Zum Todestag von Johann Paul Anselm Ritter von Feuerbach: Der Kriminalpsychologe, der den "Fall Kaspar Hauser" nicht überlebte

von Ass. jur. Jürgen Seul

29.05.2012

Sein Sohn Ludwig wurde ein berühmter Philosoph, sein Enkel Anselm ein bedeutender Maler. Johann Paul Anselm Ritter von Feuerbach selbst war Jurist und begründete die wissenschaftliche Kriminalpsychologie. Er konkretisierte das heutige Justizgrundrecht "Keine Strafe ohne Gesetz" und spätestens seine Aufarbeitung des "Falles Kaspar Hauser" machte ihn unsterblich – und kostete ihn am 29. Mai 1833 womöglich das Leben.  

Feuerbach wurde am 14. November 1775 in Hainichen bei Jena als Sohn eines Advokaten geboren. Wohl niemand ahnte damals, dass sein Tod ebenso mysteriös sein und bleiben würde wie der seines berühmt gewordenen Schützlings Kaspar Hauser, dessen Seele er zu ergründen und dessen Schicksal er zu erleichtern versuchte. 

Nach seiner juristischen Ausbildung erhielt Anselm als 25-Jähriger eine Professur in Jena, wechselte 1802 nach Kiel und lehrte 1804 in Landshut, bis er 1805 seine akademische Lehrtätigkeit aufgab. Im selben Jahr trat er in das bayerische Justizdepartment in München ein. Unter seiner Mitwirkung wurde ein Jahr später die Folter in Bayern abgeschafft. 1808 wurde Feuerbach nicht nur Mitglied des Staatsrates, sondern auch zum Ritter erhoben.

Die Überlegungen des Juristen, dass die Androhung von Strafe auf potenzielle Straftäter abschreckend wirken könnte, fanden 1813 Eingang in das von ihm geschaffene Bayerische Strafgesetzbuch. Berühmt wurde Feuerbachs Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz", der heute zu den Justizgrundrechten gehört. Seine konstruktiv kritischen Ausführungen zu Rechtsfragen ließen ihm zum Begründer der modernen deutschen Strafrechtslehre werden.

Zu Feuerbachs beruflicher Laufbahn gehörte 1814 seine Einsetzung zum zweiten Präsidenten des Appellationsgerichts in Bamberg, 1817 zum ersten Präsidenten des Appellationsgerichts in Ansbach und 1821 die Beförderung zum Wirklichen Staatsrat, nachdem er bereits 1813 geadelt worden war.

Der Jurist und das Seelenleben der Verbrecher

Im Mittelpunkt von Feuerbachs kriminalwissenschaftlicher Betrachtung stand von Beginn an die psychologische Erforschung des Verbrechens. Die Geschichte einzelner Verbrechen, so Feuerbach, öffnet "in der Verfolgung und Darstellung des geistigen Entwicklungsprozesses strafwürdiger Handlungen eine reiche Fundgrube der Menschen- und Seelenkenntnis und arbeitet dadurch allen jenen Wissenschaften vor, welche entweder den menschlichen Geist unmittelbar zu ihrem Gegenstand oder auf denselben nah oder fern eine Beziehung haben." Selbst manche Vorgänge in der Welt- und Staatengeschichte würden erst dann verständlich, wenn man "für den Charakter und die Triebfedern manches ihrer Helden in den Annalen der Kriminalgerichtshöfe den rechten Schlüssel gefunden hat."

Der Kriminalrechtsfall eigne sich deshalb so gut, um psychologische Kenntnisse zu erlangen, weil dabei vieles, was im Rahmen der bürgerlichen Ordnung in der Tiefe liege oder übersehen werde, zum Vorschein komme. Feuerbach berief sich bei dieser These auf Schiller, der in der Einleitung der Kriminalerzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" und in der Vorrede zu der deutschen "Pitaval"-Auswahl ähnliche Gedanken vertreten habe.

Mit seiner eigenen Fallsammlung "Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen" (1827/29) griff Feuerbach das generelle Interesse seiner Zeitgenossen am Verbrecherschicksal auf und gab ihm eine Form, die für Jahrzehnte die Vorstellung von der Kriminalpsychologie prägen sollte. Es wurde in der Fachwelt von Rechtshistorikern als "bleibendes Meisterwerk der allgemeinen und der Fachliteratur" (Ernst Landsberg) gewürdigt, dessen "unvergleichliche Kraft der Darstellung der Leben und Taten jener merkwürdigen Verbrecher" als "das reife Werk eines großes Künstlers" (Karl Samuel Grünhaut)  galt.

Der "Fall Kaspar Hauser"

Am 26. Mai 1828 fand man in Nürnberg einen jungen Mann, der – wie Feuerbach später schrieb – "in höchst auffallender Haltung des Körpers dastand und, einem Betrunkenen ähnlich, sich vorwärts zu bewegen mühte, ohne gehörig aufrecht stehen und seine Füße regieren zu können. [...] Er schien zu hören, ohne zu verstehen, zu sehen, ohne etwas zu bemerken, sich mit den Füßen zu bewegen, ohne sie zum Gehen gebrauchen zu können. Seine Sprache waren meistens Tränen, Schmerzenslaute, unverständliche Töne [...]."

Er gab an, Kaspar Hauser zu heißen. Über seine weitere Herkunft und Identität vermochte er kaum Auskünfte zu geben. Er habe sein Leben im Dunkeln sitzend verbracht, nur von Wasser und Brot gelebt und nie einen Menschen gesehen. Gegen Ende seiner Gefangenschaft sei öfters ein Mann zu ihm gekommen, dessen Gesicht er aber nie sehen konnte. Dieser habe ihn ein wenig im Schreiben unterrichtet und nach Nürnberg gebracht.

Als Feuerbach von dem seltsamen Fall hörte, nahm er sich des jungen Mannes sofort an und veranlasste seine Unterbringung und Pflege im Hause des Gymnasialprofessors Daumer. Schon zu dieser Zeit entstand das Gerücht, dass Kaspar Hauser in Wirklichkeit der 1812 geborene älteste Sohn des badischen Großherzogs Karl gewesen und letztlich das Opfer einer Intrige geworden sei.

Am 17. Oktober 1829 fand man Kasper Hauser im Keller von Daumers Haus mit einer blutenden Stirnwunde, die ihm nach seinen Angaben ein "schwarzer Mann" zugefügt habe. In dem Angreifer wollte der Verwundete denjenigen wiedererkannt haben, der ihn nach Nürnberg geführt hatte. Die eingeleiteten Ermittlungen aber blieben ohne Ergebnis.

"Verbrechen am Seelenleben des Menschen"

Feuerbach wurde nicht müde, sich für Kaspar Hauser zu engagieren. Der Jurist regte 1830 in Briefen eine Kollekte zur Versorgung seines Schützlings an. Vor allem aber forschte der Kriminalpsychologe nach dessen wahrer Herkunft. 1832 veröffentlichte er das Buch "Kaspar Hauser, Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen".

Der Autor übermittelte sein Werk sogleich Königin Karoline von Bayern, einer geborenen badischen Prinzessin. In seinem Begleitschreiben sprach Feuerbach von einem "Majestätsverbrechen", dessen Einzelheiten er in einem zusätzlichen "Memoire über Kaspar Hauser" der Königin näher erläuterte. Darin stellte er fest, dass es einen "Beweis aus dem Zusammentreffen der Umstände" dafür gebe, dass Hauser dem badischen Prinzentum entstamme. Er würde zwar vor keinem Richterstuhl entscheidendes Gewicht haben, begründe aber eine "sehr starke menschliche Vermutung, wo nicht vollständige moralische Gewissheit".

Am 29. Mai 1833 starb Feuerbach auf einer Reise nach Frankfurt. Schnell entstand das Gerücht, dass er wegen seines Eintretens für Kaspar Hauser vergiftet worden sei. An diese Version glaubte nicht nur die Familie des Juristen, sondern auch er selbst kurz vor seinem Ableben.

Noch im selben Jahr wie sein Beschützer starb auch Kaspar Hauser Am 14. Dezember kam er mit einer Stichverletzung nach Hause, der er drei Tage später erlag. Nach Hausers Darstellung hatte ihn ein fremder Mann im Ansbacher Hofgarten niedergestochen.

Der "Fall Kaspar Hauser" ist nie aufgeklärt worden. Vieles spricht nach heutigem Forschungsstand dafür, dass Feuerbachs Beurteilung einer badischen Prinzenschaft die plausibelste Erklärung war.

Der Autor Jürgen Seul lebt als freier Publizist und Redakteur in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Er verfasste zahlreiche Publikationen u. a. zum Architektenrecht, Arbeitsrecht sowie zu rechtshistorischen Themen.

Zitiervorschlag

Jürgen Seul, Zum Todestag von Johann Paul Anselm Ritter von Feuerbach: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6284 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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