Gesetze klar und nachvollziehbar zu gestalten, dieser Aufgabe widmet sich seit 2009 eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern beim BMJ, der von Stephanie Thieme geleitete Redaktionsstab Rechtssprache. Ein oft zäher Prozess, der an die Grenzen des politisch Machbaren stößt – aber ein erfolgreicher, wie sich schon jetzt, zweieinhalb Jahre nach Gründung der Einrichtung, zeigt.
Wer eine Vorstellung davon hat, wie lange Gesetzgebungsverfahren in der Regel dauern, kann Stephanie Thiemes Freude über die Auszeichnung für die Arbeit an dem Gesetz über den Versorgungsausgleich verstehen. Im April 2009 traten die Neuregelungen in Kraft, aber schon 2007 lagen die ersten Entwürfe des "VersAusglG" auf dem Schreibtisch der Leiterin des beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) angesiedelten Projekts "Verständliche Gesetze".
Am 26. Oktober 2011 konnte nun das BMJ den von der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung verliehenen "Ersten Preis für gute Gesetzgebung" im großen Protokollsaal des Reichstagsgebäudes entgegennehmen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) würdigte in ihrem Festvortrag, dass der Preis ganz zu Recht an ein Gesetz geht, das in besonderer Weise zur Normenklarheit beiträgt. Dies sei nicht zuletzt der sprachwissenschaftlichen Expertise der Mitarbeiterinnen aus dem Projekt zu verdanken.
Vor vier Jahren steckte die beim BMJ angesiedelte Arbeitsgruppe noch in den Kinderschuhen. Der Plan von politischer Seite war es, eine Sprachberatung zu etablieren, die möglichst frühzeitig im Gesetzgebungsverfahren zum Zuge kommt. "Die Erfahrungen mit dem schon seit den sechziger Jahren existierenden Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beim Deutschen Bundestag hatten gezeigt, dass Gesetzentwürfe die dort tätigen Sprachwissenschaftler zumeist erst kurz vor dem Kabinettsbeschluss erreichten", erzählt Stephanie Thieme. Zu diesem Zeitpunkt sei aber eine wirkliche Verbesserung der Entwürfe in punkto Verständlichkeit in aller Regel nicht mehr möglich gewesen.
Als Juristin die Vorschläge der Germanistin verteidigen
Die 55-Jährige weiß, wovon sie spricht: Schon bevor die Einrichtung eines Redaktionsstabs auf Ebene des Bundesjustizministeriums mit Beginn des Pilotprojekts "Verständliche Gesetze" 2007 konkret wurde, war sie Leiterin der parlamentarischen Arbeitsgruppe. So wacht Stephanie Thieme insgesamt schon seit zehn Jahren als Mitarbeiterin der GfdS und im Auftrag des deutschen Staates darüber, dass der Gesetzgeber Rechtstexte mit der erforderlichen und möglichen Klarheit formuliert.
Stephanie Thieme (© www.dietlb.de)
Ohne ein besonderes Interesse an der juristischen Fachsprache geht dabei in der täglichen Arbeit mit den teilweise hoch komplexen und abstrakten Regelungen nichts. Genau dieses Interesse war es, das Frau Thieme dazu brachte, sich nach ihrem Germanistikstudium und einer Tätigkeit als Lektorin in einem Verlag für Belletristik im Alter von 37 Jahren an der Humboldt-Uni für Jura einzuschreiben. Nach dem zweiten Staatsexamen gründete sie 2000 zunächst mit Kollegen eine Rechtsanwaltskanzlei in Berlin – noch heute ist Stephanie Thieme neben ihrer Hauptarbeit für den Redaktionsstab anwaltlich tätig.
Auf der anderen Seite kann die Leiterin des Redaktionsstabs Rechtssprache den Trumpf, auch Volljuristin zu sein, effektiv im Umgang mit den Autoren der Gesetzentwürfe ausspielen. Ziel ist es, so Frau Thieme, dass Entwürfe freiwillig schon in einem möglichst frühen Entwicklungsstadium eingereicht werden – absolute Vertraulichkeit garantiert. Dieses Angebot nähmen die Autoren inzwischen auch verstärkt an. Wenn die Sprachwissenschaftler allerdings erst in der Phase der obligatorischen Rechtsprüfung durch das BMJ einen Blick auf die Texte werfen können, ist es mitunter schwierig, mit Änderungsvorschlägen bei den Betreffenden durchzukommen.
Speziell formulierte Gesetze nur bei speziellem Adressatenkreis
Dabei stoßen die Sprachwissenschaftler oft an ihre Grenzen: "Wir mussten auch erst lernen, dass viele Formulierungen Ausdruck eines politischen Kompromisses sind, und wir dann mit unseren Vorschlägen zurücktreten müssen", so die Rechtslinguistin Thieme. Auch die Umsetzung von europäischem Recht in nationale Regelungen bereitet dem Redaktionsstab regelmäßig Kopfzerbrechen. Aus Angst vor möglichen Sanktionen gegen Deutschland bestünden hier manche Autoren vehement auf der wörtlichen Übersetzung und Übernahme noch so komplizierter Sätze und Begriffe.
Trotz alledem kann sich die Zwischenbilanz des Redaktionsstabs Rechtssprache sehen lassen: Nach einer internen Auswertung aus dem laufenden Jahr 2011 fanden sich deutlich mehr als 50 Prozent der Verbesserungsvorschläge am Schluss auch im Bundesgesetzblatt wieder. Ein Ergebnis, das Stephanie Thieme gefreut, aber auch überrascht hat: "Ich hatte ehrlich gesagt mit weniger gerechnet."
Bleibt die Frage, was denn nun eigentlich ein verständliches Gesetz ausmacht. "Entscheidend ist zunächst einmal, dass man sich überlegt, an wen sich die Regelung richtet", erklärt Stephanie Thieme. "Die Sprachprüfung beginnt also immer mit der Klärung des Adressatenkreises." Je spezieller dieser Kreis ist, umso spezieller dürfe auch die Regelung in ihrer Terminologie und systematischen Darstellung sein. Der Bearbeiter müsse immer im Hinterkopf behalten, dass er es mit einer Fachsprache zu tun hat, an die man nicht ohne weiteres den Maßstab der Alltagssprache anlegen kann. Verbesserungswürdig seien in jedem Fall allgemeine Verständlichkeitshindernisse, wie etwa überlange und verschachtelte Sätze oder das Aneinanderreihen von nominalisierten Verben. Über derartige formale Kriterien hinaus prüfen die Sprachwissenschaftler auch den logischen Aufbau und die Schlüssigkeit des Textes. Hilfreich ist dabei ein Blick in das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, der "Bibel für jeden, der Gesetze schreibt", so Stephanie Thieme. In den sprachlichen Teil des vom BMJ herausgegebenen Leitfadens hat die GfdS ihre langjährigen praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Rechtssprache einfließen lassen.
Den Preis für das Gesetz über den Versorgungsausgleich sieht Stephanie Thieme als weiteren Ansporn für ihre Arbeit, das Ende der Fahnenstange in punkto verständliche Gesetze ist in ihren Augen allerdings noch längst nicht erreicht. Gerade im internationalen Vergleich zeige sich, dass eine noch intensivere Kooperation von Sprachwissenschaftlern und Juristen im Gesetzgebungsverfahren möglich ist – insbesondere die Schweiz sei dafür ein gutes Beispiel. "Bei uns ist noch viel Spielraum vorhanden."
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Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: Von Sprach-, Scham- und Meeresgrenzen
Redaktionsstab Rechtssprache: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4682 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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