2/2: Warum der Aufsichtsrat die Entlastung empfahl
Besteht ernsthaft Anlass zu der Annahme, dass ein Vorstand in Erfüllung seiner Aufgaben gegen Pflichten verstoßen hat, die ihm gegenüber der Gesellschaft obliegen, so ist der Aufsichtsrat nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die potentiellen Pflichtverstöße aufzuklären und etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand geltend zu machen.
Ob der Vorstand von VW Pflichten verletzt hat, ist nach den derzeit öffentlich zugänglichen Informationen ungewiss und offenbar Gegenstand weiterer Untersuchungen. Demnach lässt der Aufsichtsrat der Volkswagen AG prüfen, ob Anhaltspunkte für etwaige Pflichtverletzungen des Vorstands bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 21.04.1997, Az. II ZR 175/95 – ARAG ./. Garmenbeck) ist der Aufsichtsrat dazu verpflichtet, mögliches Fehlverhalten der Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft aufzuklären.
In dieser Situation, in der die Aufklärung der Angelegenheit offensichtlich noch nicht abgeschlossen ist, hatte das Kontrollgremium grundsätzlich drei Möglichkeiten: Der Aufsichtsrat hätte zum einen vorschlagen können, die Entscheidung über die Entlastung zu verschieben, bis alle relevanten Informationen vorliegen. Zum anderen konnte er empfehlen, für oder eben gegen die Entlastung zu stimmen. Nun hat das Kontrollgremium angekündigt, der Hauptversammlung die Entlastung der Vorstandsmitglieder zu empfehlen.
Das Vorschlagsrecht des Aufsichtsrats ist in dieser Lage ein Instrument, um sich von einem Vorstand zu distanzieren oder sich demonstrativ hinter ihn zu stellen. Mit seiner Empfehlung für eine Entlastung bestätigt der Aufsichtsrat der Volkswagen AG die bisherige Linie der Unternehmenskommunikation, wonach die Vorstandsmitglieder nicht in die sogenannte „Diesel-Affäre“ involviert waren, sie insbesondere keine Kenntnis von den inzwischen eingestandenen Manipulationen hatten. Er stärkt damit sowohl gegenüber den Aktionären als auch gegenüber der Öffentlichkeit seinem Vorstand den Rücken. Eine Verschiebung der Entscheidung oder gar eine Empfehlung zur Verweigerung der Entlastung hätten diesen Standpunkt hingegen konterkariert.
Wie die Hauptversammlung auf den Beschlussvorschlag reagieren kann
Die Hauptversammlung ist nicht an die Beschlussvorschläge der Verwaltung gebunden, sie könnte die Entlastung also auch entgegen ihrer Empfehlung verweigern. Realistisch ist dieses Szenario allerdings nicht. In der überwiegenden Zahl der Fälle folgt die Aktionärsversammlung dem Beschlussvorschlag. Die Aktionäre dürften auch bei bestehenden Restzweifeln – etwa weil die Aufklärung der Angelegenheit noch nicht abgeschlossen ist – für die Entlastung stimmen. Dies liegt in ihrem Ermessen.
In einer Situation, in der das Unternehmen darum kämpft, seinen guten Ruf zurückzugewinnen, ist der Vorschlag des Aufsichtsrats nachvollziehbar. Hätte er eine Verschiebung der Abstimmung oder gar die Verweigerung der Entlastung vorgeschlagen, so würde dies beträchtliche Zweifel am Handeln der Vorstandsmitglieder zum Ausdruck bringen. Damit würde er die Position des Vorstands ganz erheblich schwächen. Über kurz oder lang wäre der Austausch sämtlicher im damaligen Zeitraum aktiven Vorstandsmitglieder unvermeidlich geworden.
Einen solchen Weg würde man im Allgemeinen nur beschreiten, wenn man über stichhaltige Belege für ein Missverhaltens der Vorstandsmitglieder verfügte. Dass der Aufsichtsrat sich für den Schulterschluss mit dem Vorstand entschieden hat, könnte man als Anzeichen dafür werten, dass solche stichhaltigen Beweise nicht vorliegen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Aktionäre dem Standpunkt des Aufsichtsrats anschließen.
Der Autor Dr. Stefan Heutz ist Rechtsanwalt und Partner bei der Essener Wirtschaftskanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notareund Experte für Gesellschaftsrecht.
Nach der Abgasaffäre: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19509 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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