Wohnungsnot: Die Miet­p­reis­b­remse im Zei­talter der regu­lierten Rin­der­rou­lade

von Martin Rath

14.04.2019

Darf einem Vermieter das Eigentumsrecht an der Wohnung so stark beschränkt werden, dass er kaum noch etwas von ihr hat? Heute vor 70 Jahren billigte der Staatsgerichtshof Hessen Eingriffe, die sogar über jene der NS-Zeit hinausgingen.

Während in Bonn am Grundgesetz für den westlichen Teil Deutschlands gearbeitet wurde und die Gründung des Bundesverfassungsgerichts noch Zukunftsmusik war, durften die hessischen Bürger bereits erste Kostproben auf eine künftige schlagkräftige Verfassungsgerichtsbarkeit nehmen. Allein, sie schlug nicht immer.

Nach § 45 Abs. 2 Gesetz über den Staatsgerichtshof des Landes Hessen stand jedermann ein Antragsrecht "zur Verteidigung der Grundrechte" zu, also das Recht, die Verletzung von Grundrechten zu rügen.Mit seinem Beschluss vom 14. April 1949 (Az. P.St. 11) bereitete der Staatsgerichtshof dem Beschwerdeführer jedoch eine herbe Enttäuschung.

In diesem Fall hatte der Eigentümer einer Wohnung bereits im Kriegsjahr 1944 ein Räumungsurteil wegen Eigenbedarfs erstritten. Dies musste für ihn angesichts der Gesetzeslage und der Zeitumstände eine schwere Übung gewesen sein, denn das Recht meinte es nicht gut mit den Eigentümern.

So erlaubte es § 4 Abs. 1 Mieterschutzgesetz in der Fassung vom 15. Dezember 1942 (RGBl. I, 712–723) dem Vermieter – bei sonst ungestörtem Vertragsverhältnis – nur dann auf die Aufhebung des Mietverhältnisses zu klagen, "wenn für ihn aus besonderen Gründen ein so dringendes Interesse an der Erlangung des Mietraums besteht, daß auch bei Berücksichtigung der Verhältnisse des Mieters die Vorenthaltung eine schwere Unbilligkeit für den Vermieter darstellen würde". Im Wesentlichen entsprach dies zwar seit 1923 der Gesetzeslage, doch hatte das NS-Regime nachhaltig gegen die vermeintliche Gier der Vermieter polemisiert.

Bei der Abwägung waren die Gerichte u.a. gehalten, wertsteigernde Investitionen des Mieters, bei gewerblichen Räumen etwaige Standort-Alternativen des Eigentümers für seine Geschäfte zulasten des Vermieters zu berücksichtigen.

Die Zeitumstände kamen hinzu. Während der Kriegsjahre wurden Zivilrechtssachen vernachlässigt.Spätestens mit den Einmarsch alliierter Truppen trat seit dem Frühjahr 1945 der Stillstand der Rechtspflegeein.

Bis hierher hatte der Räumungskläger obsiegt. Es sollte ihm nichts nützen.

Militärgesetzgebung, eine Landesverfassung und keine Räumung weiter

Die alliierte Militärregierung setzte mal mehr, mal weniger umfangreich neues Recht. Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 18 – Wohnungsgesetz – vom 8. März 1946 wurde den Gemeinden beispielsweise vorgeschrieben, Wohnungsämter zu bilden, um den weitgehenden staatlichen Zugriff auf die Verteilung von Wohnraum zu organisieren. Das Mieterschutzgesetz 1942 blieb,von einer Entnazfizierung seiner NS-spezifischen Teile abgesehen,zunächst weitgehend unberührt.

Durch "Verordnung über die einstweilige Regelung von Mietstreitigkeiten" vom 23. November 1946 weitete das unter amerikanischer Kuratel stehende Groß-Hessische Staatsministerium den Mieterschutz jedoch noch einmal aus.

Einer Klage auf Aufhebung des Mietverhältnisses war in Hessen jetzt nur noch dann stattzugeben, wenn sich der Mieter "einer erheblichen Belästigung des Vermieters oder eines Hausbewohners schuldig" machte bzw. die Räume erheblich beschädigte oder gefährdete (§ 1), wenn er unheilbar mit dem Mietzins in Rückstand geriet (§ 2) oder er sich unbegründet weigerte,"eine von der Preisbildungsbehörde für Mieten und Pachten genehmigte Mieterhöhung anzuerkennen".

Waren Untermieter vorhanden – dies galt angesichts der zerbombten Großstädte und der vielen Flüchtlinge auf dem Land für einen Gutteil des Nachkriegs-Wohnungsbestands – traten sie bei erfolgreichem Vorgehen des Vermieters gegen den Hauptmieter an seiner Stelle ins Mietverhältnis ein (§ 4).

Dem Räumungskläger des Jahres 1944 wurde nun durch § 8 der Verordnung der Weg in die eigene Wohnung versperrt: Zwangsvollstreckungen aufgrund von Titeln, die sich auf § 4 Mieterschutzgesetz 1942 stützten, "blieben eingestellt".

Wohnraum-Bourgeois wird zum Verfassungsklage-Citoyen

Der Räumungskläger sah sich durch diese Einstellung des Verfahrens in seinem Eigentumsrecht aus Art. 45 Hessische Verfassung verletzt.

Auch wenn die Verfassung des Landes Hessen 1946 nicht nur mit einem "Tropfen sozialistischen Öls"(Otto von Gierke zum BGB) gesalbt wurde, sondern sie zum Beispiel mitihren Vorschriften über eine das gesamte Volk umfassende Sozialversicherung (Art. 35) oder zur Vergesellschaftung von Bergbau und Banken (Art. 41) eher mit"sozialistischem Öl" mariniert denn beträufelt ist, und zwar bis heute, entspricht ihre Eigentumsgarantie (Art. 45) doch im Wesentlichen dem, was sich 1949 auch in Art. 14 Grundgesetz (GG) finden sollte: Gewährleistungbei gesetzlicher Inhalts- und Grenzbestimmung, Gemeinwohlverpflichtung und Recht auf angemessene Entschädigung, sollte es im öffentlichen Interesse "eingeschränkt oder enteignet" werden.

Der Staatsgerichtshof mochte jedoch der Idee nicht folgen, ein Eigentümer, der aus dringendem Eigenbedarf in seine Wohnung ziehen wollte und dies nicht durfte, sei im Eigentumsrecht verletzt.Das Mieterschutzgesetz von 1942 habe dem Vermieter zwar bereits weitgehend die Möglichkeit genommen, darüber zu bestimmen, mit wem er ein Mietverhältnis fortsetzen oder es eingehen wollte. Das Eigentum an sich sei ihm aber nicht entzogen.

Die hessische Verordnung sorge über das 1942er-Recht hinaus nur dafür, dass "der Vermieter auch bei dringendem Eigenbedarf kein Vorrecht vor einem Fremdmieter haben soll". Das Gericht betrachtete unter den Bedingungen der allgemeinen staatlichen Wohnraumkontrolle den Eigentümer hier also als eine Art "Eigenmieter" im amtlichen Ermessen, als einen Fremdling in der eigenen Immobilie – allerdings ohne diese verräterische Semantik zu vollenden.

Dem Vermieter sei auch kein Schaden entstanden, weil es keinen ökonomischen Unterschied zwischen der Selbstnutzung und der erzwungenen Vermietung der Wohnung gebe: "Ob der Wert der Wohnung dem Antragsteller als Mietzins oder als Eigengebrauch zufließt, kommt wirtschaftlich auf dasselbe hinaus; er könnte sich den Eigengebrauch weder höher noch niedriger anrechnen."

Dichtes System der staatlich regulierten Preisbildung

Verständlich war dieser Gedankengang der hessischen Verfassungsrichter vor dem Hintergrund einiger Jahrzehnte staatlicher Preislenkungsversuche.

Bereits im Ersten Weltkrieg hatte der Gesetzgeber auf den Einbruch des Wohnungsbaus reagiert, indem u.a. Regeln zur Miethöhenbegrenzung und zur Bekämpfung von Leerständen erlassen wurden.

Das Reichsmietengesetz vom 24. März 1922 schuf die Kompetenz des "Mieteinigungsamts", auf Antrag den Mietzins mit Blick auf die sogenannte Friedensmiete – Stand vom 1. Juli 1914 – sowie unter Berücksichtigung der Zinslast des Eigentümers, Instandsetzungsleistungen und vieles andere mehr neu festzusetzen.

Das Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter vom 1. Juni 1923 machte u.a.die Beendigung des unbefristeten Mietverhältnisses durch den Vermieter von einer Aufhebungsklage abhängig. Der NS-Staat übernahm dies 1942 vom demokratischen Gesetzgeber des Jahres 1923.

Wenn in jüngster Zeit in polemischer Absicht – von den üblichen Verdächtigen – die Erfindung der "Mietpreisbremse" dem NS-Gesetzgeber zugerechnet wurde, ist dies bestenfalls die halbe Wahrheit: Es trifft zu, dass der NS-Staat, ebenso wie der Gesetzgeber des späten Kaiserreichs, der Weimarer und der Bundesrepublik, wiederholt in die Preisbildung am Wohnungsmarkt eingriff.

Zunächst betraf dies 1936 den vor dem 1. Juli 1918 errichteten Wohnungsbestand, für den ein Tarif von 110 % der erwähnten Friedensmiete als verbindliche Orientierungsgröße eingeführt wurde. Die "Erste Ausführungsverordnung zur Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen" vom 30. Novemer 1936 fror dann den Mietzins auch für die Neuvermietungen von neuem Wohnraum, untervermieteten Räumen und Dienstwohnungen auf dem Stand vom 18. Oktober 1936 ein.

Schon der Regelungszweck war damals indes arkan. Heimliche Geldschöpfung, Aufrüstungs- und Beschäftigungspolitik trieben im NS-Staat die Inflation an. Ihr galten die überall eingesetzten Preiserhöhungsverbote.

Die tariflichen Arbeitsentgelte regelte seit der Zerschlagung der Gewerkschaften derStaat.Auf den Gütermärkten fanden sich seither endlose Regulierungen voll kerndeutscher Detailliebe, zum Beispiel: "Die Preise für frisches Rindfleisch … gelten nicht für Filet und Lende (Roastbeef); als Lende gilt der Teil des Tieres vom Schloßknochen bis zur dritten Rippe. … Bei Rouladen darf ein Zuschlag bis zu 10 Reichspfennig für je 500 Gramm für Schmorfleisch (Bratfleisch) ohne Knochen erhoben werden"(Verordnung über Fleisch- und Wurstpreise vom 22. Oktober 1936).

Lehrenaus dem Hessen von 1949

Wenn der Staatsgerichtshof mit Beschluss vom 14. April 1949 zu der heute befremdlich anmutenden Auffassung kam, dem Eigentümer der Wohnung sei hier kein Verlust an Rechten entstanden, ist dies mit Blick auf diese langjährig als selbstverständlich anerkannte engmaschige Preisregulierungspolitik zu verstehen:

Denn musste der Vermieter in diesem Fall aus Hessen, statt in den eigenen vier Wändenweiterhin selbst zur Miete wohnen, war der dafür zu zahlende Mietzins ebenso staatlich limitiert wie jener, den er von seinen Mietern erhielt. Andere Vorteile von Wohneigentum machten die Wohnungsämter zunichte. Sollte die eigene Wohnung mehr Räume haben als die angemietete, würden diese im Zweifel von zwangsweise zugewiesenen Mietern in Beschlag genommen werden. Man wohnte im Eigentum einfach nicht besser.

Über die aktuelle Wohnungspolitik gilt es informiert zu streiten. Eine schleichende Enteignung der Vermieter, wie sie z.B."die Zeit" in ihrer Ausgabe vom 2. Juni 1955 beschrieb und wie sie der hessische Staatsgerichtshof 1949 für selbstverständlich hielt, wird jedoch ohne einen totalitären, für den Krieg rüstenden Staat, der den Preis für jede Roulade festsetzen will, kaum drohen.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Wohnungsnot: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34895 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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