Am Donnerstag entschied der BGH, dass ein im Auto abgehörtes Selbstgespräch nicht als Beweismittel in einem Strafprozess verwendet werden darf. Der Schutz der Privatsphäre erstrecke sich auch auf Rückzugsorte außerhalb der Wohnung. Warum das Urteil ein Gewinn für den Rechtsstaat ist und was man sich wo alles erzählen kann, erläutert Kai Peters.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob ein Urteil des Landgerichts (LG) Köln auf, das einen Angeklagten wegen Mordes verurteilt hatte. Das LG hatte seine Entscheidung neben anderen Hinweisen maßgeblich auf ein im PKW des Mannes abgehörtes Selbstgespräch gestützt.
Eben diese Aufzeichnung erklärte der BGH jetzt für unverwertbar, weil sie den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit betreffen. Die Verwertung sei in diesem Fall ausgeschlossen, selbst wenn es um schwerwiegende Straftaten gehe. Die Sache muss deshalb erneut vor dem LG Köln verhandelt werden. Ob die übrigen Indizien ausreichen, um den Mann doch noch zu verurteilen ist offen.
Die Polizei, die den Angeklagten verdächtigte, seine Ehefrau getötet zu haben, hatte dessen Auto abgehört. Im Jahr 2007 zeichnete sie auf, wie der damals 46 Jahre alte Mann die Worte "Wir haben sie tot gemacht" an sich selbst richtete, während er allein in seinem Fahrzeug saß. Obwohl die Leiche der Frau nie gefunden wurde und die Tatumstände völlig unklar sind, verurteilte das LG Köln ihn sowie seine Schwester und seinen Schwager wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Das angebliche Motiv: Streit um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn.
Mit seiner gestrigen Entscheidung knüpft der BGH nun in erfreulicher Weise an Grundsätze an, die bereits das Bundesverfassungsgericht (BverfG) aufgestellt hat. So entspricht es seit langem der Rechtsprechung des BVerfG, dass das Grundgesetz einen absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung gewährleistet, der unantastbar und jeder Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist.
Persönlichkeitsschutz endet nicht beim Tagebuch
Bei mehreren Gelegenheiten entschieden die Karlsruher Richter etwa, dass Tagebuchaufzeichnungen nicht als Beweis verwertet werden dürfen, die den so genannten Intimbereich des Autors betreffen und nicht in mit einer konkreten Straftat zusammenhängen. Im Übrigen sei zwischen dem Persönlichkeitsschutz und einer funktionierenden Strafrechtspflege abzuwägen. Nur wenn schwere Straftaten verfolgt werden, kann ausnahmsweise auch der Inhalt eines Tagebuchs als Beweis herangezogen werden (BVerfG, Urt. v. 31.01.1973, Az. 2 BvR 454/71).
Ebenfalls auf den absolut geschützten Kernbereich hat das BVerfG in seinem Urteil zum großen Lauschangriff abgestellt, mit dem es die frühere Regelung zum Abhören von Wohnungen für verfassungswidrig erklärt hat. Damals führte das Gericht aus, dass durch das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung, der räumlich gegenständliche Bereich der Privatsphäre geschützt wird.
Insoweit diene das Grundrecht dazu, den Inhalt der Menschenwürdegarantie und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu konkretisieren. Das Abhören von absolut geschützten Gesprächen, etwa mit Familienangehörigen, sei deshalb unter allen Umständen verboten, solange nicht der konkrete Verdacht der Tatbeteiligung besteht (BVerfG, Urt. v. 03.03.2004, Az. 1 BvR 2378/98 u. 1 BvR 1084/99).
In Anlehnung an diese Kernbereichsrechtsprechung entschied der BGH im Jahr 2005, dass ein Selbstgespräch in einem Krankenzimmer prozessual unverwertbar ist. Nach den damaligen Ausführungen der Richter soll ein Krankenzimmer, ebenso wie eine Wohnung im herkömmlichen Sinn, die Privatheit der Lebensführung ermöglichen. Aus diesem Grund habe im konkreten Fall eine Vermutung dafür bestanden, dass durch das Selbstgespräch dessen Kernbereich tangiert ist (BGH, Urt. v. 10.08.2005 Az. 1 StR 140/05).
Das Auto als Rückzugsort
Diese Grundsätze hat der BGH jetzt noch einmal bestätigt und klargestellt, dass sie ebenfalls für Selbstgespräche gelten, die außerhalb einer Wohnung geführt werden. Solche Äußerungen seien von vornherein nicht dazu bestimmt, von anderen zur Kenntnis genommen zu werden und deshalb auch dann dem Kernbereich zuzuordnen, wenn sie sich auf eine konkrete Straftat beziehen. Der Grundsatz "Die Gedanken sind frei" gelte nicht allein für innere Denkvorgänge, sondern erfasst ausgesprochene Gedanken, wenn die Person glaubt allein zu sein.
Allerdings soll nicht jedes Selbstgespräch automatisch dem Kernbereich zuzuordnen sein. Es komme vielmehr auf die Gesamtumstände an, in denen die Äußerung erfolgt. Die Eindimensionalität der Selbstkommunikation, die mögliche Unbewusstheit der Äußerung, die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken, und ggf. deren bruchstückhafter Charakter sind zu berücksichtigen.
Eine maßgebliche Rolle dürfte bei der aktuellen Entscheidung deshalb gespielt haben, dass die belastenden Worte im PKW des Mannes aufgezeichnet wurden. Zwar handelt es bei einem Auto nicht um eine Wohnung im Sinne des Grundgesetzes. Es ist aber auch nicht Teil des öffentlichen Raums, sondern wird vielmehr von vielen Menschen als Rückzugsort genutzt, an dem man sich unbeobachtet fühlt und auch fühlen darf.
Das Urteil des BGH bestätigt wieder eindrucksvoll, dass es eine Wahrheitsermittlung um jeden Preis nach dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht gibt. Der Kernbereich der privaten Lebensführung muss deshalb vor staatlichen Zugriffen geschützt bleiben. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist es sicherlich ein Gewinn, wenn die Gedanken auch im eigenen Auto frei sind.
Kai Peters ist Rechtsanwalt und Partner der Strafrechtskanzlei Ignor & Partner in Berlin.
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Abhör-Urteil des BGH: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5174 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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