Großbritannien hat Amal Clooney, Deutschland hat Wolfgang Kaleck: Der Anwalt ist hierzulande einer der profiliertesten Menschenrechtler. Bei der Vorstellung seines neuen Buches kritisierte er nicht nur Konzerne, sondern auch die Regierung.
Ob das schummrige Spiegelzelt des Berliner Theaters "Bar jeder Vernunft" ein passender Ort ist, um über das Elend der Ärmsten der Armen zu sprechen, darüber kann man streiten. Geschadet hat das mondäne Ambiente mit Kerzen und Logen jedenfalls nicht, als Wolfgang Kaleck und Miriam Saage-Maaß am Sonntag ihr neues Buch vorstellten. In "Unternehmen vor Gericht – Globale Kämpfe für Menschenrechte" beschreiben der Generalsekretär und die stellvertretende Legal Director des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) beispielhaft Missstände, denen Arbeiter in aller Welt ausgesetzt sind – und wie man sie vielleicht in den Griff bekommen könnte.
Die Diskussion, die Kaleck und Saage-Maaß auf der Bühne führten, bot einen spannenden Einblick in die Probleme, auf die der ECCHR stößt bei seinen Versuchen, Menschenrechte mit juristischen Mitteln durchzusetzen. Kaleck setzt sich seit vielen Jahren für Opfer von Konzernen und Diktaturen ein. Das Vorgehen des 55-Jährigen ist dabei fast schon experimentell: Zweimal verklagte er den amerikanischen Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen Folter von Terrorverdächtigen nach dem Völkerstrafrecht und seit Jahren sucht er mit seinem Team vom ECCHR nach Wegen, den deutschen Textilhersteller Kik wegen eines Fabrikbrandes in Pakistan, bei dem im Jahre 2012 mehr als 250 Menschen ums Leben kamen, rechtlich zu belangen. Zudem ist er deutscher Verteidiger des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden.
Juristisches Neuland, das ist Kalecks Terrain. Die Strukturen des internationalen Rechts seien zwar gut – allerdings nur im Sinne des Freihandels, nicht aber in dem der Menschenrechte. In weltweiten Produktionsnetzwerken unterlägen die Unternehmen den Jurisdiktionen verschiedener Staaten und klare Verantwortlichkeiten zu definieren sei schwer. "Es ist nicht so, dass wir vor einer breiten Palette von rechtlichen Möglichkeiten stehen", sagte Kaleck am Sonntag vor knapp 200 Zuhörern. "Wir müssen vielmehr nach Lücken suchen."
Viele Menschenrechtsbeauftragte, wenig wahre Hilfe
In der Wirtschaft stoßen Kaleck und Saage-Maaß dabei naturgemäß auf Widerstände. Bei vielen Wirtschaftsvertretern und Politikern diagnostiziert Kaleck beim Thema Menschenrechte eine rhetorische Aufgeschlossenheit - bei gleichzeitiger kognitiver Sperre: "Wir bringen Unternehmen dazu, Menschenrechtsbeauftragte einzustellen und Corporate-Social-Responsibility-Abteilungen einzurichten. Dann können die sagen: Wir haben doch einen Menschenrechtsbeauftragten", klagte Kaleck gegenüber dem Moderator und stellvertretenden Direktor des Instituts für Menschenrechte, Michael Windfuhr. An der Lage der Arbeiter in den Produktionsländern ändere sich dadurch allerdings oft nichts. Es gebe in der Wirtschaft durchaus Leute, die vorausschauen. Es gebe aber leider auch die Blockierer. "Und die Blockierer scheinen momentan zu gewinnen", so Kaleck.
Im Blick hat er bei seiner Kritik den "Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte", der gerade federführend vom Auswärtigen Amt erarbeitet und voraussichtlich im Sommer vorgelegt wird. Ziel ist es, einen Rahmen dafür zu stecken, dass das, was für den einzelnen profitabel ist, für andere nicht schädlich sein soll. Nach allem, was Kaleck zum derzeitigen Stand weiß, erhofft er sich nichts mehr von dem Vorhaben. Im Gegenteil: "Wir werden im Sommer da sein, wo wir vor fünf Jahren waren." Saage-Maaß ergänzt: "Die Wirtschaft hat erfolgreich blockiert."
Doch die Vertreter vom ECCHR sind überzeugt: Konzerne tragen für Missstände in puncto Menschenrechte in ihren Produktionsstätten Verantwortung - auch dann, wenn die Unternehmen vor Ort rechtlich unabhängig von ihnen sind. Denn Unternehmen seien schließlich in der Lage, mit komplexen Problemen bei der weltweiten Produktion fertig zu werden, deshalb sei es ihnen auch möglich, auf die Wahrung der Menschenrechte zu achten.
Für viele Wirtschaftsvertreter ist die Berliner Organisation wegen dieser Rechtsauffassung ein rotes Tuch. "Die Verbände verstehen nicht, dass wir nicht willkürlich vorgehen, sondern schon die schlimmsten Verstöße rügen", erklärt Saage-Maaß. Die promovierte Juristin hat unter anderem an Verfahren gegen Unternehmen wie Kik und Lidl oder auch gegen Baumwollhandelsunternehmen wegen Kinderzwangsarbeit in Usbekistan gearbeitet.
Hoffnung trotz depressiver Grundstimmung
Aufstoßen dürfte der Unternehmensseite aber auch der etwas platte globalisierungskritische Unterton, der die Einschätzungen der ECCHR-Experten schon mal begleitet. Etwa, wenn der sonst so reflektierte Kaleck bei der Präsentation des Buches in einer gewagten These behauptet, überall in der Welt gebe es Bestrebungen, eine bessere Situation bei den Menschenrechten herbeizuführen, nur der Westen hindere andere Länder daran.
Beileibe ist das Buch aber nicht nur für Globalisierungsgegner ein Gewinn. Die Schilderungen der schlimmen Lage von Arbeitern in vielen Ländern weltweit, des ungleichen Ringens zwischen Menschen- und Wirtschaftsrechten, das zweifellos vorhandene Fehlverhalten internationaler Konzerne und das Abwägen der rechtlichen Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, machen den schmalen Band mit seinen 118 Seiten zur Pflichtlektüre aller (Juristen), die an Menschenrechten und Völkerrecht interessiert sind.
Einpreisen muss der Leser eine etwas depressive Grundstimmung, die zurückbleibt. Denn bahnbrechende Verbesserungen der Lage der Menschenrechte scheinen nicht in Sicht. Gewinnen kann er den Kampf nicht, das weiß auch Kaleck, aber er versucht, mit diesem Wissen pragmatisch umzugehen: "Wenn wir einen Fall verlieren, schütteln wir uns und gehen den nächsten an." Kleinere Etappensiege können auf diesem Rechtsgebiet ja auch schon etwas wert sein.
Menschenrechtsanwalt teilt gegen Unternehmen aus: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18703 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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