Auf dem Gebiet zäher Flüssigkeiten haben deutsche Juristen schon früh interessante Einsichten gewonnen. Sogar Pulver kann hierzulande Schleim im Rechtssinn sein. Eine Übersicht mit stark zurückgeschraubtem Ekel-Faktor.
Den Ig-Nobelpreis für Physik erhielt im Jahr 2017 der französische Forscher Marc-Antoine Fardin, Fachmann auf dem Gebiet der Rheologie, der Wissenschaft vom Verformungs- und Fließverhalten der Materie – und zwar für seine Abhandlung zur Frage, ob Katzen flüssig oder fest sind (vgl. Rheology Bulletin 83 [2014], S. 16–17; 30).
Dieser Vorgang erinnert schmerzhaft daran, dass es für die Leistungen von Juristinnen und Juristen keinen eigenen Nobel- oder wenigstens Ig-Nobelpreis gibt – allenfalls können sie etwas mehr oder minder Fachfremdes leisten und damit einen (Ig-) Literatur- oder Friedensnobelpreis gewinnen.
Der Schmerz wird natürlich gemildert, wenn man sich den Wettbewerb um einen spezifisch juristischen Ig-Nobelpreis vor dem inneren Auge ein wenig ausmalt. Es geht am Ende ja doch um Menschen, allzu bunte Spaßvögel der Jurisprudenz will man sich lieber nicht vorstellen – deren Gefieder wird gottlob frühzeitig mit Gutachtenstilübungen gerupft.
Nichtsdestoweniger verrät ein Blick in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), dass deutsche Juristen bereits knapp 60 Jahre vor der bahnbrechenden Forschung zur Materialeigenschaft von Katzen tiefgründige Abwägungen zur Natur des Schleims anstellten und sich dabei sehr geschmeidig auf dem Gebiet der Rheologie bewegten.
Schleim kann auch – beinah ganz – trocken sein
Mit Urteil vom 28. Juni 1957 (Az. I ZR 230/55) befasste sich der BGH mit der Frage, ob ein Produkt der Firma Peter Kölln unter der Bezeichnung "Haferschleim" und mit dem Hinweis vertrieben werden durfte, binnen einer Minute "flaschenfertig" zu sein.
Der Kläger des Verfahrens, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, vertrat die Auffassung, dass unter der Bezeichnung "Haferschleim" nur ein Erzeugnis verstanden werden könne, das jedenfalls schon einmal in flüssiger Form vorgelegen habe.
Bei dem von der Firma Kölln vertriebenen Produkt handelte es sich aber nur um ein sehr fein gemahlenes Hafermehl, nicht um einen vorgekochten und getrockneten Schleim.
Damit sei eine Irreführung im Sinne von § 3 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG 1909) zu beklagen, zudem verstoße die Vermarktung des Pulvers als Haferschleim gegen § 1 Nr. 19 der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung vom 8. Mai 1935.
In der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung vom 8. Mai 1935 war für zwanzig Produktklassen vorgeschrieben worden, dass sie in einer bestimmten Weise ausdrücklich als solche zu bezeichnen waren, "sofern sie in Packungen oder Behältnissen an den Verbraucher abgegeben werden".
Unter anderem Fleisch-, Fisch- oder Milchkonserven waren davon betroffen, weiterhin so wertvolle Produkte wie "Kaffee, Kaffee-Ersatzstoffe und Kaffee-Zusatzstoffe, Tee und seine Ersatzmittel, Mate", aber eben auch "Haferflocken, Hafergrütze, Hafermehl, Hafermark".
BGH: "Trockenschleim"
Ausführlich referierte das BGH-Urteil die vor dem Landgericht und Oberlandesgericht Frankfurt am Main verhandelten Perspektiven auf den Schleim. Von einem bloßen Hafermehl könne man mit Blick auf die außerordentliche Feinheit und spezifische Verarbeitungsform des als "Haferschleim" vertriebenen Pulvers nicht mehr sprechen.
Fraglich blieb aber, ob "die in Betracht kommenden Verbraucherkreise, in erster Linie die jungen Mütter und die Kliniker sowie deren Hilfskräfte" eine Vorstellung davon hatten, wie "Trockenschleime" hergestellt würden, ob also etwa ein "genuiner Schleim" vorlag, der dann erst durch Trocknung wieder in Pulverform überführt wird.
Auch nach Ansicht des BGH sollte es aber nicht darauf ankommen, ob das Pulver schon einmal Schleim gewesen war, sondern allein darauf, "ob sich aus dem Fabrikat in kürzester Zeit ein speisefertiger Haferschleim herstellen läßt, d.h. ein Haferschleim, bei dem – nach Erhitzung – die Stärkekörner restlos verschwunden sind".
Dass der Abmahnverein anführte, auch eine Unternehmenskantine zu betreiben und deshalb nach § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit der seinerzeit einschlägigen lebensmittelgesetzlichen Schutznorm als Verbraucher selbst geschädigt zu sein, kaufte der BGH ihm nicht ab – schließlich sei der Verein über die Qualität des Haferschleimpulvers inzwischen bestens unterrichtet.
Zugegeben: Wer ekelt sich nicht (gelegentlich) vor "Schleim"?
Obwohl die Firma Kölln den Prozess damit im Wesentlichen gewann, hat sich die Bezeichnung "Schleim" für Nahrungsmittel nicht durchgesetzt. Es dürften hier zu viele sinnliche Eindrücke und moralisch unverfügbare Empfindungen mit Substanzen verknüpft sein, die Ekel auslösen.
Ein Blick in die Rechtsprechung – die daher aber nicht allzu sinnlich referiert werden soll – liefert reiches Anschauungsmaterial.
Es mögen Hinweise und nur wenige Entscheidungen genügen.
In seinem Urteil vom 16. März 1954 (Az. 1 StR 557/53) befasste sich der BGH etwa mit einem Fall von Kindstötung, § 217 Strafgesetzbuch (StGB) a.F.: Die 16-jährige Tochter von Landwirten aus Rheinland-Pfalz hatte ihr Neugeborenes, die eigene Mutter selbstdritt, wohl im eigenen Blut und Schleim ersticken lassen.
Ein Zimmermann, tätig in einer Brauerei, kam wegen eines zertrümmerten kleinen Fingers in eine chirurgische Privatklinik, wo er sich während der Operation mehrfach erbrach und schließlich verstarb. "Bei der Obduktion stellte ein Pathologe fest, daß die kleinen und kleinsten Luftröhrenäste vielfach mit aspirierten Speiseresten, Fett und Schleim vollgepfropft waren." – Der BGH urteilte, geschlagene zwölf Jahre nach diesem Vorgang, über die Sorgfaltspflichten des medizinischen Personals sowie zur Schadensregulation zwischen den beteiligten Haftungsträgern (BGH, Urt. v. 24.11.1970, Az. VI ZR 215/68).
Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts entschied mit Urteil vom 23. Mai 1991 (Az. 2 WD 56/90) über die Maßregelung eines Soldaten und nebenberuflichen Tierzüchters, der in pflichtwidriger Weise einem Kameraden nicht nur abverlangt hatte, dessen Auto nutzen zu können, sondern das Fahrzeug sehr verschmutzt zurückgab: "Die Fenster waren teilweise – offensichtlich vom Schleim der Hunde – verklebt und überall hatten sich Hundehaare befunden, die trotz großer Mühe nicht vollständig entfernt werden konnten."
Im Fall eines damals zwölfjährigen Kindes, das wegen neurologischer Störungen infolge seiner Frühgeburt unter Schluckunfähigkeit litt und auf ein Tracheostoma angewiesen war, stritten Krankenkasse und Sozialhilfeträger um die Frage, wer für die Kosten aufzukommen hatte, weil dem Mädchen mittels eines Katheters "zwischen 12- und 20-mal täglich je nach bei Bedarf Schleim abgesaugt werden" musste: "Andernfalls besteht die Gefahr des Erstickens binnen weniger Minuten" (Bundessozialgericht, Urt. v. 21.11.2002, Az. B 3 KR 6/02 R).
Schleim – ein ganz besonderer Saft
Möchte man diese telegrafisch notierten Impressionen zusammenfassen, geht man nicht zu weit mit der Behauptung: Einerseits gehört Schleim zu den Elementen des menschlichen Leibes, auf die man nicht verzichten kann, weil er beispielsweise feine Fremdkörper in den Atemwegen festhält und beseitigen hilft.
Andererseits zieht man es vor, dass der Schleim gut unter einer intakten Körperoberfläche verborgen bleibt. Tritt er zutage, kann er, mitunter ohne einem kognitiven, moralischen Urteil zugänglich zu werden, unmittelbare Abscheu auslösen, weil er mit Tod, Siechtum und Vergänglichkeit assoziiert wird – in Deutschland zeitweise sogar noch mit einigem mehr.
Dass sehr viele kulturell bedingte Werturteile mit der glitschigen Substanz zusammenhängen, hat die Wissenschaftsjournalistin Susanne Wedlich in ihrem "Buch vom Schleim" belegt – ganz ohne anstößige Formsprache, also bunte Bilder, veröffentlicht in der schönen Reihe "Naturkunden" (Berlin, 2019).
Schleim hat, wie Susanne Wedlich zeigt, nicht nur den unbedachten Ekel nicht verdient. Vertreter der modernen Bionik und des Ingenieurswesens träumten etwa davon, künstliches Material erzeugen zu können, das die Eigenschaften von Schleim in technischen Anwendungen mannigfaltig, aber zielgerichtet imitiert – denn statt von "Schleim" lässt sich zum Beispiel leicht auch von "Klebstoff" sprechen. Und Kleben ist längst, was früher Schrauben oder Schweißen hieß.
Das antike Ägypten sah im Schleim den Urgrund allen Lebens, eine Vorstellung, die auch der modernen Evolutionstheorie nicht ganz fremd ist.
Sich bewusst zu werden, wann und wie Schleim Ekel bereitet, könnte zudem eine wichtige Aufgabe bei der Ausbildung des juristischen Bauchgefühls sein – und das nicht nur unter Fachleuten für Arzthaftungsrecht. Auch das Judiz von Staats- und Staatsrechtgelehrten hat historisch unter unreflektiertem Ekel gelitten.
Unter Kulturwissenschaftlern ist hier ein Werk aus dem Jahr 1977 weltberühmt: Zwar zählt die unter dem Titel "Männerphantasien" publizierte Doktorarbeit des Kulturtheoretikers Klaus Theweleit (1942–) zu den merkwürdigsten Exemplaren ihres Genres, recht nachdrücklich belegte sie aber, wie sehr das soldatische Selbstbild von deutschen Männern im frühen 20. Jahrhundert einerseits von Abscheu vor dem "Fließen", dem "Schmutz" und dem "Schleim" geprägt war, diese Männer andererseits das "hart sein" oder das "Stählen" sowohl der eigenen Leiblichkeit als auch des harten Staates feierten, in dem sie zu leben wünschten.
Nicht zuletzt im juristischen Denken hielten zäh sich Metaphern des Reinhaltens, der Härte und des Verschärfens. Das Mittel zum Zweck ist im Zweifel die "scharfe" Dezision.
Ob es sich heute auch noch so verhält oder ob sich diejenigen, die in schleimloser Härte den Sinn von Staat und privater Existenz suchen, nicht vielmehr bis auf die Knochen (inklusive sämtlicher Gelenkkapseln) lächerlich machen: Darüber ließe sich über einer Tasse Kaffee nachdenken. Zur Not mit einem Schuss Hafermilch, die ist ja auch so ein seltsames Fluidum.
Hinweis: Susanne Wedlich, Judith Schalansky (Hg.): Das Buch vom Schleim. 287 Seiten, Hardcover gebunden. Illustration: Michael Rosenlehner. Berlin (Matthes & Seitz) 2019. Preis: 34,00 €.
Juristische Schleimkunde: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54328 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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