"Formlos, fristlos, fruchtlos" – mit diesem Juristenspruch machen sich manche über eines der ältesten Grundrechte überhaupt lustig, bedauert Hartmut Bauer im LTO-Interview. Er zeigt, was ohne Petitionsrecht fehlen würde.
Das Grundgesetz (GG) wird 70 Jahre alt. Das gibt Anlass, um einen Blick auf die wichtigsten Werte der deutschen Gesellschaft zu werfen. Bis zum 23. Mai stellt LTO die wichtigsten Grundrechte vor, ihre Entwicklung und ihre Bedeutung gestern und heute.
LTO: Herr Professor Bauer, woher kommt das Petitionsrecht und was hat man sich dabei gedacht?
Prof. Dr. Hartmut Bauer: Das Petitionsrecht zählt zu den verfassungsrechtlichen Ur-Institutionen, es ist eines der ältesten Grundrechte überhaupt. Man kann es sogar bis in das römische Recht zurückverfolgen.
Es hat eine wechselvolle Geschichte, je nach Epoche, die man sich anschaut. So manchem Monarchen gefiel es natürlich überhaupt nicht, per Petition mit empfindlicher Kritik konfrontiert zu werden. Zum anderen gab es früher keinen so gut ausgebauten Rechtsschutz durch Gerichte wie heute, sodass vom Petitionsrecht massenhaft Gebrauch gemacht wurde. So mancher Staat ist in Petitionsanträgen regelrecht ertrunken.
Deshalb gab es in der Geschichte nicht selten Petitionsverbote, zumal sich Petitionen nicht nur an den jeweiligen Monarchen, sondern – wie im Heiligen Römischen Reich zum Beispiel – auch an den Reichstag richten konnten.
LTO: Heute ist das Petitionsrecht als eigenständiges Grundrecht prominent im Grundgesetz verankert. Dabei hätte es der Parlamentarische Rat, der 1948/1949 die Verfassung erarbeitete, fast gestrichen.
Bauer: Zu der Zeit gab es eben auch die Auffassung, dass ein Petitionsrecht obsolet geworden sei. Eine moderne Republik nebst Rechtsstaatlichkeitsprinzip brauche so etwas nicht mehr. Man hat dann aber während der Vorbereitungen gesehen, dass das Petitionsrecht eine sinnvolle Ergänzung ist, auch wenn man eine ausgebaute Gerichtsbarkeit hat.
Um mal eine beispielhafte Parallele zu ziehen: In der DDR gab es das Neuerungswesen. Mit diesen Verfahren konnten die einzelnen Gewerke und Berufe dem Staat Verbesserungsvorschläge machen. Mit der Beibehaltung des Petitionsrechts wollte der Parlamentarische Rat ebenso eine Möglichkeit für die Bürger schaffen, Innovationen anzustoßen, sich kritisch zu – meist politischen – Vorgängen zu äußern und, um es ein wenig wolkig zu formulieren, "die Welt zu verbessern".
"'Formlos, fristlos, fruchtlos' - so denken viele auch vom Petitionsrecht"
LTO: Als Student bekommt man in der Staatsorganisationsrechts- beziehungsweise Grundrechtevorlesung so gut wie gar nichts von Art. 17 GG mit. Woran liegt das?
Bauer: Die ganze Juristenausbildung ist auf den gerichtlichen Rechtsschutz ausgelegt, die meisten Juristen werden Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte. Der Staat schreibt ja die Befähigung zum Richteramt nicht umsonst als oberstes Ziel ins Gesetz.
Das hat zur Folge, dass viele Studieninhalte jenseits dieses Fokus' zu kurz kommen. Die Mediation als Schlüsselqualifikation teilte gerade in den siebziger und achtziger Jahren ein ähnliches Schicksal als Bestandteil der Juristenausbildung. Alle diese "weichen" Inhalte ziehen den Kürzeren. Zudem kann man es den Studenten aus klausurtaktischer Sicht nicht verübeln, sich auf die "harten" Basics im materiellen wie formellen Recht zu konzentrieren.
"Formlos, fristlos, fruchtlos" – mit diesem typischen Juristenspruch gehen viele eben auch an das Petitionsrecht heran.
LTO: Dagegen betonen Sie, wie gut das Petitionsrecht den gerichtlichen Rechtsschutz ergänze. Wie würden Sie denn das Verhältnis dieser beiden Institutionen zueinander beschreiben?
Bauer: Der gerichtliche Rechtsschutz zum Beispiel beschränkt sich im Öffentlichen Recht darauf, eigene Rechte durchzusetzen. Das Petitionsrecht ermöglicht es Bürgern hingegen, auch allgemeinere Interessen durchzubringen, ohne selbst betroffen sein zu müssen und einen rechtlichen Anspruch verfolgen zu können.
Nehmen Sie den Ermessensspielraum der Behörden zum Beispiel. Der unterliegt nur in begrenztem Maße der Kontrolle durch Gerichte. Sie können in manchem Fällen gerichtlich obsiegen, später faktisch aber trotzdem mit Ihrem Anliegen nicht weiterkommen. Mit einer Petition, die Sie etwa an das Parlament richten, können Sie in solchen Fällen womöglich trotzdem etwas bewirken.
Wenn der Petitionsausschuss zum Beispiel dann kritisch bei der Verwaltung nachfragt, warum denn das Ermessen so oder so ausgeübt wurde, erzeugt das Druck. Dem beugen sich Behörden nicht selten, weil das Festhalten an einer per Petition hinterfragten Entscheidung beispielsweise mit erhöhtem Begründungsaufwand einhergeht.
LTO: Manchmal führt aber auch eine Petition nicht zum gewünschten Ergebnis...
Bauer: Dann hat sie in vielen Fällen die Situation aber immerhin etwas befriedet. Ob ich nun etwa von der Verwaltung oder der Behördenspitze mit kurzem Bescheid regelrecht abgewimmelt werde oder eine ausführliche Antwort bekomme, weil meine Petition Druck ausgeübt hat, macht für den Rechtsfrieden einen großen Unterschied.
"Mein Lieblingsfall ist der des Brandenburger Bombodroms"
LTO: Petitionen können also dazu führen, dass Probleme erkannt und vom Gesetzgeber angegangen werden.
Bauer: Richtig. Es gab da einen vergleichsweise prominenten Fall, in dem eine Französin und ein Deutscher geheiratet hatten. Die schieden sich nach deutschem Recht, waren nach französischem aber weiter Eheleute geblieben. Da hat sich der Deutsche an den Petitionsausschuss des Bundestags gewandt, der das Ganze an denjenigen des Europäischen Parlaments weiterleitete. Das führte letztlich dazu, dass solche Fälle nicht mehr auftreten, weil man das europäische Recht entsprechend harmonisiert hat.
Nun, sowas dauert natürlich eine Weile, aber das tun Gerichtsverfahren auch. Man kann mit Petitionen also eine ganze Menge bewegen – und zwar auch ganz im individuellen Interesse. Das wäre auf dem Gerichtsweg nie möglich gewesen.
LTO: Haben Sie einen persönlichen Lieblingsfall?
Bauer: In der Tat – und zwar der des Brandenburger Bombodroms, der auch mehr oder weniger prominent durch die lokalen und überregionalen Zeitungen geisterte. Das Bombodrom war ein Truppenübungsplatz für Schießübungen. Nun geht niemand gerne in einer Region, die auf den Tourismus angewiesen ist, wandern, wenn nebenan Bomben fallen. Und auch der Natur auf diesem großen Landstrich taten die Einschläge natürlich wenig gut.
Es gab dann eine Petition gerichtet an den Deutschen Bundestag, die mit 60.000 Petenten gar nicht mal so groß war. Der Petitionsausschuss machte sogar eine Ortsbegehung, während parallel noch diverse Gerichtsverfahren liefen, und letztlich ließen sich die politischen Akteure davon überzeugen, die Nutzung als Übungsplatz einzustellen. Sie entsprachen dem Antrag des Petitionsausschusses und ein jahrelanger Streit ging zu Ende.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Bauer.
Prof. Dr. Hartmut Bauer ist Inhaber des Lehrstuhls für Europäisches und Deutsches Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Potsdam.
Die Fragen stellte Marcel Schneider.
70 Jahre Grundgesetz – das Petitionsrecht aus Art. 17 GG: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35213 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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