Roland Freisler: Williger Vollstrecker im Namen des Führers

2/2: "Sie aber werden uns nicht entwischen"

Die Verfahren unter Freislers Vorsitz geraten zu Schauprozessen. Er herrscht über den inzwischen auf sechs Senate angewachsenen Gerichtshof, der in einem alten Schulgebäude am Potsdamer Platz untergebracht ist, in der Bellevuestrasse 15, Berlin-Tiergarten, wo heute das Sony Center steht. Abgeurteilt wird aber an wechselnden Schauplätzen im Reich.

Während Freislers Amtszeit wächst die Zahl der Todesurteile von 102 im Jahr 1941 auf 1.192 Urteile bereits ein Jahr später. Freisler ist nicht nur Richter, sondern zugleich erster Ankläger. Den übrigen Beteiligten kommt kaum mehr als eine Statistenrolle zu. Das Strafmaß steht ohnehin meist schon vorab fest. Ein Strafgesetzbuch wird nicht gebraucht und ist – als es einmal darauf ankommt – nicht einmal aufzutreiben. Der Vollzug eines Todesurteils erfolgt oft wenige Stunden nach der Urteilsverkündung. So wie im Februar 1943 beim Prozess gegen die Mitglieder der "Weiße Rose". Die Studenten Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst werden noch am gleichen Tag hingerichtet.

Ein anderer Prozess findet im Herbst 1943 statt. Angeklagt ist Elfriede Scholz, die Schwester des Schriftstellers Erich Maria Remarque. Dessen Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" war bereits 1933 den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen zum Opfer gefallen. Als Freisler sie wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt, soll er bemerkt haben: "Ihr Bruder ist uns leider entwischt - Sie aber werden uns nicht entwischen."

Den Nazis zu extrem: Freislers propagandistisches Fiasko

Im Sommer 1944, dem D-Day, landen die Alliierten in der Normandie. Die militärische Niederlage beginnt sich abzuzeichnen. Einige Wochen später dann, am 20. Juli 1944, überlebt Adolf Hitler leicht verletzt das Attentat im Führerhauptquartier "Wolfsschanze". Zwölf andere trifft es schwerer, vier werden durch den Bombenanschlag getötet.

Mit einigen Offizieren rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der die Bombe platziert hatte, macht man kurzen Prozess. Sie werden noch in der Nacht im Bendlerblock, dem Zentrum der Widerstandsgruppe, standrechtlich erschossen. Andere erwartet der Prozess vor dem Volksgerichtshof. Hitler gibt die Marschrichtung vor: Das werde "Freisler schon machen", soll er gesagt haben. Und tatsächlich zeigt der Präsident des Volksgerichtshofs sich einmal mehr als williger Helfer. Viele Angeklagte werden im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee gehenkt. Sein Führer hatte es so befohlen.

Der vorherige Schauprozess gerät allerdings zu einem propagandistischen Fiasko. Der Senat tagt im Kammergericht Berlin. Überlieferte Filmaufnahmen zeigen einen Vorsitzenden, der poltert, sich in Rage schreit, den Angeklagten über den Mund fährt, sie verhöhnt und beschimpft als "Lump", "Jämmerling" oder "Früchtchen". Generalfeldmarschall Erwin* von Witzleben hatte man den Gürtel genommen. Als der seine Hose festhalten muss, fragt ihn Freisler: "Sie schmutziger alter Mann, was fummeln Sie dauernd an Ihrer Hose herum."

Eigentlich für die Wochenschau gedacht, wird das Filmmaterial jedoch nicht gezeigt, sondern als "Geheime Reichssache" deklariert. Man ist besorgt, die Aufnahmen könnten Mitleid mit den Angeklagten aufkommen lassen. Selbst Freislers Vorgänger, Reichsjustizminister Thierack, geht die Prozessführung des Vorsitzenden augenscheinlich zu weit. In einem Schreiben an Reichsleiter Martin Bormann, den Sekretär des Führers im Führerhauptquartier, merkt er an, es beschädige "die Würde des Gerichts", von Angeklagten als "Würstchen" zu sprechen. Dem Präsidenten fehle es völlig "an eiskalter überlegener Zurückhaltung, die in solchem Prozess allein geboten ist".

Rund 200 weitere Personen, unter ihnen Generäle und Oberste, werden später als mutmaßliche Mitattentäter oder Mitwisser nach weiteren Prozessen hingerichtet. Ein Grund lässt sich immer finden. So wie bei den Mitgliedern des Kreisauer Kreises rund um Helmuth James Graf von Moltke Ihm selbst kann zwar keine Beteiligung am Attentat vom 20. Juli nachgewiesen werden. Dafür verlegt sich das Gericht kurzerhand auf einen anderen Vorwurf: die geistige und religiöse Haltung des Angeklagten.

Der lange Schatten der Geschichte

Als die Alliierten am 3. Februar 1945 einen Bombenangriff über Berlin fliegen, ist am gleichen Tag im Völkischen Beobachter, dem publizistischen Parteiorgan der NSDAP, zu lesen, der Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Roland Freisler sei ums Leben gekommen. Unter welchen Umständen genau, dazu gibt es bis heute verschiedene Versionen.

Als der Bundestag zu Beginn des Jahres 1985 den Volksgerichtshof ächtet, zeigt sich noch nicht, wie weit der Schatten der Geschichte reicht. Ein bayerischer Landtagsabgeordneter bringt kurz darauf ans Licht, dass Freislers Witwe, die zwischenzeitlich wieder ihren Mädchennamen angenommen hat und in München wohnt, seit 1974 vom zuständigen Versorgungsamt als Schadensausgleich eine Rente bezieht. Die Begründung der Behörde: Man müsse unterstellen, dass Freisler nach dem Krieg "als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre".

Eine Nachkriegskarriere für Hitlers Mörder in Robe? Viele pflichten dem bei. Schließlich ist kein Richter von der Nachkriegsjustiz wirklich belangt worden. Die entsprechenden Weichen dazu hatte der Bundesgerichtshof schon in den 1950-er Jahren gestellt. Man habe sich ja im Rahmen der seinerzeit geltenden Rechtsordnung gehalten. Und Roland Freisler als der überzeugteste aller NS-Richter erst recht.

Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz in Halberstadt.

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* Anm. d. Red.: Fälschlich stand hier zunächst "Erich". Richtigerweise hieß der Offizier Erwin von Witzleben.

Zitiervorschlag

André Niedostadek, Roland Freisler: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14559 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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