Verbot des Schächtens: Tier­schutz und Anti­se­mi­tismus Hand in Hand

von Martin Rath

17.05.2020

Heute finden die Missstände in der industrialisierten Fleischproduktion zu Recht wieder einige Aufmerksamkeit. Ein obsessives Interesse von Tierschützern galt vor und nach 1945 oft aber dem Schlachten nach konfessionellen Sonderregeln.

Mit Gesetz vom 17. Mai 1930 verbot der Freistaat Bayern die Schlachtung gewisser Tiere ohne Betäubung.

Artikel 1 Absatz 1 Gesetz über das Schlachten von Tieren befahl knapp: "Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Maultiere, Maulesel und Hunde sind beim Schlachten vor Beginn der Blutentziehung zu betäuben."

Das Gesetz enthält nicht nur für moderne Hunde-Freunde die schmerzliche Erkenntnis, dass ihre geliebten Vierbeiner damals noch von der Hand des Metzgermeisters den Weg in die deutsche Küche fanden. Der Blick in das Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern (1930, S. 183–184) ist auch für nachgeborene, demokratisch sozialisierte Juristinnen und Juristen unangenehm. Denn das Gesetz ermächtigte im Wesentlichen das bayerische Staatsministerium des Inneren, alles Weitere zu regeln – mit Blick auf Artikel 80 Abs. 2 Grundgesetz (GG) müsste derlei heute wohl vom Parlament selbst erledigt werden.

Diese bayerische Regelung wäre beinah keiner weiteren Erwähnung wert, weil der NS-Gesetzgeber bereits drei Jahre später für das ganze Reichsgebiet ein weitgehend identisches Verbot erließ – nunmehr mit der Pflicht, regelmäßig alle warmblütigen Tiere nur mit Betäubung zu schlachten.

Doch kam der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 27. April 1960 (Az. IV ZR 305/59) auch auf die bayerische Betäubungspflicht zu sprechen – und spätestens hier entfaltet sich ein Panorama auf eine oft tief inhumane Tierschutzbewegung.

Entschädigungsanspruch des jüdischen Schlachtermeisters

In der vom BGH verhandelten Sache ging es um die Höhe eines Rentenanspruchs nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG), den ein vormaliger Schlachtermeister jüdischen Glaubens gegen das Land Niedersachsen geltend machte – wegen "Schadens im beruflichen Fortkommen" im nationalsozialistischen Staat.

Der 1898 geborene Mann hatte 1925 die Metzgerei seines Vaters übernommen, in der sich die überwiegend jüdische Kundschaft mit koscheren Fleischprodukten versorgte.

Dieses Geschäft wurde ihm bald durch die Gesetzeslage zunehmend unmöglich gemacht. Für die Bemessung des Schadens im beruflichen Fortkommen nach dem BEG war nun von Interesse, ob das zum 1. Mai 1933 für das ganze Reichsgebiet in Kraft getretene Verbot der Schlachtung ohne Betäubung, das die Herstellung von koscherem Fleisch nach jüdischem Religionsgesetz unmöglich machte, als nationalsozialistische Gewaltmaßnahme zu bewerten gewesen sei.

Der BGH sollte die Sache zwar an das Oberlandesgericht (OLG) Celle zurückverweisen, erörterte aber bereits instruktiv die Motive der deutschen Gesetzgebung, das Schächten zu verbieten.
Das Recht im Reich und in den Ländern (bis 1919: Bundesstaaten) hatte unter Rücksicht auf die religiösen Pflichten von Jüdinnen und Juden das Schächten durch fachlich und konfessionell qualifiziertes Personal als Ausnahme zugelassen – dies sogar in der schwierigen Versorgungslage des Ersten Weltkriegs.

Die bayerische Regelung vom 17. Mai 1930 war nun, abgesehen von einer zuvor 18 Jahre lang im Königreich Sachsen bestehenden Verordnung, das erste Verbot der regulären Schlachtung ohne Betäubung gewesen – und bis auf Weiteres zugleich die letzte, die nicht unter nationalsozialistischem Einfluss stand.

Abschließend zu beurteilen, ab wann das Verbot des Schächtens von einem gleichsam neutralen, nur dem Tierschutz verpflichteten Gedanken dazu übergegangen sei, den Bürgern jüdischer Herkunft die Ausübung ihrer religiösen Pflichten zu verweigern, gab der BGH allerdings den Celler Richtern auf.

Moderne Schlachtbetriebe machen Töten von Tieren öffentlich(er)

Um diese Aufgabe – das Resultat scheint in keiner Entscheidungssammlung überliefert zu sein – war das OLG Celle nicht zu beneiden.

Denn die Trennung zwischen einem objektiv moralisch guten, weil vom Tierschutz motivierten Gebot, die Schlachtung mit Betäubung durch Schlag auf beziehungsweise durch den Schädel mutmaßlich weniger schmerzhaft auszuführen, und einem üblen, auf Ausgrenzung der jüdischen Schlachter und Konsumenten gerichteten Verbot des Schächtens war nur schwer zu leisten.

Nicht nur, dass in der Nutztier- und damit auch Fleischwirtschaft antisemitische Vorurteile generell dazu dienten, jüdische Konkurrenten zu diskreditieren (siehe dazu Stefanie Fischer: Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt).

Hinzu kam, dass die Schlachtung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins öffentliche Bewusstsein rückte. War die Tötung der Tiere bis dahin daheim, im diskreten Raum handwerklicher Kleinbetriebe oder auf dem Bauernhof erfolgt, regelten seither immer mehr Gemeinden aus hygienischen und anderen Erwägungen des Verbraucherschutzes einen Anschluss- und Benutzungszwang für die nunmehr allerorten entstehenden kommunalen Schlachthäuser.

Ein klassischer Kulturkonflikt war die Folge. Während Vertreter einer jüdischen Ethik die Position verteidigen, dass die Tötung von Tieren zur menschlichen Ernährung zwar unter Vorbehalten erlaubt sei, nicht aber zum Beispiel zum Jagdvergnügen, und das Schächten als eine vergleichsweise schmerzarme Methode ansahen – was angesichts des allgemeinen Niveaus der Gewalt gegen Mensch und Tier so abwegig nicht war –, opponierten als erste die zur Aufsicht bestellten Tierärzte der neuen Schlachthäuser gegen das Schächten, wobei mitunter schwer zu unterscheiden ist, ob sich ihre Position auf valide wissenschaftliche Erkenntnisse stützte oder zirkulär auf ihre Autorität als qua Amt moderne Staatsbedienstete.

Obsession vieler Tierschützer: das Schächten

Als sei dieser Kulturkonflikt zwischen Positionen von mutmaßlich moderner Tiermedizin und vorgeblich archaischem Religionsgebot nicht schon verzwickt und diskussionswürdig genug, entwickelte sich in der seit dem späten 19. Jahrhundert aufkommenden Tierschutzbewegung eine regelrechte Obsession für das Thema Schächten, die sich allzu leicht mit antisemitischen Vorurteilen verbinden konnte.

Während das christliche Publikum selbst tief obskure Vorstellungen von den magischen Dimensionen des Blutes hatte – bis ins 20. Jahrhundert überliefert werden sehr verstörende Vorgänge im Zusammenhang mit öffentlichen Hinrichtungen – unterstellte es zu gern der jüdischen Nachbarschaft eine archaische Verwendung von Christenblut. Das veterinärmedizinische Verdikt, dass das Schächten ganz außerordentlich grausam sei, traf hier auf offene Ohren.

Die Obsession von Tierschützern ging so weit, dass prominente Vertreter ihrer Bewegung noch den nationalsozialistischen Staat beschuldigten, zu zögerlich gegen Juden vorzugehen. Der Tierschutzfunktionär Karl-Ferdinand Finus (1900–1973) protestierte beispielsweise im Februar 1938 in der Zeitschrift "Tierfreund" dagegen, dass das NS-Regime die Einfuhr von koscherem Kalb- und Rindfleisch noch nicht verboten hatte:

"Die nationalsozialistische Weltanschauung läßt nicht zu, daß das Fleisch von nach jüdischem Ritus zu Tode gequälter Tiere für die größten Feinde des deutschen Volkes und Reiches eingeführt wird. Nationaler Stolz und deutscher Kulturwille lassen nicht zu, daß die deutsche Nation und das deutsche Volk in Verbindung gebracht werden mit den größten Tierquälereien, den jüdischen Schächtgreueln!"

In seinem aufschlussreichen Aufsatz "Tierschutzbewegung und Antisemitismus in der frühen Bundesrepublik. Karl Ferdinand Finus und der Protest gegen die rituelle Schlachtpraxis der Juden" (2018) zeigt der Hamburger Historiker Andreas Brämer (1964–), dass der prominente Tierschützer Finus nach dem Zweiten Weltkrieg polemisierte, die (west-) alliierten Besatzungsmächte wollten "nach 1945 das deutsche Volk mit der Wiederzulassung des rituellen Schächtens bewußt demütigen".

Braune Vergangenheit des Tierschutzbundes

Die Überlebenden des Holocaust könnten in Deutschland aus Tierschutzgründen keine Heimat finden, so Finus im Jahr 1951:

"Für Zehntausende deutscher Menschen wird es keine Lösung der Judenfrage geben, solange die Juden auf ihrer grausamen Schlachtmethode beharren. Die Juden gehören bei uns zu den Minderheiten. Herr Staatsminister, es muß eine Grenze geben über das, was wir uns von einer Minderheit gefallen lassen wollen. Diese Grenze zu ziehen, das ist Ihre Pflicht."

Finus stand mit dieser Haltung nicht allein. So wählte sich etwa der Deutsche Tierschutzbund 1962 mit dem Rechtsanwalt Hermann Stolting (1911–1988), vormals Staatsanwalt beim Sondergericht Bromberg, einen Präsidenten, der nicht nur als Verteidiger im Frankfurter Auschwitzprozess und als Landtagskandidat der NPD reüssierte, sondern auch in einem sehr eigenartigen Arbeitsgerichtsverfahren (mit herzerfrischendem Versäumnisurteil) die Sache rechter Menschenschinder vertreten sollte.

Bei der Versammlung, die Stolting 1962 an die Spitze der Tierschutzbewegung stellte, war ein Lichtbildvortrag über das Schächten gezeigt worden, der unter Beifall aus dem Publikum kommentiert wurde: "Sollen sie [die Juden] doch dahin gehen, wo sie hergekommen sind." – Ein Jahr nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem galt das, wenn überhaupt, kaum als unverfänglicher Zwischenruf.

Gute Regelungen aus falschen Gründen?

Es fällt schwer zu sagen, ob das Gesetz vom 17. Mai 1930 oder heutige Regelungen in der Schnittmenge aus Tierschutz und Religionsfreiheit sich sauber aus dem jedenfalls historisch sehr festgefügten Amalgam von Tierschutz und antisemitischer, heute vielfach antimuslimischer Menschenfeindlichkeit herauslösen lassen – nicht nur Impfgegner ("Deutscher Verein impfgegnerischer Juristen" etc.), auch viele Tierschützer stehen seit den Tagen von Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) in einer kaum gebrochenen, bei näherem Hinsehen ganz erstaunlichen Kontinuität ihrer Überzeugungen.

Den kurzen Schluss vom Mitleid mit der Kreatur, das oft keines mit dem Menschen kennt, auf das rechtlich Zulässige oder Notwendige sollte sich jede seriöse Diskussion jedenfalls verbieten.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Verbot des Schächtens: . In: Legal Tribune Online, 17.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41632 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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