Vor 375 Jahren starb Friedrich Spee, dessen 1631 anonym publizierte Schrift "Cautio Criminalis" einen Beitrag zum Ende von Folter und Hexenprozessen in Deutschland geleistet hat.
Ob Folter unter Umständen vernünftig sei, wird selbst an deutschen Hochschulen wieder diskutiert. Und Hexenverfolgungen gehören leider auch nicht der Vergangenheit an. So heißt es, dass in Tansania jährlich Hunderte wegen Hexereivorwürfen getötet würden. Einen Augenblick Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erfuhren die Morde an den "Kinderhexen" von Kinshasa. Und zuletzt berichtete SPIEGEL ONLINE im Juli, dass allein in Indien jedes Jahr rund 200 Frauen als Hexen gelyncht würden – in einem Land, von dem sonst nur Globalisierungsträume handeln.
Von einer Missionstätigkeit in Indien träumte der Jesuit Friedrich Spee, auch bekannt als Friedrich Spee von Langenfeld. Doch sein "Global Player"-Orden befahl ihn zu Einsätzen in Deutschland, das von Reformation und Gegenreformation gezeichnet war, schon als es 1618 der Krieg zu verheeren begann, der als der Dreißigjährige bekannt werden sollte.
Friedrich Spee kam 1591 in Kaiserswerth bei Düsseldorf als Sohn eines kurkölnischen Beamten zur Welt. Mit 19 Jahren trat er als Novize bei den Jesuiten ein, dem Orden mit intellektuellem Anspruch für den Nachwuchs katholischer Familien, geprägt von soldatischer Disziplin.
Während eines Einsatzes im Niedersächsischen, bei dem protestantische Gläubige zurück zum katholischen Bekenntnis genötigt wurden, kam es 1629 zu einem Anschlag auf Spee. Nach seiner Genesung erhielt er einen Lehrauftrag, u.a. für Moraltheologie in Paderborn, der ihm 1631 wieder entzogen wurde. Er starb am 7. August 1635 in Trier, es heißt an einer Pestinfektion, die er sich bei der Betreuung verwundeter und kranker Soldaten zugezogen habe. Spee wurde 44 Jahre alt.
Hexenwahn in Europa – ein recht modernes Phänomen
Über kaum ein Kapitel der Rechtsgeschichte wird in der breiten Öffentlichkeit so viel Unfug verbreitet wie über die Hexenprozesse, deren Zeuge und Kritiker auch Friedrich Spee wurde. Angeblich fanden sie im finstren Mittelalter statt. Tatsächlich wurzelt zwar der Inquisitionsprozess, der später die Hexereiverfahren prägte und das kontinentaleuropäische Strafrecht bis heute prägt, in dieser Zeit. Aber bis zur Neuzeit gaben sich gebildete Juristen nicht mit Hexerei ab. Das waren Ammenmärchen.
Dies änderte sich mit der Rezeption des "Hexenhammers", den der Dominikaner Heinrich Kramer erstmals 1486 veröffentlichte. Er zählt zu den Schlüsselwerken der reichhaltigen dämonologischen Literatur jener Zeit, zu deren fleißigsten Vertretern auch Jean Bodin zählte, besser bekannt als Erfinder der Staatssouveränität.
In weiten Teilen Deutschlands wurde seit 1532 die Peinliche Halsgerichtsordnung (PGO) Karls V. herangezogen, deren 109. Artikel vorschrieb, dass jemand, der anderen Menschen durch Zauberei einen Schaden zugefügt hatte, zum Tode zu verurteilen sei – regelmäßig zu vollziehen durch Verbrennen. Lautete der Vorwurf nur auf Ausübung von Zauberei, ohne dass dem ein Schadensereignis zugeschrieben wurde, sollte vom erkennenden Gericht wegen des Strafmaßes Rat eingeholt werden, je nach den landesüblichen Gepflogenheiten durch das Gutachten einer Juristenfakultät oder Entscheidung des Landesherrn.
Im Wesentlichen war die PGO nur ein "Restatement" bestehenden Rechts, also noch keine modernisierende Eigenleistung Kaiser Karls V. Schadenszauber war schon zuvor als strafbar behandelt worden, im Zuge der Rezeption römischer Rechtssätze.
Parallel kam der Inquisitionsprozess auf, bei dem nicht länger eine (an-) klagende Partei Beweis führen musste. Nun war zu beweisen, was sich die zur Strafverfolgung befugte Obrigkeit als Verdacht in den Kopf gesetzt hatte – beispielsweise ein städtischer Rat. Und das konnte das jetzt auch von Gelehrten vertretene Konzept der Hexerei sein.
Folter setzt sich als Beweismittel durch
Massiv eingesetzt zur amtlichen Beweiserhebung wurde nun die Folter, und zwar ohne die Schranken, die die Carolina sonst setzte. Denn Hexerei galt mancherorts zugleich als Beleidigung Gottes oder des Monarchen, sodass sich Ausnahmen leicht begründen ließen. Anderenorts galt der Teufelspakt der hochverräterische Teil des Hexereidelikts, der exzeptionelles Foltern erlaubte.
Als Friedrich Spee im Mai 1631 seine "Cautio Criminalis" veröffentlichte, hatten sich Hexereiprozesse in vielen Ländern Europas ausgebreitet: Deutschland, Frankreich, England waren es in der Hauptsache. In Spanien bereiteten Untersuchungen eines Inquisitors, Alonso Salazar Frías, staatlichem Hexenwahn ein Ende. Auch der Balkan blieb unter türkischer Herrschaft frei von den Verfolgungswellen, die zwischen 1450 und 1650 Mitteleuropa trafen, lokal unterschiedlich, teils auch gar nicht.
In kleinen Herrschaftsgebieten konnte sich eine perfide, tödliche Eigendynamik entwickeln, wie das z.B. für die freie Reichsstadt Esslingen untersucht wurde. In kirchlichen Flächenstaaten griff der Hexenwahn auch gerne um sich, beispielsweise in Kurköln, Trier, Paderborn oder Würzburg, Städten also, in denen Spee als Priester diente, wobei er vermutlich den beschuldigten bzw. verurteilten Menschen, überwiegend Frauen, geistlichen Beistand leistete.
"Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse"
Friedrich Spees "Cautio Criminalis", die im April 1631 anonym erschien, wurde einen Monat später schon von einem hohen Geistlichen in Paderborn, Johann Peling, als "Buch von schlimmster Pestilenz" bezeichnet, enthält es doch einen rhetorisch äußerst geschickten Angriff auf die Praxis der Hexenverfolger.
So bestreitet Spee nicht, dass vielleicht böse Zauberei, Hexerei, Schadenszauber in der realen Welt existent sei. Ähnlich kritische Vorgänger waren da durchaus weiter gegangen, beispielsweise Johann Weyer (1515/16-1588), der die vermeintliche Hexerei auf krankhafte Melancholie zurückgeführt hatte – und deshalb selbst Verfolgungsdruck ausgesetzt war.
Spee wendet sich mit der "Cautio" an die Fürsten, denen er im Stil der Ratgeberliteratur seiner Zeit eine gute Hand bei der Auswahl ihres Strafverfolgungspersonals ans Herz legt und von denen er fordert, die Prozesse streng zu überwachen – wohl ahnend, dass allein dies schon mancher Verfolgungswelle ein Ende bereiten würde, wie es dann in einigen Herrschaftsbereichen geschah.
Außerdem greift Spee die Praxis der Folter an. Etwa mit dem Argument, dass "wirklich starke Männer, die wegen des Verdachts schwerer Verbrechen die Folter durchgemacht hatten" eher bereit seien, jedes Verbrechen zu gestehen, als nochmals der Folter ausgesetzt zu sein.
In den Abschnitten zur Folter verhandelt Spee nahezu alles, was zu sagen ist: Ihre Untauglichkeit als Beweismittel. Er bemerkt die Eigendynamik, aufgrund derer die Folterer ihre Opfer ungern in die Freiheit entlassen, selbst wenn sie die Quälerei überstanden haben. Spee schildert die Zerstörung der sozialen Existenz der Gefolterten.
Als Philosoph und Untertan argumentiert Friedrich Spee zwar nicht, wie es seinerzeit nur einem Fürsten als Gesetzgeber zugestanden hätte: Dass die Folter abzuschaffen sei.
Er fordert aber, damit sie angewendet werden dürfe, so viele Sachbeweise und gute, weil selbst nicht durch Folter erpresste Zeugnisse, dass ihre Anwendung nahezu undenkbar wird. Ein vernünftiger Mensch sollte nicht auf den Gedanken kommen, sie für zwingend notwendig zu halten.
Nachwirkungen
Die großen Verfolgungswellen ebbten bereits im 17. Jahrhundert ab. So wenig wie sich monokausal sagen lässt, warum es zu Hexenverfolgungen kam, so schlecht lässt sich ihr Ende erklären. Friedrich Spees Argumente gegen die Folter beeinflussten an der Wende zum aufgeklärten 18. Jahrhundert Köpfe wie Christian Thomasius (1655-1728). Diesem Vertreter eines rationalen Naturrechts schrieb Friedrich II. von Preußen zu, ihn zum Verbot der Folter in preußischen Landen 1740 bzw. 1755 inspiriert zu haben.
Im Jahr 1783 machte der Justizmord an der Magd Anna Göldi in der Schweiz das aufgeklärte Publikum Europas auf den Skandal aufmerksam, dass Hexerei noch im materiellen Strafrecht zu finden war – Streichungen sollten jetzt folgen.
Dass das aufgeklärte Publikum heute auf die Lynchjustiz an den vermeintlichen Hexen und Zauberern Afrikas oder Asiens ähnlich aufgeschreckt reagieren würde, ist nicht zu erkennen.
Ein Friedrich Spee jedenfalls würde heute wohl nach Indien reisen.
Der Autor Martin Rath ist Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Zum Todestag von Friedrich Spee: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1198 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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