch schon nicht ausgeschlossen, aber eben nur mit Zustimmung des Arbeitgebers", so Thüsing.
Auch eine Online-Betriebsratswahl sei in der Vergangenheit von vielen gefordert worden, doch die Rechtsprechung habe diese bislang – zu Recht – nicht zugelassen. Eine Weiterentwicklung sei daher wünschenswert. Denn, so Thüsing: "Verfassungsrechtliche Hürden bestehen dabei ganz bestimmt nicht".
Digitaler Zugang für Gewerkschaften
Auch die Gewerkschaften sollen mehr virtuelle Rechte bekommen in einem Punkt, den sie bereits gefordert hatten: Für sie steht laut Vertrag ein "zeitgemäßes" Recht für digitalen Zugang in die Betriebe an. Dieses soll ihren bestehenden analogen Rechten entsprechen.
Diese Rechte sind aus dem Koalitionsrecht aus Art. 9 Grundgesetz (GG) abgeleitet: Gewerkschaften müssen Zugang zu Betrieb und Beschäftigen haben, um über ihre Arbeit informieren und Mitglieder anwerben zu können. Sind die Beschäftigen im Homeoffice oder arbeiten sie an sonstigen Orten virtuell, fällt dieser Zugang zwangsläufig weg: Klassische Wege wie der Aushang von Informationen am Schwarzen Brett im Unternehmen erreichen die Mitarbeitenden schlichtweg nicht mehr.
"Die IG Metall begrüßt die von der Ampelkoalition beabsichtigte Klarstellung eines digitalen Zugangsrechts zum Betrieb für Gewerkschaften entsprechend ihrer analogen Rechte", teilte die Gewerkschaft auf LTO-Anfrage mit. Und weiter: "Ohne dieses Recht wäre die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit nicht realisierbar. Weitere Schritte in Richtung zeitgemäße Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten sollten folgen."
Pläne gegen Verhinderung von Betriebsräten
Immer wieder fallen Unternehmen damit auf, dass sie die Gründung von Betriebsräten in ihren Betrieben verhindern wollen – ein aktuelles Beispiel ist der Fall des Startups Gorillas in Berlin.
Im Koalitionsvertrag steht nun "Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein" – das wäre dann eine Straftat, die von Amts wegen verfolgt würde. Die Ampel sagt dazu weiter, sie wolle "die bestehenden nationalen Regelungen bewahren" (…) und "die missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts (..) verhindern.
Zudem will sich die Bundesregierung für die Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung einsetzen. So könne es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen (Einfriereffekt). Dazu will die Ampel "die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt".
Tobias Neufeld, Partner bei Arqis Rechtsanwälte, erklärt, worum es dabei geht: "Die Unternehmensmitbestimmung durch Arbeitnehmer ist im Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG, ab 500 Mitarbeitern), dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG, ab 2000 Mitarbeitern) und im SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) geregelt", sagt Neufeld. Und weiter: "Eingreifen und Umfang der Mitbestimmung hängen von der Rechtsform des Unternehmens und der Zahl seiner Mitarbeiter ab, wobei in gewissen Fällen Mitarbeiter aus Konzerngesellschaften nach oben zur Konzernleitung zugerechnet werden. Die Zurechnung von Mitarbeitern ist nach dem MitbestG aktuell leichter möglich als nach dem DrittelbG."
Hier plane die Bundesregierung offenbar eine Verschärfung des DrittelbG durch Anpassung an die Zurechnungsregeln des MitbestG, um die Mitbestimmung auszuweiten. Ähnlich seien die angestrebten Änderungen für das SEBG zu verstehen. Die SE gelte gemeinhin als "Fluchtweg aus der Mitbestimmung", erklärt Neufeld ."Bei der SE Gründung gilt mitbestimmungsrechtlich das Vorher-Nachher-Prinzip, d.h. vom bestehenden Mitbestimmungsniveau (z.B. nach DrittelbG) darf nach der Umwandlung in die SE nicht abgewichen werden, selbst wenn später höhere Schwellwerte (z.B: 2.000 Mitarbeiter nach MitbestG) überschritten werden; die bei Umwandlung in die SE bestehende Mitbestimmung (auch eine zu diesem Zeitpunkt nicht bestehende Mitbestimmung) bleibt eingefroren erhalten. Dieser "Einfriereffekt" soll nun wohl aufgelöst werden.
Tarifautonomie und Verhinderung der Tarifflucht
Die Ampel will auch an die bisher existierende Tarifflucht von Unternehmen ran: Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes solle an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden sein. Auch eine Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht solle verhindert werden, indem die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt werde. Unangetastet bleibe dabei § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang).
"Wie die Weitergeltung von Tarifverträgen bei Umgliederungen im Unternehmen und Konzern abweichend von heute geregelt werden soll - das ist nicht angedeutet", sagt Gregor Thüsing.
Wichtig sei aber auch, meint Thüsing, was nicht im Koalitionsvertrag steht: Steuervergünstigung tarifgebundener Arbeitgeber, erweiterte Tariferstreckung - all dem habe man eine Absage erteilt.
Mehr Flexibilität bei Zeit und Ort
Auch die bestehenden Regelungen zu Arbeitszeit und -ort wollen sich die Koalitionsparteien vornehmen: So sollen flexible Arbeitszeitmodelle ermöglicht werden. Die europäischen Vorgaben zur Zeiterfassung wollen sie dabei berücksichtigen, aber auch die Option für Vertrauensarbeitszeit dabei explizit beibehalten.
Der nach dem Arbeitszeitgesetz bestehende Grundsatz des Acht-Stunden Tages soll bestehen bleiben – aber: Schon im kommenden Jahr soll eine befristete Regelung geschaffen werden, die über Tarifverträge eine Abweichung von dieser Regel ermöglichen wird. Auch die bisher längstens erlaubte Arbeitszeit von vorübergehend bis zu zehn Stunden steht als Experiment zur Disposition.
Und sonst so…
Neben diesen vor allem kollektivrechtlichen Plänen hat die Ampelkoalition weitere Aspekte des Arbeitsrechts in den Koalitionsvertrag aufgenommen. So wird der gesetzliche Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht.
Ein Recht auf Homeoffice wird es für Beschäftigte nicht geben, sondern lediglich einen Erörterungsanspruch. Allerdings heißt es auch: "Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen". Wie einfach Arbeitgebende sich diesem Wunsch entziehen können, hat die Ampel offenbar gesehen, denn sie stellt klar: "Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf". Darüber hinaus soll mobile Arbeit nach den Plänen EU-weit unproblematisch möglich sein.
Dazu passt das Ziel, die Arbeit im Homeoffice rechtlich klar von der Telearbeit und damit der Arbeitsstättenverordnung abzugrenzen. Diese gibt derzeit klare Regelungen dazu vor, wie ein Arbeitsplatz im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden ausgestaltet zu sein hat.
Um die Lohnlücke – den sogenannten gender pay gap – zwischen Männern und Frauen zu schließen, soll im Entgelttransparenzgesetz die Prozessstandschaft verankert werden. So müssten Beschäftigte ihre Rechte nicht mehr selbst geltend machen, sondern könnten sich dafür auch an Verbände wenden.
Auch bei der Brückenteilzeit, Befristungen, der Arbeitnehmerüberlassung und dem kirchlichen Arbeitsrecht plant die Ampel Veränderungen. Bei letzterem wird eine Angleichung des kirchlichen und des staatlichen Arbeitsrechts angestrebt. Abgrenzungsprobleme , verkündungsnah oder nicht, werden allerdings bleiben, denn bei diesem Vorhaben sind "verkündigungsnahe Tätigkeiten ausgenommen".
Doch bevor es in die Gespräche mit Kirchen und Gewerkschaften geht, ist die Basis der Parteien an der Reihe: Bis Ende kommender Woche sollen die Parteitage von SPD und FDP sowie die Urabstimmung bei den Grünen abgeschlossen sein.
Koalitionsvertrag der Ampel: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46765 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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