Schleswig-Holstein: Debatte über Gottesbezug in Landesverfassung: Haben wir keine anderen Pro­b­leme?

von Martin Rath

24.07.2016

2/2: Eine viel bessere Gottesbezugsklausel

Dem Landtag von Schleswig-Holstein ist anzuraten, es mit einer modernen Gottesbezug-Konfiguration zu versuchen. Der Versuch kann ja nicht schaden   

Von einer Adaption der Präambel des GG ist natürlich abzusehen. Das Grundgesetz selbst hat sprachlich schon zu sehr unter Bürokraten-Prosa gelitten, vergleiche dazu Art. 13, 16a GG, als dass man es in die Hände schleswig-holsteinischer Staatsziel- und Staatsbegründungspoeten legen wollte.

Nun möchte man selbst nicht untätig bleiben. Ein Vorschlag für den Gottesbezug, der zugleich der Entschlussfreude deutscher Politiker als auch dem zumeist bestenfalls nur sporadischen konfessionellen Selbstbekundungsinteresse ihres Volkes entspräche, könnte wie folgt aussehen:

Das Volk von Schleswig-Holstein, einig in seinen Stämmen, hat sich bei der Ausrufung dieser Verfassung vom Vorliegen oder Fehlen seiner religiösen oder nicht religiösen Gefühlen für die nachfolgende höhere Macht leiten lassen:


"___________________________________________"

(Bitte nur nach Maßgabe einer moralisch zuträglichen Auswahlliste ergänzen.)

Formulare, die von Bürger auszufüllen sind, gehören bekanntlich zu den wichtigsten Stilmitteln deutscher Staatskunst. Der leere Strich läuft, dank seiner Nutzung im bürokratischen Nahkampf, nicht Gefahr, selbst als religiöses Symbol missverstanden zu werden.

Individuelle Auswahlhilfe für die Bezugsklausel

Den Bürgerinnen und Bürgern von Schleswig-Holstein nun allerdings völlig freie Hand darin zu geben, welche höhere Macht sie (nicht) anrufen möchten, um die Wirkungsmacht ihrer Verfassung zu erhöhen (vergleiche dazu Art. 31 GG), könnte zu anstößigen Ergebnissen führen.

Kulte beispielsweise, die im begründeten Verdacht stehen, einem hemmungslosen Egoismus zu frönen, etwa die "Church of Satan" oder die Firma Scientology, dürften nicht hinreichend philosophisch geschulten Juristen dogmatische Schwierigkeiten bereiten. Die Idee, dass ein Staat auch für ein Volk von Teufeln funktionieren muss, erfordert eine gedankliche Schärfe, die nicht leicht zu erreichen ist.

Die naheliegende Lösung, sich an Kulten zu orientieren, die den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten haben, dürfte zu eng sein. Denn die Anerkennung als "religio licita", als staatskirchenrechtlich privilegierte Konfession, ist für viele inländische Kulte zu anspruchsvoll.

Orientierung bietet hier naturgemäß ein Staat, dem es gelingt, einem nachgerade überdreht wirkenden religiösen Pluralismus Herr zu werden: 44 Prozent der US-Amerikaner wechseln mindestens einmal im Leben ihre Glaubensrichtung. Religionswissenschaftler sprechen gar von einem "Supermarkt der Konfessionen".

Vorbildlich in der Marktregulierung ist hier das United States Department of the Army in seiner Eigenschaft als Eigentümer des Nationalfriedhofs in Arlington. Zur Meidung konfessioneller Konflikte stützt sich die Behörde auf eine Liste der für Grabsteine zulässigen Symbole des Veteranenamts. An den hiermit von Staats wegen anerkannten Kulten könnte sich auch eine Ausfüllhilfe für die Leerstelle in einer neuen schleswig-holsteinischen Verfassungspräambel orientieren.

Haben wir denn keine anderen Probleme?

Natürlich haben wir andere Probleme, und Zweifel sind erlaubt, ob der Landtag von Schleswig-Holstein sich dem in Bayern erfundenen Wettbewerbsföderalismus thematisch besonders klug gewidmet hat. Allerdings hat die Diskussion um den Gottesbezug in der Präambel zur Landesverfassung Schleswig-Holsteins den Weg zu ganz neuen Fragen geöffnet.

Sollte nicht beispielsweise der Bundestag dringend darüber diskutieren, das Amt des Bundeskanzlers mit einem Alternativlosigkeitsdogma zu versehen, analog zur Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrfragen?
Muss nicht in die nächste Novelle des Rundfunkstaatsvertrages zwingend eine Anrufung göttlicher Instanzen aufgenommen werden? Vorschlag: "Herr, wirf Hirn vom Himmel!" Mit Blick auf die Leistungen des Nachrichten- und Unterhaltungsprogramms ist dies doch schon längt eine interkonfessionell vorgetragene Beschwörung.

Und auch jener Bereich, der wegen der Nähe zur elsässischen Gastronomie dem juristischen Himmelreich am nächsten kommt, sollte nicht ausgespart bleiben. Bekanntlich benötigen die Richter des Bundesverfassungsgerichts zum Anlegen ihrer komplizierten roten Roben kompetente Fachkräfte. Diese helfenden Hände könnten verpflichtet werden, beim Einkleiden zu flüstern: "Bedenke, oh Richter, dass du sterblich bist."

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Schleswig-Holstein: Debatte über Gottesbezug in Landesverfassung: . In: Legal Tribune Online, 24.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20088 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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