Zur Hochkonjunktur des Zweikampfs: Ein Pis­to­len­duell ohne Lei­chen

von Martin Rath

17.12.2017

Seit Jahren umstritten, doch selten vor Gericht: Am 18. Dezember 1917 urteilte das Reichsgericht zu einem Zweikampf, der keinen Toten hatte. Die vor-legale Sozialsphäre der Ehre unter Waffen endete wenig später ohne richterliches Zutun.

Zwei Männer, die aus Gründen der Ehre auf einander schossen oder mit Stichwaffen kämpften, mussten sich dafür nur sehr gelegentlich vor Gericht verantworten – jedenfalls kam ihre Sache selten vor die obersten deutschen Strafrichter, soweit die Herren bei der eigenhändigen Verteidigung ihrer verletzten Gefühle einer staatlich geduldeten Praxis folgten.

Zwar sollten die gesetzlichen Vorschriften zum Zweikampf erst 1969 aus dem Strafgesetzbuch (StGB) getilgt werden, doch neigte sich seine große Zeit mit dem dahinscheidenden Kaiserreich und Adel im Jahr 1918/19 ihrem Ende zu.

Als das Reichsgericht in der Vorweihnachtswoche des Jahres 1917 zu einigen bemerkenswert grundlegenden Auslegungsproblemen des Zweikampfes Auskunft gab, war sich dieses Ende der Duell-Kultur indes noch nicht abzusehen.

Neben wunderbar verstaubten Rechtsnormen erlaubt der Fall (Az. IV 646/17, RGSt 52, 64–65) einen Blick auf eine heute befremdlich anmutende Vorstellungswelt von Männlichkeit und gesellschaftlich tolerierter, wenn auch nicht erwünschter Gewalt.

Zu früh geschossen, nichts passiert?

Am 2. Februar 1916 hatte ein Leutnant der Reserve dem späteren Angeklagten eine Herausforderung zum Zweikampf übermitteln lassen, weil er die Ehre seiner Frau verletzt sah. Dieser nahm die Forderung an.

Für das Duell wurde verabredet, dass in Gesellschaft der Sekundanten und eines Unparteiischen "auf 35 Schritt Entfernung ein einmaliger Kugelwechsel aus gezogenen Pistolen stattfinden sollte". Der Schusswechsel hatte strickt ritualisiert zu erfolgen: Auf Zuruf "eins" hatten die Streitparteien die Waffen nach hinten zu führen, bei "zwei" senkrecht nach oben, auf "drei" nach vorn zu senken und bis zum Aufruf von "vier" abzufeuern.

So traf man denn unter den "Stadtratstannen" bei Weimar zusammen, damals Residenzstadt des Zwergfürstentums Sachsen-Weimar-Eisenach – und traf doch nicht wirklich aufeinander.

Denn dem Reserveoffizier ging die Waffe versehentlich schon bei "zwei" los. Sein Gegner führte das Ritual weiter aus und schoss ebenfalls – allerdings absichtlich – zwischen "drei" und "vier" in die Luft.
Das Landgericht Weimar verurteilte den Gegner des Offiziers wegen Zweikampfs mit tödlichen Waffen, nach § 205 StGB a.F. bedroht mit Festungshaft zwischen drei Monaten und fünf Jahren.

Nach über 40 Jahren unsichere Rechtsfrage

Auch nach 100 Jahren macht die seitens der Verteidigung vorgebrachte Beschwerde gegen die Verurteilung noch Freude. Denn trickreiche Wortspiele zur Abwehr staatlicher Strafansprüche mag doch beinahe jeder:

Das Landgericht Weimar, so die Verteidigung,  habe den Rechtsbegriff des Zweikampfes verfehlt. Zu einem Zweikampf müssten "2 Kräfte gegeneinander tätig werden". Da aber der Angeklagte bewusst und willentlich in die Luft geschossen und auch sein Gegner keine Kampfhandlung vorgenommen habe, sei das Duell in einer Vorbereitungshandlung steckengeblieben, sodass eine Verurteilung wegen vollendeten Zweikampfes nicht in Betracht komme.

Damit wäre dann nur eine Verurteilung wegen des Tatbestands der Annahme einer Forderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen möglich gewesen, bedroht nur mit Festungshaft bis zu sechs Monaten, § 201 StGB a.F.

Das Reichsgericht folgte dieser Argumentation, die das Geschehen unter den Weimarer Stadtratstannen sachlich-kühl interpretierte, jedoch nicht.

Als Zweikampf werde vielmehr "ein verabredeter Kampf zweier Personen mit tödlichen Waffen nach vereinbarten oder hergebrachten Regeln" verstanden, bei dem es zur Vollendung des "Kampfes" genüge, "wenn der eine angreift, der andere sich gegen den Angriff verteidigt oder auch nur ihm standhält".

Anders formuliert: "Im Rechtssinn vollendet ist er [der Zweikampf] aber schon, sobald die Beteiligten zum Kampfe angetreten sind und der eine von ihnen mit dem Angriff auf den sich darbietenden Gegner begonnen hat."

Rituelle Bewährungsprobe für Männer

Indem sich das Reichsgericht auf "hergebrachte Regeln" des Zweikampfes berief, um dessen Vollendung zu bestimmen, erkannte es eine normative Ordnung neben bzw. vor dem Rechtsstaat an, deren sozialer Sinn sich in einer unscheinbaren Formulierung versteckte – der vom "sich darbietenden Gegner".

In Sachen Duell herrschte in Deutschland ein bemerkenswerter Doppelstandard. Der gesetzlichen Strafandrohung für die Aufforderung zum Zweikampf sowie ihrer Annahme, für den Kampf selbst und seine Organisation sowie für etwaige Tatfolgen stand die Praxis des Offizierskorps sowie des Bürgertums entgegen.

Im Offizierskorps, das bis zum Zweiten Weltkrieg überproportional mit Männern von Adel bestückt blieb, wurde regelrecht verlangt, dass man sich einer vermuteten Verletzung der Ehre mit der Aufforderung zum Zweikampf "Genugtuung verschaffte".

Indem der Status des Reserveoffiziers im Wilhelminischen Kaiserreich zum Ideal auch des bürgerlichen Mannes wurde, stieg die Zahl derjenigen, die für "satisfaktionsfähig" gehalten wurden – und die sich auch verpflichtet sahen. Wer eine Aufforderung ausschlug oder auch nur eine von seinem sozialen Milieu als Ehrverletzung gesehene Lage nicht nutzte, Befriedigung im Zweikampf zu suchen, wurde regelmäßig gemieden. Offiziere verdarben sich ihre Karriere, sollten sie sich nicht um ihre Ehre schlagen.

Dem Reichsgericht stand, in Form halboffizieller Handbücher, eine Referenz zur Verfügung, um zu definieren, wie ein Duell aussehen sollte.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Zur Hochkonjunktur des Zweikampfs: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26061 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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