Eine schlecht lesbare Handschrift macht er nicht unbedingt besser und doch zählt er zu den liebsten Schreibwerkzeugen: der Kugelschreiber. Vor 75 Jahren patentiert, stecken kleine Rechtsgeschichten in ihm.
Für viele, die von Hand schreiben, ist der Kugelschreiber heute das Mittel der Wahl. Lange war es ein Traum gewesen, ein Schreibwerkzeug zur Hand zu haben, das weder wie ein Federhalter tropfte und die Kleidung mit Tintenflecken bedrohte noch sich wie ein Bleistift abnutzte.
Den Kugelschreiber entwickelt hat schließlich der in Budapest geborene Journalist, Rennfahrer und Erfinder László József Bíró (1899–1985). Als Sohn eines Zahnarztes waren ihm feinmechanische Instrumente bekannt, im Pressewesen war er in Kontakt mit Druckfarben gekommen und als Tüftler im Motorsport waren ihm Kugellager vertraut. Ende der 1930er Jahre kam er auf die Idee, eine zähe Tinte, die über eine feine Kugel abgerollt auf dem Papier sofort trocknete, in ein Röhrchen zu füllen.
Dass der 10. Mai 1943 als Geburtstag des Kugelschreibers gilt, ist nicht zuletzt auf die Gesetzgebung des Königreichs Ungarn zurückzuführen, wie Bírós Heimatstaat bis 1946 offiziell firmierte. Nach dem Untergang der k.u.k Monarchie Österreich-Ungarn waren dort seit 1920 antisemitische Gesetze erlassen worden, u. a. wurde Juden der Hochschulzugang erschwert.
Als Ungarn 1938 begann, die rassistische Gesetzgebung Deutschlands zu kopieren, emigrierte der junge Familienvater László Bíró, Kind jüdischer Eltern, zunächst nach Paris. Da Ungarn den Flüchtlingen die Mitnahme von gewerblichen Schutzrechten verbot, wurde ein erster unausgereifter Kugelschreiber 1938 in Paris patentiert.
Hier fand Bíró Zugang zu Kugeln aus schwedischer Produktion, die hinreichend sauber gearbeitet waren – ein Ergebnis der modernen Kugellagerherstellung, einer Schlüsselindustrie des Zweiten Weltkriegs.
Am 10. Mai 1943, so ist es überliefert, ließ sich László Bíró den weiterentwickelten Kugelschreiber in Argentinien, seiner neuen Zuflucht, patentieren. In größerer Zahl produziert wurden Kugelschreiber dann erstmals in Großbritannien, wo seitens der Luftwaffe Bedarf an Schreibwerkzeugen bestand, die auch in der Luft, unter Kampfbedingungen, funktionstüchtig blieben.
Kugelschreiber am Boden
Mit den Streitigkeiten, die seit diesem 10. Mai 1943 auf der Grundlage eines noch unausgereiften überstaatlichen Patentrechts um den Kugelschreiber geführt wurden, ließen sich wohl ganze Bücher füllen.
Interessanter ist vielleicht, wie der Kugelschreiber den Alltag in rechtlicher Hinsicht verändert hat. Juristen denken hier womöglich an ungebührliches Verhalten, wenn nicht an Mord und Totschlag.
Tatsächlich verbot beispielsweise das Landgericht Lüneburg in der Strafsache gegen den Auschwitz-Täter Oskar Gröning (1921–2018) dem Publikum u. a., Kugelschreiber bei sich zu führen, weil befürchtet wurde, der Angeklagte könnte beworfen oder anderweitig angegriffen werden. Eine Zuschauerin, die sich Notizen machen wollte, beschwerte sich vergeblich gegen diese sitzungspolizeiliche Restriktion (OLG Celle, Beschl. v. 8.6.2015, Az. 2 Ws 92/15).
Das Lüneburger Verbot wirkt ein wenig übertrieben, doch ist die Rechtsprechung voller Beispiele dafür, wie Kugelschreiber brutal zweckentfremdet wurden. Die sitzungspolizeiliche Vorsicht mag hier ihre Wurzeln in Fällen haben – z.B. im Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. September 2003 (Az. 2 StR 254/03).
Der dabei Angeklagte hatte einer 15-Jährigen einen Kugelschreiber gegen den Hals gedrückt und ihr erklärt, es handle sich um eine Spritze mit Gift. Verurteilt wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Raub, hatte der BGH über das Qualifikationsmerkmal "eines anderen gefährlichen Werkzeugs" zu verhandeln. Die höchstrichterliche Differenzierung und rationale Distanz zum reichlich ekelerregenden Tatgeschehen gehört in jenen Bereich, in dem juristische Laien gern das Denken an den Nagel hängen und ihrem Zorn freien Lauf lassen – man mag den Fall daher als Beispiel nachlesen, in dem stoisches Denken trainiert werden kann: Welche Gefahr geht hier vom Kugelschreiber aus?
Zu einer weiteren Übung in nüchternem Rechtsdenken lädt der Beschluss des BGH vom 28. Juni 1973 (Az. 4 StR 277/73) ein. Das Landgericht Siegen hatte einen jungen Mann wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe verurteilt, weil er seinen Vater durch einen Stich mit einem Kugelschreiber ins Herz tödlich verletzt hatte. In einer fein gesponnenen Argumentation zu den Grenzen des Notwehrrechts, Vater und Sohn hatten sich gestritten, sprach der BGH den Sohn frei.
Kugelschreiber, kriminogen für Beamte
Zugegeben, in den zuletzt genannten Fällen ließe sich der Kugelschreiber durch jeden x-beliebigen harten und spitzen Gegenstand ersetzen. Bemerkenswert oft spielt er jedoch in Fällen eine Rolle, in denen eine spezifische Delinquenz von Staatsbediensteten zu Tage tritt.
Der Postbeamte, der erheblich geschädigt aus dem Krieg zurückgekommen und auf einer kleinen Stelle beschäftigt worden war, hatte 1959 die Post durch falsche Abrechnungen um 7,00 DM geschädigt. Bei der Durchsuchung seiner Amtsstube fand sich ein Kugelschreiber, den der Beamte einer Warensendung entnommen hatte.
Aus der Verteidigung des Beamten sprach nicht zuletzt seine Frustration über die seinerzeit etablierten Schreibwerkzeuge und Kopiertechniken: Auf den Kugelschreiber habe er zugegriffen, weil der sogenannte Kopierstift, der ihm dienstlich zur Verfügung stand, so schnell abnutzte.
Das lässt einen inneren Konflikt vermuten: Das Schreiben mit Kopierstiften war im kaufmännischen und dienstlichen Geschäft üblich geworden, seitdem das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) 1861 den Kaufleuten aufgab, Kopien ihres Schriftverkehrs anzufertigen. Mit besagten Stiften geschriebene Dokumente ließen sich mittels einer Presse auf ein anderes Papier übertragen. Wer derlei einmal in der Hand gehabt hat, mag ein Gefühl dafür haben, wie antiquiert diese Technik Ende der 1950er Jahre wirkte. Aus Sicht eines Postbeamten – die relative Armut kleiner Beamter war seinerzeit ein politisch brisantes Thema – war der moderne Kugelschreiber ein begehrter, in der armseligen Amtsstubenkultur nicht verfügbarer Gegenstand. Für derlei Erwägungen hatten die Disziplinargerichte freilich keinen Sinn.
Bahnbeamter als Zufallstäter
25 Jahre später kam der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts zu einem milderen Ergebnis. Das Urteil vom 11. Juni 1985 dokumentiert einen höheren Stand der Kopier-, Schreib und Rechtstechnik:
Ein Bahnbeamter wollte eine Blankofahrkarte, bestehend aus dem Deckblatt und der eigentlichen Fahrkarte, die mittels Durchschreibematerial beschriftet wurde, ausfüllen. Während des Schreibens sei der Kugelschreiber ausgefallen, ein frischer nicht in Reichweite gewesen. Mit dem leeren Stift drückte er für die Kundin die Karte mit dem korrekten Fahrpreis von 94,00 DM plus IC-Zuschlag durch. Das erste Blatt der Blankofahrkarte beschriftete er später mit 140,00 DM plus IC-Zuschlag. Die Differenz behielt der Beamte für sich.
An sich sollte auch dies zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis genügen. Doch rechnete das Gericht dem Bahnbeamten an, "eine einmalige, unbedachte und persönlichkeitsfremde Augenblickstat" begangen zu haben. In der Hektik – er musste sich als allein diensthabender Beamter um den bald einfahrenden Zug kümmern – sei ihm die schlechte Idee gekommen.
Tiefe Weisheit über Kuli-Klau
Dieser vergleichsweise milden Entscheidung war schon am 17. April 1985 ein Urteil des gleichen Senats vorangegangen, das wiederum die Verbundenheit des deutschen Beamten mit seinem Kugelschreiber dokumentiert – besser gesagt: mit einem fremden Kugelschreiber.
Ein Beamter des Bundesgrenzschutzes hatte am 18. Februar 1981 in einem Kaufhaus für seine Tochter Faschingsartikel im Wert von insgesamt 14,00 DM zu stehlen versucht. Am 3. August 1982 scheiterte sein Versuch, im gleichen Kaufhaus drei Kugelschreiber im Gesamtwert von 20,80 DM mitgehen zu lassen.
Der Bundesdisziplinaranwalt hatte die Degradierung des Beamten beantragt. Eines seiner Argumente: Nach bisheriger Rechtsprechung sei ein Polizeibeamter bereits nach einem einmaligen Eigentumsdelikt nicht mehr im öffentlichen Dienst tragbar, weil der Ansehensschaden für den Staat beträchtlich sei. Selbst wenn eine Entfernung aus dem Dienst nicht mehr als zwingend angesehen werde, reiche eine einfache Kürzung der Bezüge nicht aus.
Der Disziplinarsenat beließ es bei gekürzten Dienstbezügen, weil der Bundesgrenzschutz primär für die Überwachung der Grenzen, die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs und für die Abwehr von Gefahren aus dem Ausland zuständig sei. Leben und Eigentum des Bürgers zu schützen, sei hingegen nicht die spezifische und vorrangige Aufgabe eines Grenzschutzpolizisten. Daher sei ein Eigentumsdelikt, dass ein solcher Beamter außerhalb seines Dienstes begehe, weniger hart zu sanktionieren als bei seinen Kollegen im Landesdienst.
Die bei diesem Kugelschreiberdiebstahlsfall en passant mitgegebene Botschaft: Staats- und Eigentumsgrenzen sind zwei Paar Schuhe. Das will heute auch nicht mehr jeder verstehen.
Kugelschreiber für Staatsrechtsdiagnostik
Der Spur des Kugelschreibers ließe sich noch weiter verfolgen. Das Geld beispielsweise, das ihnen aus der Parteienfinanzierung zufließt, legten Wahlkämpfer früher meist in Kugelschreibern an. Heute verteilen sie gern Kondome.
Man mag über kleine Dinge spotten. Aber vielleicht sagt dies ja künftigen Historikern etwas darüber, woran Wähler denken sollen, wenn sie von Parteien beschenkt werden. Denn nötig sind Kugelschreiber bei der Willensbildung des Volkes nicht. Das Symbol zählt.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Kugelschreiber: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29039 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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