Dürfen Aktionäre schon im Vorfeld wissen, wenn ein Führungswechsel im Vorstand einer AG geplant ist? Der Generalanwalt des EuGH sprach sich nun in einem Verfahren gegen die Daimler AG dafür aus, Insiderinformationen schon früh zu veröffentlichen. Warum mit einem anlegerfreundlichen Urteil zu rechnen ist und was sich dann für Unternehmen ändert, weiß Rüdiger Veil.
Die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen ist ein Herzstück des Kapitalmarktrechts. Sie gewährleistet, dass Anleger unverzüglich alle kursrelevanten Informationen erhalten. Wann genau eine Aktiengesellschaft solche Informationen zu veröffentlichen hat, ist allerdings nicht immer einfach zu bestimmen. Dies zeigt der vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelte Fall der Daimler AG.
Deren Vorstandsvorsitzender Jürgen Schrempp hatte im Mai 2005 den Entschluss gefasst, sein Mandat aufzugeben und diese Absicht dem Aufsichtsratsvorsitzenden mitgeteilt. Der Aufsichtsrat der Daimler AG beschloss Ende Juli 2005, den Vorstandsvertrag mit Schrempp aufzuheben und Dieter Zetsche zu dessen Nachfolger zu bestellen. Nachdem diese Information an die Öffentlichkeit gelangte, stieg der Kurs der Aktie beträchtlich an.
Anleger, die zwischen Mai und Ende Juli ihre Aktien veräußert hatten, verklagten die Daimler AG auf Schadensersatz. Sollten sie mit ihrer Klage Erfolg haben, hätte dies weitreichende Folgen für alle Aktienunternehmen. Die Aktionäre berufen sich darauf, dass eine börsennotierte Aktiengesellschaft gemäß § 13 Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) unter bestimmten Voraussetzungen auch erst zukünftig eintretende Umstände in einer Ad-hoc Mitteilung veröffentlichen muss. Diese Vorschrift setzt im Wesentlichen eine EU-Richtlinie um.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat deshalb mehrere Fragen zur Auslegung des Begriffs der Insiderinformation dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt, dessen Urteil in einigen Monaten erwartet wird.
Auch Zwischenschritte können Insiderinformationen sein
Allerdings wurden bereits in der vergangenen Woche die Schlussplädoyers gehalten: Der Generalanwalt kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass auch Tatsacheninformationen über Zwischenschritte eine Insiderinformationen sein können.
Eine hohe oder überwiegende Wahrscheinlichkeit zukünftiger Umstände oder Ereignisse werde von den europäischen Richtlinien nicht gefordert. Wenn eine Information in hohem Maße geeignet ist, die Aktienkurse eines Unternehmens zu beeinflussen, reiche es aus, dass der Eintritt des künftigen Ereignisses weder unmöglich noch unwahrscheinlich ist.
Die vom Generalanwalt eingeschlagene Grundrichtung verdient grundsätzlich Zustimmung. Eine strenge Auslegung des Insiderrechts trägt dazu bei, dass ein Insiderhandel unterbunden und damit das Vertrauen der Anleger in die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte gestärkt wird.
Sollte der EuGH den Vorschlägen wie in den meisten Fällen folgen, hätte die Daimler AG bereits im Mai 2005 eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen müssen. Die Anleger dürfen also darauf hoffen, mit ihren Schadensersatzklagen durchzudringen. Allerdings werden in den anschließenden Prozessen vor dem BGH noch weitere Rechtsfragen zu klären sein.
Mehr Beratungsaufwand für Aktiengesellschaften
Denn eine Aktiengesellschaft darf unter bestimmten Voraussetzungen die Veröffentlichung von Insider-Informationen aufschieben. Das Karlsruher Gericht wird sich deshalb auch noch damit beschäftigen müssen, ob die Daimler AG ein berechtigtes Interesse hatte, die Information vorläufig geheim zu halten. Dieses kann sich daraus ergeben, dass die Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats gewährleistet bleiben muss. Der Aufsichtsrat darf nicht faktisch unter Druck gesetzt werden, der Maßnahme zuzustimmen.
Für die Unternehmenspraxis zeichnet sich aber in jedem Fall ein erhöhter Beratungsaufwand ab. In Zukunft werden die Vorstände börsennotierter Gesellschaften bei größeren Unternehmensumstrukturierungen, Sanierungsmaßnahmen und Personalentscheidungen auf Vorstandsebene noch früher zu prüfen haben, ob bereits eine Veröffentlichungspflicht besteht.
Auch wenn noch ungewiss ist, ob das Vorhaben umgesetzt wird, kann eine publizitätspflichtige Insiderinformation vorliegen. Die Vorstände werden dann sorgfältig abzuwägen haben, ob die Interessen an der Geheimhaltung der Information die Interessen des Kapitalmarktes an einer vollständigen und zeitnahen Veröffentlichung überwiegen.
Auch nach der Entscheidung des EuGH und dem Abschuss der Verfahren vor dem BGH wird aber keine Ruhe im Kapitalmarktrecht einkehren. Die Europäische Kommission hat kürzlich Vorschläge zur Reform des Insiderrechts unterbreitet. Danach sollen die Verbote des Insiderhandels verschärft und die Veröffentlichungspflichten für börsennotierte Gesellschaft begrenzt werden.
Der Autor Prof. Dr. Rüdiger Veil ist Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht der Bucerius Law School, Hamburg. Er hat von 2008 bis 2011 ein Forschungsprojekt zum Kapitalmarktrecht in Europa geleitet und ist Autor zahlreicher Publikationen, u.a. eines Buchs zum Europäischen Kapitalmarktrecht.
Generalanwalt plädiert für frühere Ad-hoc-Mitteilung: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5884 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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