2/2: Kein typischer Musternazi
Mit Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 dringt die nationalsozialistische Gewaltherrschaft tief in die Justiz ein. Nicht zuletzt die richterliche Unabhängigkeit steht auf dem Spiel. Sie wird für den gestanden Juristen Bumke zum Prüfstein, wenn auch nur kurzzeitig. Bemüht, die Richterschaft hinter sich zu bringen und die Autorität des Reichsgerichts zu demonstrieren, muss er einsehen, dass ein gemeinsamer Entschluss nicht zu realisieren ist. Einige Kollegen sind inzwischen selbst der NSDAP beigetreten. Als der Führer auf einem Juristentag 1933 in Leipzig klarmacht, dass eine Justiz nur im Rahmen seiner gegenwärtigen Weltanschauung unabhängig sein kann und muss, fehlt Bumke, der sich, wie sein Bruder schreibt "seelisch ziemlich am Ende fühlte".
Inwieweit der zunehmende Nazi-Terror Bumke tatsächlich "aufs Schwerste bedrückt" hat, lässt sich kaum mehr ausmachen. Politisch selbst wenig aktiv kann er sich anders als sein Vorgänger Simons jedoch nicht dazu durchringen, aus dem Amt zu scheiden, mag er auch mehrfach darüber nachgedacht haben. Schon im Januar 1932 hatte er in einem Schreiben an die Reichskanzlei formuliert: "Es ist für mich ein kaum erträglicher Gedanke, dass mein Name mit einer Periode der Geschichte des Reichsgerichts verbunden sein soll, die seinen Niedergang bedeutet." Dabei war der Anlass des Schreibens vergleichsweise banal. Es ging um gekürzte Richterpensionen. Jetzt, wo es um die rückwirkende Verhängung und den Vollzug der Todesstrafe geht oder auch um die Entlassung jüdischer Richterkollegen vernimmt man vom höchsten Richter nur ein Schweigen. So wie auch später, etwa bei dem als "Aktion Gnadentod" bekannten Euthanasieprogramm des Dritten Reiches.
Zwar ist man sich bei Gesprächen im Kreis der Familie Bumke offenbar einig, dass es im Grunde besser sei, das Amt aufzugeben. Dennoch kann oder will Bumke kein solches Zeichen setzen. Darin mag ihn auch der Reichsjustizminister Franz Gürtner bestärkt haben: "Herr Präsident, Sie wissen doch, was nach Ihnen käme, Sie dürfen nicht gehen. Was noch zu retten ist, müssen wir retten." Und Bumke bleibt. Manches spricht dafür, dass er wirklich nur bleibt, um Schlimmeres zu verhindern, womöglich, dass das Amt an "irgendeinen wilden Nationalsozialisten" fallen könnte. Augenscheinlich ist er der Ansicht, dass man sich mit den Gegebenheiten arrangieren muss. Dabei verstrickt er sich zusehends.
Nach dem Antrittsbesuch bei Hitler lässt er das Ölgemälde des ersten Reichsgerichtspräsidenten und ersten deutschen Verfassungsvaters Eduard von Simson, einem getauften Juden, aus dem großen Festsaal des Reichsgerichts fortschaffen. Später wird er Mitglied der NSDAP und tritt als Präsident beim Internationalen Strafrechts- und Gefängniskongress mit Heil-Hitler-Rufen auf. Sein Senat prägt maßgeblich die "Blutschutzrechtsprechung" und er besiegelt mit seiner Unterschrift zahlreiche Todesurteile. So etwa im Fall "Ewald Schlitt". Der hatte seine Ehefrau schwer misshandelt. Auf Initiative Hitlers wandelt der Senat eine ursprünglich fünfjährige Zuchthausstrafe pflichtschuldigst in eine Todesstrafe um. Und dennoch ist er kein typischer Musternazi, niemand der wie ein Roland Freisler das Klischee eines NS-Juristen bedient.
Selbstmord am Geburtstag des Führers
Als Erwin Bumke 1939 sein 65. Lebensjahr vollendet, lässt er sich seine Amtszeit verlängern, muss aber einsehen, dass er kaum mehr etwas erreichen kann. Auch wenn er einmal rückblickend geäußert haben soll: "Meine Herren, Sie wissen ja gar nicht, was ich alles schon vom Reichsgericht abgewendet habe!"
Schließlich fällt er auch bei Hitler in Ungnade. Den Vorschlag, Bumke zu seinem 70. Geburtstag das Adlerschild des Deutschen Reiches zu verleihen, kommentiert der Führer lakonisch: Eine solche Auszeichnung gebühre nur Personen, "deren Schaffen und Wirken weit über den Rahmen ihres eigentlichen Arbeitsgebietes hinausgeht und Gemeingut des Deutschen Volkes geworden ist".
Als die Amerikaner im April 1945 in Leipzig einmarschieren, nimmt sich Erwin Bumke in seiner Dienstwohnung im Reichsgericht das Leben. In einem Abschiedsbrief soll es geheißen haben: "Möge mein Schicksal denen zur Warnung dienen, die da glauben, politischen Notwendigkeiten den Vorrang vor der Majestät des Rechts einräumen zu sollen."
Es ist der 20. April, der Geburtstag des Führers.
André Niedostadek, Der letzte Präsident des Reichsgerichts: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12451 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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