In ihren Anfangsjahren war der Aufgabenbereich der Verfassungsschutzämter noch weit gesteckt. Die Lage klärte sich unter anderem mit dem Verbot der FDJ, die heute vor 75 Jahren in Berlin (Ost) offiziell gegründet wurde.
Über die Gründerzeiten des westdeutschen Staats- und Verfassungsschutzes wollen viele nicht mehr wissen, als dass die Behörden auf Beamte des NS-Polizei- und Geheimdienstapparats zurückgriffen. Das ist nicht falsch. Es mag aber etwas mehr Farbe ins Spiel bringen, auf die Klientel des Verfassungsschutzes in den ersten zehn Jahren der Bundesrepublik einzugehen – um im Anschluss das Kerngeschäft der Behörde und der politischen Justiz zu jener Zeit anzusprechen.
Fast bizarr mutet es heute an, dass beispielsweise Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag in den 1950er Jahren Anlass zu Ermittlungen gaben. Dabei war die Sache klar: Unter westdeutschen Sozialdemokratinnen war das Interesse an dem Termin zurückgegangen, handelte es sich jetzt doch nur noch um einen der zahllosen Kampf- und Aktionstage in der SED-Diktatur. Ihn im freieren Teil Deutschlands zu begehen, mochte anrüchig wirken.
Von der bunten zur roten Klientel des Staatsschutzgeschäfts
Noch deutlich weniger als in der Weimarer Republik stellten obskure monarchistische Gruppen eine Gefahr für die frisch gegründete Bundesrepublik dar. Die 1918 aus dem Amt entfernten Fürsten hatten nie allzu viele Anhänger unter ihren früheren Landeskindern gefunden – die Zeit fürstenfreundlicher Freischärler, wie es sie 1866 in Hannover noch gegeben hatte, war endgültig vorbei. Jedoch mochten sich noch rüstige Vertreter der altkonservativen Kreise finden, denen die Machthaber in Berlin (Ost) weniger unsympathisch waren als die bürgerliche Regierung in Bonn. Entsprechend fanden sie das Interesse der Verfassungsschutzbehörden.
Die professionelle Neugier beim Staats- und Verfassungsschutz weckten auch die Korrespondenz- und Reisetätigkeiten westdeutscher Professoren, offenbar ohne dass es zu scharfen Restriktionen wie im Fall Wilhelm Elfes (1884–1969) kam. So unterhielt beispielsweise der Mainzer Experimentalphysiker Hans Klumb (1902–1980) Kontakte im Dienst der deutsch-sowjetischen Freundschaft und bereiste den Ostblock. Auch der Kölner Mathematiker Guido Hoheisel (1894–1968) ließ sich hierzu gewinnen.
Zu ihrem Kerngeschäft zählten die Verfassungsschutzämter indes die Bedrohung durch die kommunistische Bewegung mit Sitz in Berlin (Ost) und Moskau. Das Verbot der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zählte zu den ersten bedeutenden Erfolgen des westdeutschen Staats- und Verfassungsschutzes.
Freie Deutsche Jugend und "Antimilitarismus"
Erste Gruppen unter der Firma einer "Freien Deutschen Jugend" waren zwar bereits während des Zweiten Weltkriegs entstanden, auch in den westlichen Exilländern der sozialistischen Flüchtlinge.
Offiziell gegründet wurde die FDJ jedoch als künftige "Massenorganisation" der SED-Diktatur in Berlin (Ost) am 7. März 1946 – das Datum mochte zweckmäßig sein, war der 8. März als "Internationaler Frauentag" doch bereits seit Jahrzehnten in der Arbeiterbewegung bekannt.
Als gut geeignet, Jugendliche und Heranwachsende zu rekrutieren, durfte die im Jahr 1951 geführte Kampagne zu einer "Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluß eines Friedensvertrages" gelten. Denn von der Bildung westdeutscher Streitkräfte würden sie naturgemäß am stärksten persönlich betroffen sein. Aus Public-Relations-Gründen ließ die Führung in Berlin (Ost) ihre paramilitärische Volkspolizei an den kritischen Tagen der "Volksbefragung" in den Kasernen verschwinden.
Zunächst im Zusammenhang mit dieser Kampagne hatte die Bundesregierung durch Beschluss vom 24. April 1951 erklärt, dass die FDJ sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte und kraft Gesetz unmittelbar nach Artikel 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verboten sei. Nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 des noch sehr dürr formulierten ersten "Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" vom 27. September 1950 wies sie die Landesbehörden an, gegen jede FDJ-Tätigkeit zur "Volksbefragung" vorzugehen.
Vorgänge bis zum gerichtlichen Verbot
Das Vorgehen der Polizei gegen FDJ-Aktivitäten forderte ein Todesopfer und verlief auch sonst nicht ohne Gewalt. Mit einem weiteren Beschluss vom 27. Juni 1951 bekräftigte die Bundesregierung ihre Auffassung zur FDJ und verwies auf Verstöße gegen "das zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Bundesgebiet erlassene Demonstrationsverbot" und tätliche Angriffe auf Polizeibeamte.
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 gestaltete der Bundesgesetzgeber derweil das politische Strafrecht weitgehend um. Neu eingeführt wurde ein § 129a Strafgesetzbuch (StGB), der sich in seiner ursprünglichen Form noch nicht mit terroristischen Gruppen befasste, sondern die Fortführung von Vereinigungen betraf, die nach Artikel 9 Abs. 2 GG verboten wurden.
Gegen die FDJ beantragte die Bundesregierung, ungeachtet ihrer bisherigen Verbotsbeschlüsse, nunmehr nach § 129a Abs. 3 StGB beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Feststellung, dass die FDJ nach Artikel 9 Abs. 2 GG verboten ist.
BVerwG erklärt Verbot der FDJ
Das Urteil des BVerwG vom 16. Juli 1954 (Az. I A 23.53), das dem Antrag der Bundesregierung entsprach, enthielt wichtige Feststellungen für das Parteienrecht.
Unter anderem hatten die Prozessvertreter der FDJ erklärt: Weil ihre Ziele im Wesentlichen mit jenen der noch nicht verbotenen KPD identisch seien, dürfe nach Artikel 21 Abs. 2 GG a.F. allein das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über sie befinden. Dagegen schloss sich das BVerwG der Lehre an, dass es zum Wesen einer Partei gehöre, durch die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken.
Eine Antwort auf die Frage, ob mit der "verfassungsmäßigen Ordnung" in Artikel 9 Abs. 2, 20 Abs. 3 oder 98 Abs. 2 GG die Gesamtheit der "jeweils gültigen Rechtsordnung" oder nur die engere "staatliche Grundordnung" gemeint sei, vermied das Gericht – was nachvollziehbar war, hing von ihr doch immerhin ein Grundproblem des von Bundesrichtern womöglich zu beachtenden Landesrechts zusammen.
Urteil über das rechtsdogmatische Detail hinaus interessant
Die im FDJ-Urteil dokumentierten Auffassungen beider Seiten eignen sich, die politische Bildung zu erweitern.
In jüngerer Zeit scheint es sich etwa einzubürgern, von "Opfern des Kalten Krieges" zu sprechen. Anlass geben Fälle wie jener von Josef Angenfort (1924–2010), KPD-Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag und Vorsitzender der FDJ in Westdeutschland. Der Bundesgerichtshof verurteilte ihn am 4. Juni 1955 (Az. StE 1/52) zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren u. a. wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, Geheimbündelei und seiner FDJ-Rädelsführerschaft.
Das harte Urteil, Angenforts Begnadigung durch Bundespräsident Heuss, deren Widerruf, eine weitere Inhaftierung in den 1960er Jahren: Das zeichnet einen Bogen vom politischen Drama bis zum juristischen Slapstick – ein bayerischer Polizist, aus dessen mangelhaften Fessel-Künsten Angenfort die Flucht in die DDR gelang, wurde gar wegen Gefangenenbefreiung strafrechtlich belangt. Das FDJ-Urteil vom 16. Juli 1954 bietet jedoch viele Gründe dagegen, derartige Geschichten zu romantisieren.
Im Verbotsverfahren hatten die FDJ-Vertreter beispielsweise vorgetragen, dass es gegen "die im Grundgesetz verbürgte Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung" verstoße, wenn ihrer Organisation vorgeworfen werde, sich "auf die wissenschaftlichen Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin" zu berufen. Praktischerweise folgte die KPD der gleichen "Wissenschaft", sodass auch nur das BVerfG für ein FDJ-Verbot zuständig sein könne.
Wenn sich die FDJ auf die Sache einer "Deutschen Demokratischen Republik" eingeschworen habe, sei damit nicht der in Berlin (Ost) eingerichtete und ausgeübte Staatsbetrieb gemeint, sondern eine nach der Vereinigung beider Teile Deutschlands geschaffene deutsche demokratische Republik – weil man damit bei der Volkssouveränität tiefer ansetze, könnte man im Westen keine hochverräterischen Unternehmen veranstalten.
Das blieb wenig glaubwürdig, wurde Erich Honecker (1912–1994) doch in Schriften der West-FDJ als "unser Vorsitzender" bezeichnet. Auch hatte der SED-Generalsekretär Walter Ulbricht 1952 vor der FDJ verkündet:
"Noch mehr, die Freie Deutsche Jugend in Westdeutschland muß sich in dieser Situation mit der revolutionären Lehre von Marx, Engels, Lenin und Stalin ausrüsten, um die Jugend gründlich aufzuklären über das Wesen des amerikanischen Imperialismus, über den Charakter des Bonner Staates, über die Hilfestellung der rechten sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer für die Adenauer-Regierung."
Öffentlichkeitsmodell der Bundesregierung
Das FDJ-Urteil gibt indes nicht nur Aufschluss über geschmacklose SED-Romantisierungen. Bemerkenswert ist auch jener Teil des Verbotsantrags der Bundesregierung, der tatsächlich Bedenken weckt.
Vor dem Hintergrund der Kampagne zur "Volksbefragung" hatte der Bundesinnenminister der FDJ vorgeworfen, sie greife "die Grundwerte des demokratischen Rechtsstaats" an, weil sie an Stelle des in Artikel 20 und 21 GG "vorgeschriebenen Weges der politischen Willensbildung durch Wahlen und Abstimmungen unter Mitwirkung einer Mehrheit von Parteien außerparlamentarische Aktionen, nämlich Massendemonstrationen und Massenstreiks, vorbereite".
So anachronistisch diese altliberale Vorstellung vom Parlament als privilegiertem Ort politischer Willensbildung heute wirkt: Sie stammt aus einer Epoche, in der etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfunden und Verfassungsjuristen die Grenzen außerparlamentarischer Kommunikation stetig auszuweiten begannen. Mitbedacht werden sollte sie daher jedenfalls, wenn heute über Rundfunkgebühren oder Regeln für den politischen Diskurs außerhalb der Parlamente gestritten wird.
Gründung und Verbot der Freien Deutschen Jugend: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44440 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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