Die AfD in Thüringen will bei einer Regierungsbeteiligung wichtige Schaltstellen der Verwaltung im Eiltempo neu besetzen. Es drohen Verfassungsfeinde auf einflussreichen Spitzenposten. Dagegen gibt es juristisch erstaunlich wenig Handhabe.
Björn Höcke macht aus seinen Umbauplänen für Thüringen kein Geheimnis. Wenn er im Herbst in die Regierung, oder sogar an ihre Spitze kommt, will er als erstes den Präsidenten des Verfassungsschutzamtes auswechseln. So hat es der rechtsextreme AfD-Landeschef auf dem Parteitag im November angekündigt. Dass nach einem Regierungswechsel Spitzenbeamte ausgetauscht werden, ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Denn eine neue Regierung will sicher sein, dass ihre Entscheidungen auch umgesetzt werden. Eine neue Regierung ohne Zugriff auf die Verwaltung wäre machtlos. An dieser Schaltstelle spielen Staatssekretäre und Behördenleiterinnen eine zentrale Rolle. Sie sind Schlüsselfiguren, ohne sie geht nichts. Sie sorgen dafür, dass die politischen Richtungsentscheidungen in konkretes Verwaltungshandeln umgesetzt werden.
Das Besondere an diesen sogenannten politischen Beamten: Sie können jederzeit und ohne Angaben von Gründen in den Ruhestand geschickt werden (§ 30 Abs. 1 S. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)). Ein Ministerpräsident oder auch nur ein Minister Höcke könnte am Tag eins in einer neuen Regierung mit dem Auswechseln loslegen und auf den Posten eigene Gefolgsleute installieren. Als Innenminister hat er Zugriff auf die Spitze des Verfassungsschutzes und bei der Polizeidirektion, also Behörden mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen. Oder beim Landesverwaltungsamt, zuständig u.a. für die Aufsicht über die gesamte Thüringer Kommunalverwaltung. Da reichen die Aufgaben von der Aufsicht über Einbürgerungen bis hin zur Waffenerlaubnis. Ein Behördenleiter erteilt seinen Beamten Weisungen, sie stehen unter seiner Aufsicht, bei Widerstand kann er Sanktionen einsetzen.
Absicherungen laufen leer bei Ernennung verfassungsfeindlicher Spitzenbeamter
Dürften dann aber auch solche AfD-Kandidaten in Spitzenämter der Verwaltung rücken, die den Verfassungsstaat, seine Institutionen und Grundwerte ablehnen? Für Beamte gilt eine Verfassungstreuepflicht per Gesetz. Anders als ein Minister(-präsident), der sich im politischen Wettbewerb durchgesetzt hat, stehen Beamten in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Land. Beamter darf nur werden, wer "die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten" (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG). Das gilt auch für die politischen Beamten, also Schlüsselpositionen wie Staatssekretärsposten oder an der Spitze des Verfassungsschutzes.
Was passiert, wenn nun die Landesregierung auf einen solchen Spitzenposten jemanden ernennt, der verfassungsfeindlich eingestellt ist? Also jemand, der eigentlich gar nicht Beamter werden dürfte? Der erstaunliche Befund zu dieser bislang kaum beachteten Rechtsfrage: Erst einmal nichts. Die Verwaltung kann sich vor diesem Szenario nicht selbst schützen. Denn auch wenn ein neuer Staatssekretär erwiesenermaßen gegen die Verfassung arbeitet, bleibt das für seine Ernennung ins Amt folgenlos.
Zwar kennt das Beamtenrecht Konstellationen, in denen eine Ernennung automatisch nichtig ist (§ 11 BeamStG). Das gilt aber nur bei offensichtlichen formellen Fehlern. Die Verfassungstreuepflicht zählt das Gesetz nicht dazu. Die Ernennung gilt.
Dem Beamtenrecht bliebe in diesem Fall also nur übrig, auf nachträgliche Konsequenzen zu setzen. Wem die Voraussetzungen für das Amt fehlen, der kann grundsätzlich nachträglich wieder entfernt werden. Typischerweise gilt das für den Fall, dass ein Kandidat über seine Verfassungstreue getäuscht hat. Stellt sich das nachträglich heraus, muss die Ernennung zurückgenommen werden (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG). Das Gesetz berücksichtigt aber nicht das Szenario, dass ein verfassungsfeindlicher politischer Beamter ganz bewusst von einer (ebenfalls verfassungsfeindlichen) Landesregierung ernannt wird. Und es ihr womöglich darauf sogar ankam. Dafür laufen die Rücknahmeregeln leer.
Die Regierung hat das Schicksal aller Disziplinarverfahren in der Hand
Verfassungstreue ist aber nicht nur Voraussetzung im Zeitpunkt der Ernennung, sondern für Beamte eine andauernde Grundpflicht (§ 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG).
Wer diese Pflicht verletzt, gegen den muss in Thüringen gem. § 22 Thüringer Disziplinargesetz sein Dienstvorgesetzter ein Disziplinarverfahren einleiten. Ihm drohen dann Sanktionen bis zur Zurückstufung oder Entfernung aus dem Dienst. Das Problem: Der Dienstvorgesetze ist für Staatssekretäre der Minister, für den Chef des Verfassungsschutzes ist es der Innenminister. Wenn es dem gerade auf die entsprechende innere Einstellung seines Spitzenbeamten ankommt, wird er dieses Verfahren wohl kaum einleiten. Außerdem könnte der Minister als oberste Dienstbehörde solche Verfahren auch gegen alle anderen Landesbeamten in seinem Zuständigkeitsbereich jederzeit an sich ziehen. Er hat damit das Schicksal eines jeden Disziplinarverfahrens selbst in der Hand.
Auch der Professor für Öffentliches Recht an der Fachhochschule für Verwaltung in Schleswig-Holstein Andreas Nitschke sieht hier eine Schwachstelle, das Ministerium bräuchte auch unter Druck Disziplinarverfahren gar nicht erst anstoßen bzw. könnte laufende Verfahren einfach erledigen: "Wenn das Ministerium ein Disziplinarverfahren nicht führen will, könnte es versuchen, dies über die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe 'Eintreten', 'Bekennen' und 'freiheitlich demokratische Grundordnung' zu rechtfertigen." Die stehen so nämlich in der zentralen Norm § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG zur Dienstpflicht: "Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten."
Auf der anderen Seite könne das Ministerium auch das konkrete und jedenfalls nicht evident verfassungsfeindliche Verhalten des Beamten, etwa seine aktive Parteimitgliedschaft oder bestimmte Äußerungen so würdigen, dass keine Dienstpflichtverletzung übrigbleibt, so Nitschke. Er bilanziert: "Da könnte möglicherweise ein gewisser Auslegungs- und Subsumtionsspielraum gesehen werden, um Disziplinarverfahren zu erledigen."
Härtefallregelung bei kollusivem Zusammenwirken?
Kann das sein, ist die Spitze der Verwaltung in Deutschland dem wirklich so ausgeliefert? Gibt es keine Härtefallregelung für einen solchen Fall, in dem Minister und Spitzenbeamte kollusiv zusammenwirken und keine Kontrolle mehr ausgeübt wird? Das Beamtenrecht kennt Fälle von Ernennungen, für die das Gesetz keine Nichtigkeit vorsieht. Dennoch werden sie aber ausnahmsweise von Anfang an als nicht existent angesehen, weil "grundlegende Wirksamkeitsvoraussetzungen" fehlen. Beispielsweise, wenn es das Amt, das der Beamte ausüben soll, gar nicht gibt.
Doch kann man das kollusive Zusammenwirken von Ernennungsbehörde und Bewerber zur Umgehung der Verfassungstreuevoraussetzung mit einer solchen "Nichternennung" vergleichen? Verwaltungsrechtler Nitschke ist vorsichtig: "So nachvollziehbar die Berufung auf diese Rechtsfigur auf den ersten Blick erscheint, so zurückhaltend wird man aufgrund ihrer fehlenden gesetzlichen Normierung in Bezug auf ihre Bejahung im konkreten Einzelfall sein müssen." Eine solche Konstellation könnte angesichts des Prinzips der wehrhaften Demokratie und der gegenwärtig häufig thematisierten Resilienz des Rechtsstaates aber in Ausnahmefällen eindeutiger Verfassungsfeindlichkeit zumindest erwogen werden, meint Nitschke.
Das wäre aber wohl juristisches Neuland. So oder so müsste man dafür ein Gericht einschalten.
Warum auch die Gerichte aus dem Spiel sind
Mit den Verwaltungsgerichten gibt es neben der Binnenkontrolle der Verwaltung noch eine weitere unabhängige Instanz. Kommen die aber überhaupt zum Zug? Auch hier ergibt sich aus dem gemeinsamen Vorgehen von Ernennungsbehörde und dem Beamtenkandidaten ein Problem. Das Beamtenrecht regelt zunächst nämlich nur das Beschäftigungsverhältnis des Beamten, als Sonderrecht betrifft es nicht die Allgemeinheit. Vor Gericht landen beamtenrechtliche Fälle deshalb normalerweise nur, wenn sich Beamter und Dienstherr streiten. Hier ist das ja gerade nicht der Fall: sie gehen einvernehmlich vor. Eine gerichtliche Kontrolle dürfte damit in den allermeisten Fällen ausfallen.
Denkbar wäre nur, dass ein unterlegener Bewerber die Gerichte einschaltet. Sie oder er könnte mit einer "Konkurrentenklage" geltend machen, zu Unrecht nicht für ein Amt ausgewählt worden zu sein. Die Klage müsste dann plausibel machen, dass der ausgewählte Bewerber nicht für die Verfassung eintritt. So könnte ein Fall kollusiven Zusammenwirkens Gerichte erreichen und unabhängig überprüft werden.
Kann der Bund einschreiten, wenn im Land die Verwaltungskontrolle in sich zusammenfällt?
Das Grundgesetz nimmt den Bund in die Pflicht, die Ordnung in den Ländern im Blick zu behalten. So steht es in Art. 28 Abs. 3 GG. Der Bund muss gewährleisten, dass in den Ländern die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats beachtet werden. Das heißt, es kann dem Bund nicht egal sein, wenn an der Spitze der Verwaltung in Thüringen oder Sachsen Verfassungsfeinde einrücken. Und vor allem dann nicht, wenn dort eine effektive Kontrolle durch Disziplinarverfahren oder Gerichte ausfällt. Der Bund kann in einem solchen Extremfall sogar mit Zwang reagieren, das sieht Art. 37 GG vor. Wie ein solcher Bundeszwang aussehen könnte, ist juristisch noch ungeklärt. Die Hürde für die Aktivierung solcher Föderalismus-Apokalypse-Klauseln sind denkbar hoch.
Ein gutes halbes Jahr vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zeichnet sich ab: Gegen die Einsetzung verfassungsfeindlicher Spitzenbeamter gibt es im geltenden Verwaltungsrecht so gut wie keine Instrumente. Wer in der Regierung über die Ernennung von Beamten bestimmt, hat erst einmal freie Hand. Denn die Regierung trägt eigentlich Letztverantwortung, dass keine Verfassungsfeinde die Beamtenschaft kapern. Wenn sie aber gemeinsame Sache machen, fällt die Selbstkontrolle der Verwaltung in sich zusammen. Sie ist Verfassungsfeinden überraschend ausgeliefert.
Schwachstelle vor Wahlen in Thüringen: . In: Legal Tribune Online, 13.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53860 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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