NGOs und Bürger sollen sich künftig effektiver am Umweltschutz beteiligen können. Das Europäische Parlament hat die rechtliche Grundlage dafür erweitert. Doch Kritiker sehen die Änderung der Aarhus-Verordnung weiterhin als unzureichend an.
Die sogenannte Aarhus-Konvention wurde am 25. Juni 1998 in der gleichnamigen dänischen Stadt unterzeichnet. Ziel des Abkommens ist es, der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, sich am Umweltschutz zu beteiligen. Konkret sichert das Übereinkommen "den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten".
Diese drei Kernbereiche schaffen eine wichtige Aufsicht und Rechenschaftspflicht über die Entscheidungsfindung staatlicher Stellen in allen umweltrelevanten Bereichen, einschließlich des Klimaschutzes. Erst am 30. Oktober 2001 trat der entsprechende völkerrechtliche Vertrag in Kraft.
Die Europäische Union (EU) setzt die Aarhus-Konvention durch ihre Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 um. Damit gibt sie Nichtregierungsorganisationen (Non-governmental organizations, kurz: NGOs) das Recht, Entscheidungen von Organen und Einrichtungen auf EU-Ebene vor den EU-Gerichten anzufechten, wenn diese gegen das Umweltrecht verstoßen könnten. Die Verordnung sieht auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Beteiligung der Öffentlichkeit auf EU-Ebene in Bezug auf EU-Organe und -Einrichtungen vor.
Warum nun nachgebessert wurde
Seit vielen Jahren wurde die bisherige Umsetzung der Aarhus-Konvention als unzureichend kritisiert. Expert:innen bemängelten etwa, dass sie den NGOs nur das Recht einräume, eine äußerst begrenzte Art von Entscheidungen zu beanstanden und gleichzeitig für Einzelpersonen nicht das Recht vorsehe, Entscheidungen der EU-Institutionen vor den EU-Gerichten anzufechten.
Ende Oktober 2021 trat nun die geänderte Verordnung in Kraft. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, geht auf einen langen politischen Kampf um mehr Zugang der Zivilgesellschaft zur Justiz auf EU-Ebene zurück: Bereits im Jahr 2008 reichte die NGO ClientEarth bei den Vereinten Nationen (United Nations, UN) eine Beschwerde gegen die EU wegen Nichteinhaltung der Aarhus-Konvention ein. Zur Begründung führte sie aus, dass infolge der bestehenden Beschränkungen EU-Entscheidungsträger nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Das sei selbst dann der Fall, wenn diese gegen EU-Regeln zum Schutze der Natur und der öffentlichen Gesundheit verstoßen, einschließlich des übergeordneten Ziels des EU Green Deal, bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen.
Im Jahr 2017 stellte der für die Überwachung der Einhaltung der Konvention zuständige UN-Ausschuss schließlich fest, dass die EU gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt. Eine Änderung musste also her.
Was jetzt neu ist
Der Rat und das europäische Parlament haben daher nun weitreichende Neuerungen beschlossen. Sie haben unter anderem Veränderungen hinsichtlich der Klagebefugnis, des Klagegegenstands und der Informationspflichten beschlossen.
So wird beispielsweise die Klagebefugnis über NGOs hinaus ausgeweitet, sodass von nun an auch andere "Mitglieder der Öffentlichkeit", wie es in der Verordnung heißt, unter bestimmten Voraussetzungen eine interne Überprüfung von Verwaltungsakten beantragen können. Die Voraussetzungen dafür sind dann erfüllt, wenn EU-Bürger:innen nachweisen, dass ihre Rechte aufgrund des behaupteten Verstoßes gegen das Umweltrecht beeinträchtigt wurden und dass sie von einer solchen Beeinträchtigung im Vergleich zur Öffentlichkeit unmittelbar betroffen sind. Alternativ können sie nachweisen, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht und dass der Antrag von mindestens 4.000 Mitgliedern der Öffentlichkeit unterstützt wird, die in mindestens fünf Mitgliedstaaten wohnhaft bzw. niedergelassen sind, wobei mindestens 250 Mitglieder der Öffentlichkeit aus jedem dieser Mitgliedstaaten stammen müssen.
Was den Klagegegenstand angeht, sind weitere Beschränkungen von nun an aufgehoben, sodass beispielsweise auch Entscheidungen, die sich auf die Zulassungen für schädliche Pestizide oder die Begrenzung von Emissionen von Dieselfahrzeugen beziehen, nun öffentlich geprüft und angefochten werden können.
Weiterhin sind die Organe und Einrichtungen der EU ab jetzt dazu verpflichtet, Überprüfungsanträge und entsprechende Entscheidungen zu veröffentlichen.
Genügt das für die Zukunft?
Diese Erweiterungen der Aarhus-Verordnung fanden vielerorts großen Anklang. So bezeichnete die Umweltjuristin Anne Friel von ClientEarth die Änderung etwa als "historischen Moment": Die Zivilgesellschaft habe nun eine Stimme vor den EU-Gerichten, um die Umwelt zu schützen.
Uneinigkeit besteht allerdings nach wie vor über die weiterhin geltende Ausnahme, wonach Verwaltungsakte, die die Gewährung staatlicher Beihilfen betreffen, jedenfalls nicht nach der Aarhus-Verordnung überprüft werden können. Ob diese Ausnahme weiterhin gelten sollte oder nicht, war während der Verordnungsänderung politisch heiß umstritten, weil es im Bereich staatlicher Beihilfen um besonders viel Geld geht.
So zeigte sich etwa der JU-Vorsitzende Christian Doleschal, der für die CSU im EU-Parlament sitzt, erfreut darüber, dass die Ausnahme beibehalten wird, während das den Grünen/EFA im europäischen Parlament naturgemäß überhaupt nicht passt. So bezeichnete Michael Bloss, für die Grünen im EU-Parlament, die weiterhin fehlende Möglichkeit, Beihilfeentscheidungen angreifen zu können, als „inakzeptabel“. Das Recht auf Information und Widerspruch bliebe NGOs und einzelnen Bürger:innen damit verwehrt, wenn es beispielsweise um die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe oder umweltschädlicher Hafen- und Energieinfrastrukturen gehe.
Die EU-Kommission hat deshalb kürzlich angekündigt, sich schon bald erneut mit der umstrittenen Ausnahme zu beschäftigen.
Ob sich die übrigen Änderungen der Aarhus-Verordnung bald auch in der rechtlichen Praxis widerspiegeln werden und eine erhöhte Beteiligung der Zivilgesellschaft beim Umweltschutz sichtbar wird, ist derzeit nur schwer abzuschätzen. Ein Schritt in die richtige Richtung sind die jüngsten Änderungen der Aarhus-Verordnung auf jeden Fall, zeugen sie doch von einem besonderen politischen Bewusstsein bei den Entscheidungsträger:innen. Hoffentlich findet sich dieses auch außerhalb der Aarhus-Verordnung woanders gesetzlich verstärkt wieder. Um ihrem politischen Aktionsprogramm Green Deal und ihrer Vorreiterrolle für die Mitgliedstaaten gerecht zu werden, muss die EU dabei stets auf höchste Standards im Umweltschutz hinwirken.
Die Autorin Saskia Münster promoviert derzeit als Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung an der Universität zu Köln im rechtsvergleichenden Umweltrecht und ist Managerin des eben dort ansässigen Environmental Law Centers.
EU erweitert Aarhus-Verordnung: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46772 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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