Die Grundsteuer ist in ihrer aktuellen Fassung verfassungswidrig. Auch wenn das nicht überraschend kommt, stellt sogar die vom BVerfG gesetzte Frist von praktisch sieben Jahren Bund, Länder und Kommunen vor Herausforderungen, zeigt Dennis Klein .
In Deutschland gibt es ca. 35 Millionen Grundstücke. Hierfür fällt Grundsteuer an, die den Kommunen jährlich gut 13 Milliarden Euro Steuereinnahmen beschert. Gedacht ist die Grundsteuer nach dem Äquivalenzprinzip gewissermaßen als Kostenausgleich für die kommunalen Ausgaben im Zusammenhang mit Grundstücken, wie etwa für Straßen oder Infrastruktur. Dementsprechend soll sie alle Grundstücke erfassen, unabhängig davon, ob diese Erträge abwerfen oder nicht.
Letztlich ist dadurch fast jeder betroffen. Zunächst die Grundeigentümer, egal ob für ihr privates Wohnhaus, für einen aufstehenden Gewerbebetrieb oder für Mietshäuser. Indirekt aber auch Millionen von Mietern, da die Grundsteuer als Nebenkosten auf die Mieter überwälzbar ist. Aus diesen Gründen scheidet für die Steuerbemessung indes der Ertrag aus einem Grundstück aus, stattdessen ist auf den Grundstückswert abzustellen. Und hierin liegt das Problem.
Die Bemessungsgrundlage ergibt sich aus dem Einheitswert nach dem Bewertungsgesetz (BewG). Hierzu sollte die Finanzverwaltung eigentlich allgemein die Werte von Grundstücken ermitteln, festhalten und in regelmäßigen Abständen von sechs Jahren fortschreiben, um sie dann diversen Steuern zu Grunde legen zu können. Neben der Grundsteuer beispielsweise auch der Erbschaftsteuer oder einer Vermögensteuer – daher der Name Einheitswerte.
Wenn der Staat sich nicht an seine Gesetze hält
Nur leider hat sich der Staat selbst nicht an seine eigenen Gesetze gehalten. Denn die Einheitswerte sind das letzte Mal für 1964 ermittelt worden. Als 1970 die Neubewertungen anstanden, hat sich die Finanzverwaltung wegen des enormen Verwaltungsaufwands nicht wieder an die Ermittlung getraut. Und seitdem ist sie weiter untätig geblieben, hat das wachsende Problem also ausgesessen. Für die ostdeutschen Bundesländer muss die Behörden sogar auf Werte von 1935 zurückgreifen.
Die seitdem eingetretenen Veränderungen blieben also unberücksichtigt. Nicht nur, dass die Bemessung damit an den aktuellen Wertverhältnissen vollkommen vorbeigeht. Auch im Verhältnis der Grundstücke zueinander hat die Grundsteuer die Immobilienmarktentwicklung der vergangenen Jahrzehnte ignoriert. Während vielleicht in manchen ländlichen Regionen die Wertveränderungen gar nicht so gravierend sind, dürften sich in vielen Ballungszentren die Immobilienwerte seit 1964 vervielfacht haben. Die Relation der Einheitswerte zueinander ist völlig aus dem Ruder gelaufen.
Diese Ungleichbehandlungen sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht mehr vereinbar. Auch die Praktikabilität oder Verwaltungsvereinfachung vermag eine derart offensichtlich und langjährig dem Gesetzeskonzept zuwiderlaufende Ungleichbehandlung nicht mehr zu rechtfertigen. Die Basis der Grundsteuerbemessung ist damit in der jetzigen Form verfassungswidrig.
Der lange Weg nach Karlsruhe
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Grundsteuer vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) landete. Erstaunlich war im Grunde nur, warum dies so lange gedauert hat. Denn spätestens seit den 1990-iger Jahre wuchsen allerorten die verfassungsrechtlichen Zweifel.
Vermutlich hat die Verzögerung vor allem an der relativ niedrigen Steuerbelastung für den Einzelnen gelegen. Bei durchschnittlichen Steuerbelastungen im allenfalls dreistelligen Bereich überlegen es sich viele Bürger, ob sie einen langjährigen kostenintensiven Gang vor die Gerichte bis hin zum BVerfG gehen sollen.
Jetzt war es aber soweit und auf drei Richtervorlagen des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie zwei Verfassungsbeschwerden hin musste sich das BVerfG mit der Grundsteuer auseinandersetzen. Spätestens seit der mündlichen Verhandlung im Januar 2018 war Beobachtern klar, dass die Verfassungsrichter eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG annehmen würden. Und so geschah es dann am Dienstag auch, und zwar für die Zeit seit dem Jahr 2002 (BVerfG, Urt. v. 10.04.2018, Az. 1 BvL 11/14, 1 BvR 889/12, 1 BvR 639/11, 1 BvL 1/15, 1 BvL 12/14).
Übergangsfristen als gebilligter Verfassungsbruch
Die bange Frage war vornehmlich, wie es denn weitergehen sollte. Häufig gewährt das BVerfG bei verfassungswidrigen Steuergesetzen eine Übergangsfrist, so in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise auch für die Erbschaftsteuer . Trotz Grundrechtsverstoßes darf die Finanzverwaltung also ein verfassungswidriges Gesetz befristet weiter anwenden. Dieser höchstrichterlich gebilligte Verfassungsbruch wird staatspolitisch mit zwingenden Haushaltsgründen gerechtfertigt.
Für die Kommunen ist die Zwangslage tatsächlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Für sie stellt die Grundsteuer neben der Gewerbesteuer die zentrale Steuerquelle dar. Selbst beeinflussen können sie indes nur die kommunalen Hebesätze. Für die gesetzlichen Regelungen zur Bemessungsgrundlage sind stattdessen Bund und Länder zuständig. Würde mit einem Schlag die Grundsteuer – gar rückwirkend – wegbrechen, wäre dies für viele Kommunalhaushalte der Todesstoß.
Darum hat das BVerfG eine zweistufige Übergangsregelung aufgegeben. Bis spätestens zum 31. Dezember 2019 hat der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Neuregelung der Bemessungsgrundlage zu treffen. Danach dürfen für maximal fünf Jahre noch die bisherigen Einheitswerte zu Grunde gelegt werden. In der Zwischenzeit sind auf der Basis der Neuregelung die aktuellen Werte zu ermitteln. Spätestens zum 31. Dezember 2024 ist also Schluss mit den bisherigen Einheitswerten.
Was auf den ersten Blick großzügig anmutet, könnte für die Verwaltung ein ambitioniertes Programm werden. Bereits in der mündlichen Verhandlung hatten die Vertreter des Bundesfinanzministeriums sich prophylaktisch eine mindestens zehnjährige Übergangsfrist erbeten. Auf der Richterbank rief dies schon damals angesichts der jahrzehntelangen Passivität des Gesetzgebers deutliches Stirnrunzeln hervor.
Um die Mammutaufgabe, für 35 Millionen Grundstücke neue Werte zu ermitteln, kommt die Finanzverwaltung jetzt also nicht mehr herum. Reformvorschläge gibt es. Der Gesetzgeber muss sich zunächst schnell für einen davon entscheiden. Dann stehen die Neubewertungen an.
Wie geht es weiter?
Grob gesagt lassen sich zwei Antipoden identifizieren. Das eine Extrem ist ein vollkommen wertunabhängiges Flächenmodell. Das andere Extrem ist eine differenzierte Kombination aus Bodenwert und Wert des aufstehenden Gebäudes. In Richtung letzterer Variante ging etwa der 2016 von zahlreichen Bundesländern getragene Reformvorschlag.
Dieser möchte einen sog. Kostenwert zur neuen Bemessungsgrundlage machen. Bei diesem wird der Grund und Boden mit dem Bodenrichtwert angesetzt, hinzuaddiert wird die maßgebliche Gebäudefläche mit pauschalen Herstellungskosten. Freilich sind für Millionen von Grundstücken zahlreiche Parameter zu berücksichtigen – also geballter erheblicher Verwaltungsaufwand. Außerdem lehnten Bayern und Hamburg den Vorschlag seinerzeit ab, weil sie insb. auf ihre Bürger nach diesem Modell erhebliche Mehrbelastungen zukommen sahen.
Einfach und großstadtfreundlich: die Bodenrichtwerte
Wesentlich einfacher wäre es, allein auf die Bodenrichtwerte abzustellen. Denn diese Daten liegen bei den für die Grundstücksbewertungen in den Bundesländern eingerichteten Gutachterausschüssen bereits vor. Freilich würde der Immobilienbestand für die Steuerbemessung dann keine Rolle mehr spielen.
Zahlreiche Verbände sehen in dieser Variante für Ballungsräume sogar Vorteile. Es würde nämlich der Anreiz steigen, knappe Grundfläche intensiver durch Wohnbebauung auszunutzen, also zu verdichten. Rein praktisch gesehen erscheint dieser Weg außerdem den so sehr beklagten Verwaltungsaufwand relativ niedrig zu halten.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Lange hat sich der Gesetzgeber um eine Reform der Grundsteuer gedrückt. Jetzt ist er akut zur Anpassung gezwungen und in den nächsten sieben Jahren müssen die jahrzehntelangen Veränderungen des Immobilienmarktes steuerlich nachgeholt werden. Selbst wenn die Gesamtbelastung gleichbleiben sollte, dürften sich für Einzelne Mehrbelastungen ergeben. Und zwar vor allem in den Ballungsräumen.
Der Verfasser Prof. Dr. Dennis Klein ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.
Derzeitige Grundsteuer verfassungswidrig: . In: Legal Tribune Online, 10.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27983 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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