Historisches Urteil: Schiff­bruch vor Gericht

von Martin Rath

07.02.2016

2/2: Römisch-deutscher Kaiser gegen norddeutsche Halsabschneider

Havarierte Schiffe, vom Meer aufs Land geworfene Güter und an den Strand angetriebene Gegenstände als herrenlos zu betrachten und sich anzueignen, reizte Küstenanwohner und -staaten von jeher. Die Kirche drohte mit Exkommunikation, das Heilige Römische Reich deutscher Nation erließ mehrere Reichsgesetze und pönalisierte die Aneignung von Strandgut als räuberische Tat. Strandräuberisches Lokalrecht hob Artikel 218 der Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. im Jahr 1532 noch einmal auf als Praxis "an vilen enden der myssprauch so eyn schiffmann mit seinem schiff verferet, schiffbrüchig wurde, daß er alßdann der oberkeyt des selbigen orts, mit schiff, leib vnd güttern verfallen sein solt".

Einen Waffenstillstand im Kampf der Kulturen entdeckte der Historiker Hans Prutz (1843-1929) im Strandungsrecht des östlichen Mittelmeerraums. Die dort von den Kreuzfahrern etablierten Kleinstaaten befolgten nicht nur untereinander das von der Kirche angeordnete Aneignungs-, also Raubverbot an gestrandeten Dingen. Prutz behauptete in seiner "Kulturgeschichte der Kreuzzüge, dass "auf dem Wege des Vertrages auch den mohammedanischen Kaufleuten gegenüber das Strandrecht von den Franken außer Wirksamkeit gesetzt worden" sei – ob dabei aber mehr als der gute Wille zählte, wusste auch der Historiker nicht. Der Reiz von kostbarem Strandgut und havarierten Schiffen überwog wohl allgemein jede gute Absicht der Gesetzgeber.

Preuße schaut aufs Meer, Preuße schafft Ordnung

Zeitgenossen feierten es als Großtat des preußisch-deutschen Staats, dass dieser am Strand endlich Ordnung geschaffen habe. Die Strandungsordnung regelte seit 1874, dass an den deutschen Küsten Strandämter zur Verwaltung der Strandungsangelegenheiten einzurichten seien. In deren Bezirken waren Strandvögte einzusetzen. Das Gesetz gab jedem, der "ein auf den Strand gerathenes oder sonst unweit desselben in Seenoth befindliches Schiff wahrnimmt", die Pflicht auf, dem zuständigen Strandvogt "Anzeige zu machen".

Die sportliche Seite der alten Strandräuberei wurde zwar nicht ganz unterdrückt: "Der Überbringer der ersten Anzeige hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung" (§ 4 Strandungsordnung). Doch sonst hatte es ganz preußisch zuzugehen: Den Gemeinden an der Küste wurde die Stellung von Pferden, Gespannen und Booten zur ortsüblichen Taxe auferlegt, dem Strandvogt zur Pflicht gemacht, die Zollbehörden hinzuzuziehen. Womit die Frage, ob die Ladung havarierter Schiffe zu verzollen ist, wohl auch geklärt war.

Für die Bergung ganzer Schiffsladungen, am Strand oder aus Seenot, gab die Strandungsverordnung das Procedere vor, etwa, dass ohne "Genehmigung des Schiffers … nichts aus dem Schiffe fortgeschafft werden" dürfe, solange dieser an Bord war. Auf verlassenen Schiffen übernahm der Strandvogt die Herrschaft über das Verfahren. Der alte Spruch vom Kapitän, der als letzter von Bord geht, nimmt eine etwas weniger romantische Farbe als im Kino an. Von seiner Präsenz hing es wesentlich ab, ob die Ladung zur Sicherung der Bergungskosten in Beschlag genommen wurde.

Die Strandämter waren berufen, die Ansprüche auf Berge- und "Hülfslohn" gutachterlich darzustellen und der Aufsichtsbehörde vorzulegen, die die Kostenverteilung dann mittels Bescheid festzulegen hatte. Mit seinem Urteil von 3. Februar 1926 klärte das Reichsgericht, dass diese behördlichen Feststellungen die Gerichte im Verfahren um Bergungskosten nicht so zwingend banden, wie sich das die Hamburger Gerichte (Cuxhaven war bis 1937 eine hamburgische Stadt) vorgestellt hatten.

Haustürgeschäfte in Seenot

Seitdem der Bundesgesetzgeber 1990 die Strandungsordnung aufhob, hat dieses Gesetz natürlich nur noch rechtshistorischen Wert. Wer sich einen Eindruck davon machen möchte, dass es einst seeräuberromantische Gesetzgebungstexte gab, findet unter den Wiki-Sources den Volltext.
Vielleicht muss man nach einem Blick in die rechtshistorische Mottenkiste auch das

Verbraucherschutzrecht neu schreiben. Wer denkt, dass die Handhaben z.B. gegen Haustürgeschäfte eine Erfindung neuester europäischer Endverbraucherbeglückung seien, findet im alten HGB folgendes Überrumpelungsverbot: "Wird noch während der Gefahr", also der Seenot, "ein Vertrag über die Höhe des Berge- oder Hülfslohns geschlossen, so kann der Vertrag wegen erheblichen Übermaßes der zugesicherten Vergütung angefochten und die Herabsetzung der letzteren auf das den Umständen entsprechende Maß verlangt werden" § 741 HGB a.F.

Wer sich über Telefonverkäufer oder Klinkenputzer im Haustürhandel ärgert, mag daran denken, dass es sich um gar nicht so entfernte Verwandte von Seenot-Ausbeutern und Strandräubern handelt. Das entschuldigt zwar nichts, erklärt aber manches.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historisches Urteil: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18378 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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