Gewalt, die von Tieren an Menschen verübt wird, liegt in einer statistischen Grauzone. Widerliche Verletzungen durch bösartige Biester finden kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Gut, dass sich wenigstens Juristen der Folgen annehmen.
In der "Welpenstatistik" des "Verbands für das Deutsche Hundewesen" wurden allein für das Jahr 2014 10.470 Jungtiere der Rasse "Deutscher Schäferhund" gemeldet, gefolgt vom "Teckel" – besser bekannt als Dackel – mit 5.883 Jungtieren. Insgesamt meldeten die Züchter im Jahr 2014 nicht weniger als 77.360 rassenzugehörige Welpen.
Das sind, wie der Blick in die juristische Literatur und die Rechtsprechung zeigen wird, sehr beunruhigende Zahlen. Zwar geht die Rassehundeproduktion in Deutschland zurück, doch zeigt die "Welpenstatistik" nur die Spitze des Eisbergs: Insgesamt sollen rund 6,9 Millionen Hunde das Land bevölkern. Nicht zu vergessen, dass sich fast 12 Millionen Katzen hinzugesellen.
Komodowaran verboten, Dackel erlaubt?
Der Zeitschrift Rechtsmedizin kommt der Verdienst zu, bereits im Jahr 2001 auf die Gefahren hingewiesen zu haben, die beispielsweise bereits von kleinen Hunden ausgehen. In einer Zehnjahres-Analyse von tödlichen Hundebissen im deutschsprachigen Raum wurden nicht nur "11 Fälle infolge Verbluten aus durch Bisse geöffneten Gefäßen" dokumentiert, in der Ruhrgebietsstadt Essen musste ein 41-jähriger Mann nach nüchterner medizinischer Auskunft ein "Multiorganversagen bei septischem Schock 4 Tage nach Verletzung erleiden". Den Tod fand der Mann in seinen besten Jahren durch den Biss eines Rauhaardackels – eine Gefahrenquelle, die sich hierzulande jedes Jahr 5.000-mal vermehrt.
Die Dokumentation "Tödliche Hundebisse im Selektionsgut rechtsmedizinischer Institute" wies auch auf die Gefahren hin, die insbesondere für Klein- und Kleinstkinder von Hunden aller Größen ausgehen. Es ist aber fraglich, ob die zuständigen Staatsorgane diese Gefahr überall richtig würdigen. Die Stadt München zählt zum Beispiel das Riesenkänguru und das Walross, das Großkamel und den Komodowaran als "gefährliche Tiere" auf, deren Haltung in Bayern erlaubnispflichtig ist. Hunden wird dagegen generelle Gefährlichkeit erst attestiert, wenn sich Wölfe in den letzten vier Generationen ihres Stammbaums finden.
Diese Gefahreneinschätzung ist fragwürdig. Man weiß zwar heute, dass sich beispielsweise der in Bayern gefürchtete Komodowaran seine Beute mit einem Giftbiss gefügig macht. Früher nahm man aber an, er töte die Beute allein mit den Sepsis verursachenden Bakterien seiner fauligen Maulhöhle, was natürlich weit unmittelbarer an menschliche Urängste appelliert als irgendein Insekten- oder Reptiliengift. Merkwürdig ist daher, dass der Dackel als Verursacher tödlicher Blutvergiftungen viel weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist er in Deutschland doch weit häufiger zu sehen als der exotische Komodowaran.
Im Reich der Dunkelziffern: Tierbisse
Was die Ursachen für mangelnde Öffentlichkeit durch animalische Gefahren betrifft, kann nur gemutmaßt werden. Von führenden Medienleuten ist etwa eine mitunter sehr befremdliche Tierliebe bekannt, die vielleicht auf die Berichterstattung durchschlägt. Der langjährige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust unterhielt zum Beispiel zu seinen Pferden wohl bessere Beziehungen als zu vielen seiner menschlichen Mitarbeiter. Manfred Bissinger, ein schwergewichtiger Medienmann zu Zeiten der Regierung Schröder, war als leidenschaftlicher Hühnerzüchter bekannt.
Herbert Burda, hier wird es vollends merkwürdig, lässt sein Unternehmen alljährlich Preise in Gestalt einer kleinwüchsigen Hirschart verleihen, die der Wiener Schriftsteller Felix Salten erfand, dem neben dem "Bambi" wohl auch der pornographische Klassiker "Josefine Mutzenbacher" zuzurechnen ist.
Dass sich angesichts der etwas unheimlichen Tierliebe in Kreisen der Spitzenpublizistik zu wenig Öffentlichkeit für die rund 30.000 bis 50.000 Bissverletzungen findet, die nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) jährlich in Deutschland behandelt werden müssen, ist nachvollziehbar. Der GDV vermutet, dass eine erhebliche "Dunkelziffer" existiere, weil nur die Hälfte aller Wunden versorgt werde. Kaum verständlich ist aber, dass nicht wenigstens von Seiten der Polizeigewerkschaften jener Aufschrei zu hören ist, der sonst so sicher vom Stichwort "Dunkelziffer" ausgelöst wird. Es ist nur zu hoffen, dass hier nicht das enge Zusammenleben von Diensthund und menschlichen Polizeikräften zu falscher Kameraderie führt.
Überlegene juristische Erkenntniswege
Die fehlende Aufmerksamkeit von Presse und Polizei für die auch im komodowaranfreien Deutschland von Tieren ausgehenden Gefahren wird zum Teil durch rechtswissenschaftliche Medien kompensiert, die insoweit für die höhere Leistungsfähigkeit der Juristinnen und Juristen im Vergleich zu Berufsträgern anderer Professionen sprechen.
Besondere Verdienste hat hier wiederum die Zeitschrift Rechtsmedizin, die zum Beispiel unter dem Titel "Tierfraß – wenige Stunden nach Todeseintritt?" der Frage nachging, wie lange es dauert, bis Hunde oder Katzen ihre verstorbenen Eigentümer anzufressen beginnen. Für beide Gattungen wird von Fraßfällen nach circa acht Tagen ausgegangen, offenbar ein Regelfall. Fressen Hunde ihre verstorbenen "Herrchen" unverzüglich an, geht man mit Bernhard Grzimek von einer Art "psychisch gestörtem" Tier aus (Rechtsmedizin 1996, S. 22-24).
Zu bemängeln ist, dass dieser angesichts steigender Zahlen vereinsamter älterer Tierhalter gar nicht seltenen Kasuistik noch nicht gebührend mit juristischer Dogmatik zu Leibe gerückt wurde: Ist ein üblerer Verstoß gegen das Verbot denkbar, einen Menschen als "bloßen Zweck außerhalb seiner Person liegender Zwecke" zu gebrauchen, als ihn zu fressen? Ein Menschenwürdeverstoß nach der Formel von Kant und Dürig - doch wird diese fehlende interpretatorische Leistung mehr als aufgewogen von der breiten juristischen Kasuistik zu Schäden, die das Tier am Menschen verrichtet.
2/2: Tiere verletzen Menschen, immer und überall
Es werden zu viele Menschen von Tieren verletzt, als dass eine Darstellung jener Fälle, die den Gerichten zur Kenntnis gelangen, auch nur ansatzweise repräsentativ sein könnte. Es zeigt sich allerdings, dass Juristen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für das sonst sträflich vernachlässigte Phänomen gefährlicher Tiere zeigen.
Nachdem beispielsweise am 5. August 2006 einer damals 16-jährigen Hilfstierpflegerin von einem Kater, der sich unverständlicherweise nicht in seine Kastration fügen wollte, eine Verletzung zugefügt worden war, die noch im März des Folgejahres eine Prothese ihres linken Mittelfingergrundgelenks erforderlich machte, zeigte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen emotional betroffen. Zwar konnte die junge Dame nicht damit durchdringen, dass die Körperverletzung dem Tierarzt als vorsätzlich zuzurechnen sei, weil sie sich ohne Schutzhandschuhe dem renitenten Tier aussetzen musste. Solange ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht vorsätzlich schädigt, greift nur die Haftung durch die Berufsgenossenschaft. Immerhin drückten die hessischen Richter im abweisenden Urteil ihr Bedauern über den Mittelfingerschaden der jungen Hilfstierpflegerin aus (LAG Hessen, Urt. v. 14.7.2009, Az. 13 Sa 2141/08). Vielleicht ist es auch in Hessen gerichtsbekannt, wie wichtig das hier geschädigte Organ heute für die menschliche Kommunikation ist.
Erschreckende Zeugnisse animalischer Gewalt
Eine "als Folge eines Hundebisses erlittene schmerzhafte Wunde am Skrotum mit dauerhaftem Taubheitsgefühl im Bereich der linken Skrotalhälfte", eine Verletzung also, gegen die sich der hessische Kater nicht schützen lassen mochte, sowie "zehn Tage stationärer Krankenhausbehandlung und vier Wochen Arbeitsunfähigkeit", sah das Oberlandesgericht Köln mit damals 2.500 Mark hinreichend abgegolten (Urt. v. 25.4.1997, Az. 19 U 32/95). Bevor der Biss eines bösartigen Hofhundes in das neben dem Portemonnaie wohl empfindlichste Organ des Mannes so bescheiden entschädigt wurde, gab man der Ehefrau des Gebissenen Gelegenheit, zu den Potenzverlusten ihres Mannes Stellung zu nehmen. Hier kann lobenswert festgestellt werden, wie interessiert die Justiz an den Folgen tierischer Aggression ist.
Ein weiteres erschreckendes Zeugnis animalischer Gewalt gibt ein Urteil des OLG Celle aus dem Jahr 2012, das einen Hundehalter für die Bisswunden haften lässt, die ein Tierarzt zu erdulden hatte, als er dem Hund nach beendeter Rektoskopie zur Hand gehen wollte. Zu Recht muss der Hundehalter hier auch haften, obwohl er auf das Tier gar keinen unmittelbaren Zugriff hatte (Urt. v. 11.6.2012, Az. 20 U 38/11).
Leider schützt das Gesetz den Menschen nicht überall vor den tückischen Formen tierischer Gewalt: Insbesondere viele Bürgerinnen Deutschlands werden sich durch ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 24. Juli 2009 in ihrem Schutzbedürfnis alleingelassen fühlen: Erschreckt dadurch, "dass sich in ihrer Kopfhöhe eine fette schwarze Spinne an einem Faden heruntergelassen" hatte, zog sich die Nutzerin einer Tiefgarage eine Becken- und Gesichtsprellung sowie einen komplizierten Handgelenkbruch zu. Statt den Tiefgaragenbetreiber zu gründlicher Reinigung anzuhalten, erklärte das OLG die Spinne zum "allgemeinen Lebensrisiko" (Az. 7 U 58/09).
90 Jahre Lobbyismus für sogenannte Tierrechte
Obwohl hier die Schrecknisse, die Tiere ins Leben der Menschen tragen, nur angedeutet werden konnten, bleibt darauf hinzuweisen, dass der 4. Oktober 1925 als erster "Welttierschutztag" gilt, vorgeschlagen von Heinrich Zimmermann, einem deutschen Kynologen jüdischen Glaubens. Infolge unaufhörlicher Lobbyarbeit – fragt man nicht sonst immer nach ihrer demokratischen Legitimation? – hat der Tierschutz in Deutschland seit dem 1. August 2002 sogar Verfassungsrang, wenn auch von zweifelhafter praktischer Relevanz. Dieser Symbolpolitik und -gesetzgebung galt es etwas entgegenzusetzen: Heute, am 90. Welttierschutztag, sollte auch den Opfern tierischer Gewalt gedacht werden.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Tierschutzrecht: Bestien, die gefeiert werden . In: Legal Tribune Online, 04.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17086/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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