Zwei Schwestern werden in einem aktuellen ZDF-Film zu Projektionsflächen der gesellschaftlichen Debatte um die Sterbehilfe. Juristische Details bleiben dem Zuschauer dabei erspart, die "großen" Fragen dagegen werden greifbar.
Eher selten gibt es Situationen im Leben, in denen sich komplexe Überlegungen und Probleme auf einen kurzen Moment reduzieren. Da kulminiert ein jahrelanger Kampf mit dem eigenen Gewissen, einem Pflegeheim, dem Schicksal und auch ein schwieriger juristischer Streit schließlich in einem einzigen Satz: "Schneiden Sie den Schlauch durch!"
Solche Momente wünscht man niemandem und doch ereilen sie manche Menschen von Zeit zu Zeit. Und in ganz seltenen Fällen schreiben sie dann auch noch Rechtsgeschichte, wie im sogenannten Fuldaer Fall, der nun für das ZDF unter dem Titel "Bring mich nach Hause" verfilmt worden ist. Die Geschichte basiert in ihren Grundzügen auf einem Sachverhalt, den der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2010 zu entscheiden hatte, wobei der 2. Strafsenat die Grenzen zulässiger Sterbehilfe grundsätzlich neu vermaß.
Hintergrund: Neuvermessung der Grenzen zulässiger Sterbehilfe
Juristisch ging es dabei um die Frage, wo die Grenze verläuft zwischen erlaubter passiver Sterbehilfe und der verbotenen aktiven Tötung eines Menschen. Wann also lässt man einen Patienten sterben und wann tötet man ihn? Lange Zeit hatten deutsche Strafgerichte danach unterschieden, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt, ob sich also bei einer wertenden Betrachtung das Geschehen eher als Unterlassen der Weiterbehandlung oder als aktiver Abbruch darstellt. Beispielhaft: Wer einfach keine Nahrung mehr zuführt, lässt den Patienten erlaubt sterben, wer hingegen den Nahrungsschlauch entfernt, macht sich strafbar, weil er aktiv eingreift. Das Ganze geriet in Einzelfällen zu einigermaßen willkürlich anmutenden Unterscheidungen und wurde zusätzlich dadurch verkompliziert, dass es mitunter auch einen Unterschied machen konnte, wer die Handlung vornahm. Stellte ein behandelnder Arzt die lebenserhaltende Maschine ab, machte er sich nicht strafbar, ein Angehöriger hingegen möglicherweise schon, da seine Handlung dann als fremdes Eingreifen gewertet wurde.
Mit dieser Unterscheidung hielt sich der BGH in seiner Entscheidung im Jahr 2010 gar nicht mehr auf, sondern stellte schlicht darauf ab, ob eine Beendigung der Lebenserhaltung behandlungsbezogen und vom Patientenwillen gedeckt ist. In solchen Fällen, entschied der Senat, solle es nicht mehr darauf ankommen, ob ein Geschehen mehr als aktives Tun oder als Unterlassen erscheine und auch nicht darauf, wer potentieller Täter sei.
Das Urteil statuierte damit ein klares Primat des frei geäußerten Patientenwillens. Niemand hat demnach das Recht, sich über diesen hinwegzusetzen, auch nicht die Strafrechtsordnung mit ihrer zuweilen willkürlichen Auffassung davon, wann ein Leben "natürlich" endet. Wenngleich juristisch höchst bedeutsam, kann all das zunächst einmal abstrakt, fast banal klingen. Und hier beginnt der Verdienst des Films.
Ethische Diskussion auf persönlicher Ebene
Er zeigt die Menschen hinter dem auf die wesentlichen Fakten eingedampften juristischen Sachverhalt, bringt komplizierte Begriffe wie Patientenautonomie und Lebenswert auf eine persönliche, greifbare Ebene. Lose basierend auf den realen Ereignissen des Fuldaer Falls zeigt er zwei Schwestern, die mit dem Schicksal ihrer Mutter, die infolge einer Hirnblutung ins Koma fällt, zunächst auf sehr unterschiedliche Weise umgehen.
Die eine Schwester, Sandra, gespielt von Anneke Kim Sarnau, ist gewissermaßen der Prototyp des nüchternen aufgeklärten Bildungsbürgertums des 21. Jahrhunderts: eine aufstrebende Wissenschaftlerin, die wenig übrig hat für Spiritualität oder Esoterik und mit ihrem ruhigen Pragmatismus kühl, zuweilen kalt rüberkommt. Den Gegenentwurf dazu bildet ihre Schwester Ulrike, dargestellt von Silke Bodenbender. Eine warme, herzliche und tiefgläubige Person, die, während ihre Schwester für ihre Mutter teure Leasing-Verträge kündigt, lieber alte Familienfotos durchgeht und jeden Tag Stunden an ihrem Krankenbett verbringt.
Wo die Bruchstellen dieser Schwestern-Beziehung im Kontext der Sterbehilfe liegen ist leicht absehbar und der Film überrascht hier zunächst auch nicht. Ulrike findet Halt in ihrem Glauben und vergisst dabei, den Ärzten im Krankenhaus zuzuhören, die ihrer Mutter praktisch keine Chance mehr geben, ihr Bewusstsein jemals wiederzuerlangen. Stattdessen könne man es doch vielleicht einmal mit Globuli versuchen. Für sie ist ein Mensch aber auch mehr als die Summe seiner Einzelteile oder sein erkennbares Bewusstsein – er ist ein Wert an sich, der nicht einfach hinwegverfügt werden darf. Sandra hingegen erkennt in der Situation schnell nur noch eine Qual und eine Bürde für ihre Mutter und drängt früh darauf, einen Behandlungsabbruch in Betracht zu ziehen.
Stereotype Charaktere
Diese Charakterzeichnungen wirken zunächst einmal sehr stereotyp. Beide Schwestern werden im Laufe der Ereignisse zu Projektionsflächen für die vermeintlich konträren und unversöhnlichen Positionen zur Sterbehilfe: Auf der einen Seite die gläubige Christin, die auf den Wert eines jeden Lebens pocht und sich trotz aussichtsloser Leiden dagegen stemmt, auf der anderen Seite die Naturwissenschaftlerin, die ihre Entscheidung ohne Sentimentalität kalkuliert.
Doch erfüllen diese zunächst etwas holzschnittartigen Menschenbilder zum einen ihren Zweck darin, die verschiedenen Standpunkte in der gesellschaftlichen Debatte um die Sterbehilfe zu illustrieren, die bis heute Gesetzgeber und Gerichte übereinzubringen versuchen. Zum anderen zeigt ihre Entwicklung im Verlauf des Films aber auch, dass Menschen und ihre Entscheidungen nicht wie mathematische Gleichungen berechnet werden können. Sie sind oft komplex, manchmal unverständlich und jedenfalls nicht vorhersehbar. Ihre moralischen Überzeugungen passen demnach selten in ein Ja-oder-Nein-Schema.
Glaube vs. Selbstbestimmung?
Letztlich entscheidend für die rechtliche Bedeutung des Falls, die in diesem Film eine untergeordnete Rolle spielt, wird aber schließlich die Weigerung des christlichen Pflegeheims, in dem die weiter komatöse und schwer gezeichnete Mutter nunmehr lebt, die künstliche Ernährung auf den Wunsch beider Schwestern einzustellen. Hier wagt der Film nun eine fast dämonisierende Zeichnung einer Einrichtung, die unter dem Deckmantel der Nächstenliebe eigene Profitinteressen zu verfolgen scheint. Ob dies im zugrundeliegenden realen Fall zutraf, lässt sich im Nachhinein nicht ermitteln. Fest steht aber, dass das Heim, bzw. später die Konzernleitung, trotz nachdrücklicher Bitten darauf beharrte, die Magensonde unter keinen Umständen entfernen zu wollen. Und das, obwohl trotz fehlender Patientenverfügung der Mutter rechtlich keine Grundlage hierfür bestand.
Für die zugespitzte Erzählung eines Einzelfalles mag diese Darstellung passend sein, verallgemeinert werden sollte sie jedenfalls nicht. Denn die von Patientenanwälten gerne scharf als menschlich desinteressierte Profitmaschinen kritisierten Pflegeheime werden sich selten zu einem Verhalten wie dem hier dargestellten hinreißen lassen. Dass der Film damit nicht zu einer allzu einseitigen Beschreibung des christlichen Glaubens als autoritär und per se sterbehilfefeindlich verkommt, ist vor allem dem starken Schauspiel von Silke Bodenbender und einer zum Finale hin interessanter werdenden Zeichnung der von ihr verkörperten Ulrike zu verdanken.
Am Ende wenden sich die Schwestern im Konflikt mit dem Pflegeheim schließlich an einen Rechtsanwalt, der ihnen eine radikale Lösung aufzeigt und sich damit selbst mit in die juristische Schusslinie begibt.
Produktion von Medizinrechtler beraten
Unter dem Strich gelingt dem Team um Autorin Britta Stöckle und Regisseurin Christiane Balthasar mit "Bring mich nach Hause" ein feiner Balanceakt: die breite und für einen Film unerschöpfliche Diskussion um die Sterbehilfe mit ihren "großen" Fragen zu illustrieren, ohne dabei zu überfrachten oder allzu oberflächlich zu bleiben.
Dass die entscheidende juristische Fragestellung des Fuldaer Falls, die sich um die Abgrenzung von zulässiger passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe bzw. Totschlag drehte, in der Geschichte außen vor bleibt, ist sicherlich nicht mit mangelnder juristischer Expertise des Produktionsteams zu begründen. Der renommierte Münchener Medizinrechtler Wolfgang Putz, der die Geschwister in der Realität damals beriet und sich anschließend wegen versuchten Totschlags vor Gericht verantworten musste, wirkte auch bei der Produktion des Films beratend mit. Der Fokus auf diese sehr technische juristische Problematik hätte dem Film für ein breites Publikum jedoch seiner besonderen Funktion beraubt, die unterschiedlichen ethischen Standpunkte zur Sterbehilfe verständlich und erfahrbar zu machen. Für den Zuschauer, ob Jurist oder Laie, dürfte das von ungleich größerem Wert sein.
Der Film "Bring mich nach Hause ist am Montag, den 25. Oktober, um 20.15 Uhr im ZDF und bereits jetzt in der ZDF-Mediathek zu sehen. Im Anschluss an die Ausstrahlung im TV zeigt das ZDF die Dokumentation "Zwischen den Welten: Leben und Sterben im Wachkoma", in der neben einem Neurologen und einer Bischöfin auch der Rechtsanwalt zu Wort kommt, dessen Fall dem Spielfilm zugrunde liegt.
ZDF-Film "Bring mich nach Hause" zur Sterbehilfe: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46432 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag