Sein Kampf hat sich gelohnt: Der biologische Vater eines Dreijährigen darf alsbald auch rechtlicher Vater seines Kindes werden. Gescheitert war er zuvor u.a. an einer restriktiven Rechtslage, die sich jetzt als verfassungswidrig herausstellte.
Juristisches Ende eines emotionsgeladenen Familienstreits: Ein leiblicher Vater eines dreijährigen Sohnes bekam in Karlsruhe im Wesentlichen Recht und kann nun auch als rechtlicher Vater seines Kindes anerkannt werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab seiner Verfassungsbeschwerde statt, mit der er eine Verletzung seines Elternrechts nach Art. 6 Abs.2 Grundgesetz (GG) gerügt hatte (Urt. v. 09.04.2024, Az. 1 BvR 2017/21).
Laut BVerfG trägt die maßgebliche Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB) den Anforderungen an das Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung und beeinträchtigt dieses, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Das Bundesjustizministerium (BMJ) hatte bereits vor der Gerichtsentscheidung angekündigt, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens die Rechtsstellung leiblicher Väter im Rahmen einer bevorstehenden Reform des Abstammungsrechts stärken zu wollen. Nach dem Urteil am Dienstag bleibt dem Gesetzgeber auch keine andere Wahl.
Erfolglose Vaterschaftsanfechtung
Der Beschwerdeführer, dessen Beziehung zur Kindsmutter kurz nach der Geburt des Kindes in die Brüche ging, hatte sich unmittelbar nach der Trennung nicht nur um den stetigen Umgang mit seinem Sohn, sondern vergeblich auch um die rechtliche Vaterschaft bemüht. Diese garantiert wichtige Mitspracherechte, die das Kind betreffen. Ohne Anerkennung der Vaterschaft gibt es z.B. kein (gemeinsames) Sorgerecht.
Dass die Anerkennung als rechtlicher Vater scheiterte, lag zunächst ganz praktisch daran, dass die Kindsmutter entsprechende Termine vor dem Standesamt platzen ließ und dem Wunsch des Erzeugers nach rechtlicher Vaterschaftsanerkennung nicht zustimmte. Schließlich wandte sie sich wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes auch einem anderen Mann zu, der dann wenig später in die Rechtsstellung als rechtlicher Vater einrückte. Der leibliche Vater schaute in die Röhre und musste die Vaterschaft des anderen Mannes gerichtlich anfechten.
Streitpunkt: Sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und neuem Partner
Damit scheiterte er jedoch zuletzt vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg (Beschl. v. 05.08.2021, Az. 8 UF 95/21). Dieses legte die einschlägigen Abs. 2 und 3 des § 1600 BGB, die dem leiblichen Vater ein (begrenztes) Vaterschaftsanfechtungsrecht zubilligen, anders als noch die Vorinstanz zu seinen Ungunsten aus. Nach § 1600 Abs. 3 steht leiblichen Vätern ein Anfechtungsrecht zu, wenn im "maßgeblichen Zeitpunkt", den das Gesetz aber nicht näher bestimmt, keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater besteht. Liegt eine solche vor, soll der leibliche Vater den Familienfrieden nicht stören.
Umstritten war dabei in der Rechtsprechung seit Jahren, wann dieser "maßgebliche Zeitpunkt" im Sinne der BGB-Vorschrift vorliegt – und auch, welche Qualität die Bindung zum neuen Partner der Mutter haben muss. Im vorliegenden Fall hatte sich das OLG Naumburg zu Ungunsten des leiblichen Vaters auf den spätestmöglichen Zeitpunkt festgelegt: Wenn zwischen Kind und dem neuen Partner im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Anfechtungsverfahrens eine sozial-familiäre Beziehung besteht, sei für den leiblichen Vater die Anfechtung "gesperrt".
Dabei brachte das OLG allerdings auch ein gewisses Maß an Bedauern zum Ausdruck und räumte ein: Im konkreten Fall habe der leibliche Vater keine Chance gehabt, die rechtliche Vaterstellung für sein Kind einzunehmen. "Dies ist jedoch eine Folge der gesetzlichen Regelung", so das OLG.
BVerfG: Geltendes Recht längstens bis zum 30. Juni 2025 in Kraft
Diese Rechtslage ist seit diesem Dienstag jedoch bald "Schnee von gestern": Nach Auffassung des BVerfG bedarf das Elterngrundrecht einer grundlegenden neuen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber.
Dieser könne dabei — abweichend vom bisherigen Recht im BGB — die rechtliche Elternschaft des leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater vorsehen. "Hält er dagegen an einer Beschränkung der rechtlichen Elternschaft auf zwei Elternteile fest, muss zugunsten des leiblichen Vaters ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm ermöglicht, anstelle des bisherigen rechtlichen Vaters selbst rechtlicher Vater seines Kindes zu werden. Letzterem genügt das bisherige Recht vor allem deshalb nicht, weil es nicht erlaubt, eine bestehende oder vormalige sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater sowie dessen bisherige Bemühungen um die rechtliche Vaterschaft zu berücksichtigen", so das Gericht in einer Pressemitteilung.
Die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte Regelung in § 1600 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BGB über die Vaterschaftsanfechtung bleibt bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 30. Juni 2025, in Kraft.
Übernahme von Verantwortung entscheidend
Zur Begründung führte das BVerfG Details auf, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Elterngrundrechts des Art. 6 Abs.2 Satz 1 GG, auf das sich "im Grundsatz jedes Elternteil stützen kann", zu beachten habe. Das Elterngrundrecht sei durch die Übernahme von Verantwortung für das Kind seitens der Eltern geprägt.
"Es umfasst nicht allein Rechte im Verhältnis zum und im Umgang mit dem Kind, wie etwa das Sorgerecht, sondern schließt die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes ein. Zu dieser gehört neben der Verantwortlichkeit für das physische, psychische und wirtschaftliche Wohl des Kindes auch, dafür zu sorgen, dass sich das Kind in Ausübung seines eigenen Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann", so das Gericht.
"Ist das Elterngrundrecht mit dem Innehaben von Elternverantwortung verbunden, muss es Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich möglich sein, diese Verantwortung auch erhalten und ausüben zu können." Dies zu gewährleisten, sei Teil der Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers.
Familienrechtliche "Revolution": Ein Kind, drei Eltern
Der Hinweis des BVerfG, dass eine rechtliche Elternschaft künftig auch für mehr als nur zwei Eltern gelten kann, bedeutet nichts weniger als eine familienrechtliche Revolution und eine Abkehr des BVerfG von seiner bisherigen Rechtsprechung. Das Gericht hatte 2003 entschieden, dass es im Sinne des Kindeswohls läge, wenn die rechtliche Elternschaft auf zwei Elternteile beschränkt bleibe (Urt. v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96 u. 1 BvR 1724/01).
Jetzt entschied der Erste Senat, dass die das Elterngrundrecht prägenden Strukturmerkmale nicht zwingend vorgäben, "das Innehaben von Elternverantwortung und damit die Trägerschaft des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG von vornherein auf zwei Elternteile zu beschränken". Explizit räumte das Gericht eine Abkehr von seinem bisherigen Familienbild ein: "Anders als in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angenommen sind jedenfalls leibliche Väter, deren Elternschaft im verfassungsrechtlichen Sinne aus der genetischen Verbindung mit dem Kind aufgrund natürlichen Zeugungsakts mit dessen Mutter folgt, im Ausgangspunkt Träger des Elterngrundrechts und können sich auf die Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG stützen."
Bei der Ausgestaltung der rechtlichen Elternschaft — wie hier — der Grundrechtsträger Mutter, leiblicher Vater und rechtlicher Vater sei es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt, allen die rechtliche Elternschaft zuzuerkennen. Verfassungsrechtlich geboten sei eine solche Ausgestaltung allerdings nicht, so das Gericht.
BMJ bereitet Reform vor
Das BMJ hatte zuvor bereits angekündigt, unabhängig vom Ausgang des Karlsruher Verfahrens im Rahmen einer bevorstehenden Reform des Abstammungsrechts die Rechtsstellung leiblicher Väter stärken zu wollen. Ein Eckpunktepapier sehe vor, dass ein anhängiges Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft künftig Sperrwirkung entfalten soll, teilte ein BMJ-Sprecher mit.
Gegenüber LTO erläuterte er: "Solange ein gerichtliches Verfahren läuft, in dem ein Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will, soll grundsätzlich kein anderer Mann die Vaterschaft für dieses Kind anerkennen können." Weiter sehe das Eckpunktepapier vor, dass eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater eine Anfechtung von dessen Vaterschaft nicht mehr kategorisch ausschließen soll. "Wer glaubt, leiblicher Vater zu sein, soll die Vaterschaft des anderen Mannes künftig also auch dann anfechten können, wenn eine entsprechende Beziehung des Kindes zu dem anderen Mann besteht.
Das Gericht soll in einem solchen Fall künftig im Einzelfall prüfen, ob das Interesse an der Anfechtung der Vaterschaft das Interesse an dem Fortbestand der bisherigen Vaterschaft überwiegt. Im Zweifel soll der Bestand der bestehenden und gelebten Vater-Kind-Beziehung Vorrang haben", so der Sprecher.
Karlsruhe betont Spielraum des Gesetzgebers
Das BVerfG stellte in seinem Urteil vom Dienstag klar, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der mit dem Elterngrundrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbundenen Elternverantwortung sowohl auf der Statusebene des Eltern-Kind-Verhältnisses als auch auf derjenigen der konkreten Rechte- und Pflichtenstellung der Eltern gegenüber dem Kind ein Spielraum zustehe. "Entscheidet sich der Gesetzgeber wie im geltenden Fachrecht dazu, die rechtliche Elternschaft auf zwei Personen zu beschränken, ist er gehalten, die Elternschaft grundsätzlich an der Abstammung des Kindes auszurichten", so das Gericht.
Dem leiblichen Vater müsse auch dann ein Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm grundsätzlich die Erlangung der rechtlichen Vaterschaft ermögliche. "Dieses muss hinreichend effektiv sein, um dem Elterngrundrecht des leiblichen Vaters Rechnung zu tragen."
An der aktuellen Rechtslage zur Vaterschaftsanfechtung kritisierte Karlsruhe, dass der Erfolg oder Misserfolg eines Anfechtungsantrags häufig von Zufällen der zeitlichen Abfolge der Ereignisse, dem Willen der Mutter, den Einwirkungsmöglichkeiten des Jugendamts und der Auslastung der Familiengerichte abhängig sei und so zu einem "Wettlauf" um die rechtliche Vaterstellung führen könne.
Aussetzung bereits eingeleiteter Anfechtungsverfahren
Die mittelbar vom Beschwerdeführer angegriffene Vorschrift des § 1600 Abs.2 BGB beeinträchtige leibliche Väter vor allem deshalb unangemessen in ihrem Elterngrundrecht, weil gegenwärtige oder frühere eigene sozial-familiäre Beziehungen zu ihrem Kind ebenso wenig Berücksichtigung fänden wie ihr frühzeitiges sowie konstantes Bemühen um die rechtliche Vaterschaft. Außerdem sei selbst in Fällen eine Anfechtung ausgeschlossen, in denen eine - bislang sperrende - sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater gar nicht mehr vorliege.
Leibliche Väter wie der Beschwerdeführer müssen sich bis zur Gesetzesänderung allerdings noch gedulden. Da die verfassungswidrige Rechtslage noch gilt, empfahl das Gericht ihnen, bei den zuständigen Fachgerichten die Aussetzung bereits eingeleiteter Anfechtungsverfahren bis zu einer Neuregelung zu beantragen.
Bundesjustzminister will an Zwei-Elternschaft festhalten
Unterdessen bekräftigte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) noch am Dienstag, dass er nicht vor hat, den von Karlsruhe eröffneten Spielraum auszuschöpfen. Am Prinzip der Zwei-Elternschaft will er festhalten. "Wir wollen eine ehrgeizige Reform des Abstammungsrechts durchführen, wollen aber keine Revolution machen", wird Buschmann in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa zitiert. "Darüber bestehe in der Koalition auch Einvernehmen, und insofern bedarf es jetzt auch keiner Spekulationen", so Buschmann. Schließlich sei man überzeugt, dass das Zwei-Eltern-Prinzip sehr viele Vorteile hat.*
*Anmerkung: Das Buschmann-Zitat wurde am Tag des Erscheinens um 15.23 Uhr ergänzt.
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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde: . In: Legal Tribune Online, 09.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54276 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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