2/2: Gespensterglaube als aufklärerisches Anliegen
Weil Aufklärung in dieser protestantischen Logik der Ausgang aus der Dunkelheit satanischer Verfinsterung war, war auch die Annahme von Gespenstern und – wie es sich für Juristen gehört – ihre rechtliche Einordnung ein aufgeklärtes Unternehmen: Es widerspreche nicht allein einer rechtgläubigen Bibel-Interpretation, die Existenz von Geistern in Zweifel zu ziehen, Zweifler litten "an einem sehr unheilvollen Irrtum. Denn das ist sicher: wer beharrlich leugnet, dass jemals irgendwelche Gespenster wirklich aufgetreten wären, der zweifelt, glaube ich ganz bestimmt, selbst an der Existenz des bösartigen Geistes und kommt, wenn er bei dieser Meinung beharrt, dem Atheismus sehr nahe (wenigstens nach meiner Überzeugung)."
Man könnte sagen: Weil nach dieser Logik aus Zweifeln an Gespenstern ein Zweifel an der Existenz Satans folgte, aus Zweifeln an Satan aber nachlassendes Bemühen, die Welt durch Aufklärung zu erhellen, war Gespenster-Glaube ein aufklärerisches Anliegen.
Im Lauf des 18. Jahrhunderts kam das heilstheologische Hilfsargument, wonach sich der Mensch seines Verstandes als Instrument gegen satanische Einflüsterungen bedienen solle, weitgehend aus der Mode – jedenfalls wanderte es aus der juristischen Literatur in die schauerromantische Belletristik ab.
Staatsfromme Gespensteridee: Leider verworfen
Eine Chance, den Gespensterglauben durch einen Gebrauchswert im juristischen Tagesgeschäft auf Dauer zu etablieren, machte Andreas Becker in seiner Dissertation vom 25. Juni 1700 leider selbst zunichte. Zwar formulierte er die zum Beispiel für Finanzämter interessante Idee, dass ein "unter Anleitung und Führung eines Gespenstes" gefundener Schatz vielleicht "dem Fiskus zufalle, weil er gleichsam mit unerlaubten Mitteln erworben sei. Man könnte dieser Meinung sein, da ja nichts als unerlaubter bezeichnet werden kann als dem Wink und Willen eines bösartigen Geistes zu folgen."
Ein Gespenst hat dem Finder bei der Schatzsuche geholfen, also fällt der Gewinn dem Staat zu. Daraus ließen sich noch viele rechtlich anschlussfähige Gedanken ausmünzen. Spricht man nicht auch davon, dass die Erfinder von technischen Innovationen vom "Geistesblitz" getroffen werden? Welche Konsequenzen hätte es für den Schutz geistigen Eigentums, wenn die Vorfrage zu entscheiden wäre, ob die Erfindung "unter Anleitung und Führung eines Gespenstes" zustande kam?
Leider verwarf Andreas Becker im Jahr 1700 diesen Gedanken selbst gleich wieder, und zwar mit der sehr rabulistischen Unterscheidung, dass Gespenster beim Auffinden eines Schatzes lediglich den Anlass gäben, nicht aber als "unerlaubtes Mittel" dienten – sodass der Staatsfiskus die Hand nicht weiter auf Schätze legen konnte, als er es ohnehin schon tat.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Esoterik im Recht: . In: Legal Tribune Online, 25.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12077 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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