"Deutschland den Deutschen" statt "L'amour toujours": So könnte sich DJ Gigi D'Agos­tino juris­tisch wehren

Gastbeitrag von Thomas Busch

05.06.2024

Das Lied "L'amour toujors" von Gigi D'Agostino wurde von Rechtsextremen gekapert, die dazu "Ausländer raus" singen. Was kann D'Agostino dagegen juristisch tun? Und muss er Verbote oder Boykottaufrufe dulden? Thomas Busch mit Antworten.

Gigi D'Agostino selbst ist kein Vorwurf zu machen. Sein völlig unverfängliches Lied ist zum Meme für Rechtsextreme geworden und auf Sylt grölten auch Jugendliche aus vermeintlich gehobenen Gesellschaftsschichten lauthals das Lied mit dem ergänzten Text: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Veranstalter haben angekündigt aus Sorge vor rechtem Gegröle den Dance Hit nicht mehr zu spielen. Es werden sogar Aufführungsverbote diskutiert.

Die dahinterstehende Frage ist grundsätzlicher: Wie wollen wir als Gesellschaft auf die politische Vereinnahmung von (politisch neutralen) urheberrechtlichen Werken reagieren? Richtig und wichtig ist die öffentliche Debatte darüber, dass derlei Texte überhaupt gegrölt werden. Inwiefern eine identifizierende Berichterstattung zulässig ist, hängt vom Einzelfall ab. Zu dem Sylter Partyvideo haben mehrere Medienrechtler ihre Einschätzung abgegeben. Dies gilt aber unabhängig davon, ob die besagten Äußerungen zu einem Musikstück erfolgen und welcher Song konkret betroffen ist.

Ein besonders geeigneter Hebel zur Verhinderung der Verbreitung solcher abgewandelter Lieder ist der oder die Künstlerin selbst. Hinsichtlich der Rechte und Möglichkeiten ist zwischen der Verwendung des Titels durch oder mit Hinzufügen des volksverhetzenden Textes und der Verwendung des unbearbeiteten Titels (ohne Hinzufügen von Text) zu differenzieren. 

Wiedergabe des Titels mit hinzugefügtem Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“

Der Urheber eines geschützten Werkes hat nach § 14 UrhG das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seiner Werke zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. 

Das Hinzufügen von Text zu einem Musikwerk ist schon eine erlaubnispflichtige Bearbeitung i.S.v. § 23 Abs. 1 UrhG. Das Hinzufügen von volksverhetzenden Inhalten ist regelmäßig geeignet, die berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk zu gefährden, damit eine Entstellung i.S.v. § 14 UrhG. Die öffentliche Wiedergabe des so entstellten Werks, z.B. in Discos oder als Social Media Post, ist ein unzulässiger Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht des Urhebers. 

Entstellung durch „Singen“ des Textes „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zur Wiedergabe des Originaltitels in der Öffentlichkeit

Auch die „Live“ vorgenommene Verbindung des Werks mit einem volksverhetzenden Text entstellt dieses i.S.v. § 14 UrhG. Die live synchronisierte Version wird von den Singenden zwar nicht i.S.v. § 19 Abs. 2 UrhG öffentlich aufgeführt, denn es fehlt an einer persönlichen Darbietung des Musikwerks.  

Gleichwohl bedarf es für die Annahme einer Entstellung keiner eigenen Verwertungshandlung. § 14 UrhG erfordert (lediglich) eine Eignung zur Interessengefährdung, die wiederum voraussetzt, dass das beeinträchtigte Werk in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann.

Hierfür kann auf den Öffentlichkeitsbegriff des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG zurückgegriffen werden. Danach gehört zur Öffentlichkeit jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist. Soweit eine öffentliche Wiedergabe vorliegt, gilt der Öffentlichkeitsbegriff des EuGH, nachdem eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten und eine ziemlich große Zahl von Personen vorausgesetzt wird.

In beiden Fällen ist allenfalls die private Gartenparty ein Ort, an dem die Öffentlichkeit als Voraussetzung der Entstellung verneint werden könnte. Das Singen des Texts "Ausländer raus – Deutschland den Deutschen" zu dem Titel in Discos, Clubs und auf anderen öffentlichen Veranstaltungen (bei denen potentiell Videoaufnahmen gefertigt und verbreitet werden, wie das Sylt Video anschaulich belegt), ist regelmäßig eine Entstellung des Musikwerks in der Öffentlichkeit - und zwar durch jede und jeden, der mitsingt bzw. -grölt.

• Mehr Rechtliches zu Sylt: Die zentralen Rechtsdebatten des Landes beim LTO-Podcast "Die Rechtslage":

Unbearbeitete Wiedergabe in unerwünschtem Kontext

Schließlich kann die Wiedergabe im Original (ohne hinzugefügten Text) rechtsverletzend sein, nämlich wenn das Werk in einen Kontext gestellt wird, der dem Urheber so abträglich ist, dass eine Abwägung der widerstreitenden Interessen eine Entstellung des Werks i.S.v. § 14 UrhG, damit die Verletzung seines Urheberpersönlichkeitsrechts ergibt. Das ist etwa am Beispiel der Musiknutzung als Titelmelodie für eine Doku-Soap, in der die Protagonisten regelmäßig Ressentiments gegenüber Frauen, Ausländern und Homosexuellen äußern, entschieden worden (LG Hamburg, Urt. v. 6.9.2013 – 308 O 23/13 – Forever Young). Höchstrichterlich wurde die Nutzung eines Musikstücks auf Wahlkampfveranstaltungen einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei als unzulässig angesehen (BGH, Beschl. v. 11.05.2017, Az. I ZR 147/16 - Die Höhner). Die Verwendung von Musikwerken im Wahlkampf einer politischen Partei, und sei es nur durch einen Transfer der von den Werken ausgehenden Stimmung, ist besonders geeignet, die Interessen der Urheber zu beeinträchtigen. Dabei muss der Urheber von Unterhaltungsmusik mit der Vereinnahmung durch verfassungsfeindliche Parteien nicht rechnen, so der BGH.

Aus diesen Grundsätzen wird man folgern müssen, dass auch eine Verwendung des unbearbeiteten Titels durch die derzeit vom OVG Münster (AZ: 5 A 1216/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1218/22) als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestufte AfD unzulässig ist. So wurde nach Informationen der Hessenschau beim Politischen Aschermittwoch des AfD-Ortsverbands Rödermark (Offenbach) die Melodie samt Karnevalstusch zu Gelächter im Saal eingespielt. Der AfD-Abgeordnete Matthias Helferich kommentierte das auf der Bühne so: "Ich bin froh, dass ihr alle den Liedtext vergessen habt." Hier mag die satirische Einkleidung gerade noch die Unzulässigkeit verhindern. Ohne diese wäre das Abspielen auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD recht sicher eine untersagungsfähige Entstellung des Werks.

Gleiches gilt für die Verwendung in Social Media. Die Einbindung des Titels in einen Kontext, der die Interessen des Urhebers über Gebühr beeinträchtigt - etwa in einen Kanal oder ein Video mit im Übrigen rechtsextremen Inhalten - wird ebenso Ansprüche der Urheber auslösen.

Rechtsfolgen der Verletzung von § 14 UrhG

Folge der Verletzungshandlungen sind die allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüche gem. §§ 97 ff. UrhG, d.h. insbesondere Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche.

Für den Fall des „Mitsingens“ ist als Teil des „Chors“ jeder einzelne Mittäter der Rechtsverletzung und haftet persönlich auf Unterlassung. Musikern wie Gigi D'Agostino ist daher zu raten, gegen jegliche der bekannt gewordenen Personen eine Abmahnung auszusprechen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufzufordern.

Die Gefahr der Verwirkung einer Vertragsstrafe wird ein wirksames Mittel zur Verhinderung der Wiederholung gleichartiger Gesänge durch die jeweilige Person sein. Noch wichtiger ist aber der davon ausgehende Abschreckungseffekt, der andere Feiernde zum Nachdenken darüber anregt, ob es wirklich Not tut, volksverhetzende Gesänge zu Dance Hits anzustimmen.

Veranstalter können ein Zeichen setzen, indem sie Straftaten konsequent anzeigen, Videoaufnahmen den Behörden und den Musikern, ggf. über deren Agenturen, zur Verfügung stellen.

Unterlassungsansprüche bestehen auch gegenüber denjenigen, die das Lied mit den hinzugefügten Parolen öffentlich wiedergeben oder es im Original in die besagten unerwünschten Kontexte stellen. 

Neben der Unterlassung kommen auch Schadensersatzansprüche in Betracht. Das Verschulden wird regelmäßig vorliegen. Auf (immateriellen) Schadensersatz haften die Beteiligten gem. §§ 830, 840 Abs. 1 i.V.m. 421 ff. BGB als Gesamtschuldner, d.h. der verletzte Musiker kann sich einen Anspruchsgegner für den gesamten Schaden aussuchen und ein Regress hat zwischen den Gesamtschuldnern zu erfolgen. Die Ansprüche stehen wegen der Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts unmittelbar den Urhebern zu, für die Rechteinhaber besteht die Möglichkeit, die Ansprüche in gewillkürter Prozessstandschaft geltend zu machen.

Dies umfasst auch Ansprüche auf Geldentschädigung. Für die Verbreitung einer Version des Tote-Hosen-Titels „Tage wie diese“ mit rechtem Gedankengut im Internet hat das Landgericht Hamburg den betroffenen Urhebern je einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 10.000,00 Euro gem. § 97 Abs. 2 S. 4 UrhG zugesprochen (LG Hamburg, Urt. v. 2.9.2016 – 308 O 437/15 - An Tagen wie diesen).

Müsste D'Agostino Verbote hinnehmen? 

Die öffentliche Wiedergabe der Werke zu verbieten, etwa aus polizeirechtlichen Erwägungen heraus, ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten eher die letzte als eine naheliegende Option - zumal die „gekaperten“ Werke beliebig austauschbar sind. Schließlich haben sie mit der aufoktroyierten Ideologie rein gar nichts gemein. Neben solch allgemeinen Erwägungen wäre im konkreten Fall stets eine Abwägung der Interessen vorzunehmen. Die künstlerischen und finanziellen Interessen der von einem Verbot betroffenen Musiker und Rechteinhaber werden jedenfalls auf Massenveranstaltungen, die sich nicht konkret an ein entsprechendes politisches Publikum richten, regelmäßig überwiegen. Gegen derartige Verbote wäre demnach auf dem Verwaltungsrechtsweg vorzugehen. 

Je nach Kontext mag ein (vertragliches) Verbot rechtmäßiger Inhalte in Betracht kommen, etwa in sozialen Medien. Dort sind in den Nutzungsbedingungen Klauseln zulässig, die mit erheblichen Gründen auch rechtmäßige Inhalte von den Plattformen verbannen (BGH, Urt. v. 29.09.2021, Az. III ZR 179/20). Es dürfte indes eine Herausforderung darstellen, hinreichend bestimmte Nutzungsbedingungen zu formulieren, die abstrakt Inhalte, wie den Dance Hit von Gigi D'Agostino, adressieren, d.h. allgemein auf „politisch gekaperte“ Inhalte abstellen.

Denkbar, aber nicht zielführend wäre ein Verbot der Verbreitung des konkreten Musikstücks in sozialen Medien durch deren AGB. Denn der konkrete Titel als Chiffre für die politische Gesinnung ist jederzeit von den Akteuren substituierbar. Zudem sind auch bei vertraglichen Verboten über die Drittwirkung der Grundrechte die geschützten Interessen der Künstler und Künstlerinnen zu beachten und können ungerechtfertigte Beeinträchtigungen Ansprüche für diese auslösen. 

Boykott der Werke

Wo Verbote nicht gelten, ist Raum für Boykotte. Veranstalter, DJ‘s etc. lassen schon jetzt erkennen, dass sie „freiwillig“ die unfreiwillig konnotierten Musikstücke nicht mehr spielen werden, um etwaigen Chorgesängen aus dem Publikum vorzubeugen. Sinnvoller wäre es freilich, sich dann Gedanken über das Publikum zu machen, was im Vorhinein naturgemäß nur begrenzt möglich ist. Möglich ist jedenfalls eine klare Kommunikation der Grenzen des Tolerierten gegenüber den Gästen und eine Durchsetzung des Hausrechts im Einzelfall. Dem Gros der Feiernden beliebte Musik vorzuenthalten, um einzelne Gäste zu zügeln, widerstrebt zahlreichen grundrechtlich geschützten Interessen, insbesondere jenen der Musiker und Rechteinhaber. Letztere werden im Fall eines Boykottaufrufs, etwa durch einen Verband, zu prüfen haben, ob ggf. ein schadensersatzpflichtiger unzulässiger Boykottaufruf nach § 823 Abs. 1 oder 826 BGB vorliegt.

Die konsequente Verfolgung durch die Betroffenen, die Aufklärung durch die Presse und der erfreulicherweise zu beobachtende Widerstand in der Breite der Gesellschaft scheinen die probaten Mittel zum Umgang mit politisch gekaperten Kulturgütern zu sein. Boykotte und Verbote sind es nicht.

Thomas Busch ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei Spirit Legal. Er berät u.a. im Musikrecht.

 

Zitiervorschlag

"Deutschland den Deutschen" statt "L'amour toujours": . In: Legal Tribune Online, 05.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54704 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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