Einigung in der Abgasskandal-Klage: Was VW sich die Abwick­lungs­ho­heit kosten lässt

von Pia Lorenz

28.02.2020

Nun übernimmt doch VW die Abwicklung des Vergleichs mit den Geschädigten des Abgasskandals. Nichts aus der Hand zu geben, lässt der Autobauer sich einiges kosten, auch in Bezug auf Anwaltskosten. Allerdings ganz anders als bisher geplant.

Nach mehrtägigen Verhandlungen haben sich der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Volkswagen (VW) nun doch noch geeinigt. Am Freitagmorgen um 9.30 Uhr wurde der außergerichtliche Vergleich unterzeichnet, der die Musterfeststellungsklage beenden soll, die der vzbv für über 400.000 mutmaßlich durch den Abgasskandal Geschädigte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig gegen den Autobauer führt.

VW hat sich bereit erklärt, eine Summe von 830 Millionen Euro für die Abgasskandal-Geschädigten zur Verfügung zu stellen. Nach LTO-Informationen könnten es bis zu 950 Millionen Euro werden, wenn alle den Vergleich annähmen, denen er angeboten werden soll. VW und der vzbv gehen von rund 260.000 tatsächlich Anspruchsberechtigten aus, denen eine Vergleichszahlung angeboten werden soll. Die genaue Höhe für jeden betroffenen Geschädigten wird zwischen 1.350 und 6.257 Euro liegen.

Nun übernimmt tatsächlich VW die gesamte Abwicklung - und lässt sich das einiges kosten. Für den Autobauer wird die Einigung jetzt noch teurer als vor dem Abbruch der Verhandlungen vor zwei Wochen. Die Anwälte des vzbv, mit deren Kostenforderung von 50 Millionen Euro VW nach außen den Abbruch der Verhandlungen erklärt hatte, erhalten nur ein paar Hunderttausend Euro für ihre Mitwirkung an den Vergleichsverhandlungen, mit der Abwicklung des Vergleichs mit den Geschädigten werden sie gar nichts mehr zu tun haben. Die VW-Kunden, die ein Vergleichsangebot von VW bekommen, sollen sich stattdessen einen Anwalt nach Wahl nehmen können, der das Angebot überprüft, 190 Euro will VW dafür jeweils zahlen.

Der Frieden nach dem großen Krach

Hinter den Kulissen hatte es ziemlich gekracht, als VW vor zwei Wochen die Vergleichsverhandlungen öffentlich als gescheitert erklärt hatte. Der vzbv soll Ultimaten gesetzt, VW Verschwiegenheitsvereinbarungen gebrochen haben.

Sofort danach begannen die Schuldzuweisungen in aller Öffentlichkeit, wer für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich sei. Laut VW ging es um die Anwaltskosten der Vertreter des vzbv, der Rechtsanwälte Russ Litigation, laut dem vzbv habe VW sich nicht auf eine transparente Abwicklung des Vergleichs einlassen wollen.

Es war der Präsident des OLG und frühere Staatssekretär im niedersächsischen Justizministerium, Wolfgang Scheibel, der die Parteien am vergangenen Freitag wieder an den Verhandlungstisch geholt hatte. Man darf davon ausgehen, dass auch das OLG Braunschweig ein Interesse daran hat, die Musterfeststellungsklage (MFK), der sich über 400.000 mutmaßlich durch den Abgasskandal Geschädigte angeschlossen haben, nicht zuende führen zu müssen.

VW wickelt ab, VW zahlt

Die Summe für das Vergleichsangebot an die jeweiligen Geschädigten wird nunmehr auf der Grundlage einer Matrix bestimmt werden, die unter anderem  nach dem Datum des Erwerbs und den Fahrzeugtypen sowie dem Alter des vom Abgasskandal betroffenen Kfz unterscheidet.

Die Matrix stammt von VW, sie war einer der Hauptstreitpunkte in den vergangenen Monaten, seit die Parteien Mitte Dezember die Verhandlungen eingestiegen waren. Angedacht war nämlich eigentlich, dass die gesamte Abwicklung des Vergleichs über die Anwälte des vzbv, die sich unter dem Namen Russ Litigation zusammengeschlossen haben, übernommen werden sollte.

Dem vzbv wurden aber nach LTO-Informationen gar nicht alle Parameter der komplexen Matrix offen gelegt, nach denen VW die im Einzelfall für angemessen erachtete Vergleichssumme festlegt.  So erklärt VW zum Beispiel die Fahrzeugs-Identifikationsnummern zum Geschäftsgeheimnis, bestimmte VW-Käufer wurden per se aussortiert und nur relativ wenige Kaufpreise führten in der Auswertung schließlich zur kolportierten durchschnittlichen Vergleichssumme von 14,9 Prozent des Kaufpreises. Die impliziert zum Beispiel auch eine Einschätzung, ob viele eher geringwertige oder hochwertige, gebrauchte oder neue Kfz entschädigt werden müssen.

Nun werden alle Daten bei VW verbleiben. Auch die technische Plattform, über welche die Abwicklung erfolgen soll, wird nun von VW betrieben werden. Nicht durchsetzen konnte sich der Autokonzern allerdings mit einer Idee, die das Unternehmen nach LTO-Informationen in den Vergleichsverhandlungen äußerte: Die Rückabwicklung sollte über VW-Händler oder gar über neu zu gründende Stores in Innenstädten erfolgen – so hätte der Abgasskandal am Ende wohl noch mehr Geld in die Kassen spülen sollen.

Der vzbv selbst wird keine Einsicht in die Abwicklung mit den Geschädigten nehmen können. Stattdessen sollen ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer sowie eine Ombudsmannstelle eingesetzt werden, hochkarätig besetzt mit Ex-Justizministerin Brigitte Zypries,  Ex-BGH-Präsident Prof. Dr. Günther Hirsch und Ex-Bundesdatenschutzbeauftragtem Peter Schaar die Abwicklung überwachen und in Streitfällen "wohlwollend" prüfen, ob nicht doch ein Vergleichsangebot unterbreitet werden muss. Sie sollen dafür einen Unterbau bekommen, Technik, Personal, ein Callcenter. Auch das wird VW bezahlen, Insider rechnen damit, dass es für das Team allein mindestens 10 Anwälte brauchen wird.

Warum Russ Litigation jetzt statt 50 Millionen nur eine halbe bekommen

Russ Litigation dagegen, ein speziell für die Vertretung in der Musterfeststellungsklage gegründeter Zusammenschluss der Kanzleien von Prof. Dr. Marco Rogert und Tobias Ulbrich aus Köln mit Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer aus Lahr im Schwarzwald, sind mit dem heutigen Freitag aus der Abwicklung des Vergleichs mit den Geschädigten raus.

Das gilt zumindest, wenn sie nicht von den Geschädigten selbst wieder mandatiert werden, um den Vergleichsvorschlag von VW zu prüfen. Denn wer als Verbraucher nicht den eigenen Vertrauensanwalt wählt, landet mit seinem Abgasskandal-Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den Anwälten von Russ Litigation.  Die beiden Kanzleien verfolgen das Geschäftsmodell, Ansprüche für Abgasskandal-Geschädigte geltend zu machen, seit Jahren. Sie haben damit bislang sehr gut verdient, auch weil sie sich spezialisierten und ihren Betrieb weitgehend standardisierten. Beide Kanzleien arbeiten bundesweit und haben ihre Kanzleien technisch entsprechend ausgerüstet. Auf die Abwicklung der Fälle über Plattformen sind sie eingestellt und mit den zahlreichen denkbaren Fallkonstellationen ebenso vertraut wie mit der unterschiedlichen und oft uneinheitlichen bundesweiten Rechtsprechung zu den unzulässigen Abschalteinrichtungen.

Entsprechend präsent sind Rogert, Ulbrich, Stoll und Sauer im Internet. Sie betreiben diverse, gut suchmaschinenoptimierte Webseiten und schalten zudem Anzeigen bei den großen Suchmaschinen. Wer nach VW oder Abgasskandal sucht, landet fast unweigerlich bei den Advokaten, die sich für die MFK unter "Russ Litigation" zusammengeschlossen haben. 

Und wieso VW jetzt noch mehr Anwaltskosten zahlt als vorher

Von VW aber werden die vzbv-Anwälte nun nur noch für die bis jetzt begleitete Abwicklung des Vergleichs bezahlt, nach LTO-Informationen werden die vier Anwälte insgesamt rund eine halbe Million Euro erhalten. Orientiert haben die Parteien sich dabei an dem, was die drei Partner von Freshfields, die für VW agieren, seit Mitte Dezember für die Teilnahme an den Vergleichsverhandlungen in Rechnung gestellt haben.

Von den 50 Millionen Euro brutto, über die vor zwei Wochen verhandelt wurde, ist das weit entfernt. Diese Summe sollte die Anwälte allerdings auch für die Abwicklung des Vergleichs bezahlen und zudem neben den Anwaltskosten auch die Kosten der gesamten Abwicklung des Vergleichs inklusive technischer Plattform (nach LTO-Informationen rund 17 Millionen Euro) und der Einrichtung eines Callcenters umfassen. All das übernimmt – und zahlt – jetzt VW.

Die weiteren Anwaltskosten für die Abwicklung des Vergleichs aber belaufen sich dennoch auf weitere rund 50 Millionen Euro: VW will den rund 260.000 Geschädigten, die ihr Vergleichsangebot prüfen lassen, jeweils 190 Euro Anwaltskosten erstatten. Das entspricht der maximalen Erstberatungsgebühr nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und es sind sogar 70 Euro mehr als die rund 120 Euro pro Geschädigtem, die Russ Litigation vor zwei Wochen zugrunde gelegt hatten.

Damit haben die Parteien ein vergütungsrechtliches Problem gelöst, das so kompliziert war, dass Freshfields für VW während der Verhandlungen der vergangenen Monate den Kölner Juraprofessor und Berufsrechtler Prof. Dr. Martin Henssler hinzu zog. Russ Litigation wurden von Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann aus Hannover beraten, auch er spezialisiert auf das Berufsrecht der Rechtsanwälte.

Kostenübernahme nur für die Anwälte, die das VW-Angebot annehmen

Allerdings will VW die Kosten für die Anwälte der Geschädigten nur erstatten, wenn diese Erstberatungsgebühr nicht in einer anschließenden Geschäfts- und oder Verfahrensgebühr aufgeht. Dieses "Aufgehen", also die Anrechnung der entstandenen Erstberatungsgebühr für den Fall, dass die Angelegenheit nach der Erstberatung fortgesetzt wird, ist gesetzlich so geregelt (Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 2100 VV RVG), so argumentieren auch die Parteien des Vergleichs. Aber im Ergebnis bedeutet es, dass der Autokonzern die Kosten für die Anwälte nur demjenigen erstatten wird, der den Vergleich auch annimmt.

VW koppelt die Übernahme der 190 Euro Anwaltskosten für die Beratung zum Vergleichsangebot damit faktisch daran, dass der Anwalt sich im Sinne von VW verhält. Der Autobauer hat nämlich mittlerweile ein großes Interesse daran, so viele Verfahren wie möglich vor dem 5. Mai zu beenden, wenn der Bundesgerichtshof erstmals über einen Dieselgate-Fall verhandelt. Eine solche Kopplung könnte in das Recht auf freie Anwaltswahl zumindest mittelbar eingreifen, vielleicht auch die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden. Und in Stein gemeißelt ist die gesetzlich vorgeschriebene Anrechnung auch nicht, sondern sie greift zum Beispiel schon nicht mehr, wenn der Geschädigte den Anwalt wechselt.

Wie es jetzt weitergeht

Nun hat man sich geeinigt, die Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig allerdings muss noch beendet werden. Das geschieht nicht automatisch durch den am Freitag geschlossenen Vergleich.

Der wurde nämlich aus prozesstaktischen Gründen außergerichtlich geschlossen. Ein Vergleich in einer Musterfeststellungsklage würde nämlich erst wirksam, wenn 70 Prozent der Beteiligten ihn mittragen (§ 611 ZPO). Den gerichtlichen Vergleichsvorschlag aber an die über 400.000 mutmaßlich Geschädigten, die sich der MFK angeschlossen haben, überhaupt wirksam zuzustellen, hätte mindestens Monate, vielleicht Jahre dauern.

So entschlossen VW und der vzbv sich zu Gesprächen über einen außergerichtlichen Vergleich, für den § 611 ZPO formal betrachtet nicht gilt, über den die Geschädigten also auch nicht informiert wurden. Die Musterfeststellungsklage müsste nun nach dessen Zustandekommen noch durch eine gerichtliche Erklärung der Parteien beendet werden, vermutlich dürfte das durch eine Klagerücknahme geschehen. Diese kann erklärt werden, wenn die Frist für die Annahme des Vergleichsangebots abgelaufen ist, also am 20. April 2020. Für diese Art, das Verfahren außergerichtlich zu beenden, gibt es kein Quorum. Die Musterfeststellungsklage kann also zurückgenommen werden, egal wie viele Geschädigte den Vergleich angenommen haben.

Zitiervorschlag

Einigung in der Abgasskandal-Klage: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40545 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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