Rechtsgeschichte: Kriegsjahr 1915: Straf­bar­keit des aus­wär­tigen Kek

von Martin Rath

13.12.2015

2/2: Schlaumeier-Wettbewerb in der Jura-Bibliothek

Kritischen Lesern wird aufgefallen sein, dass bis hierher stets von "Kek" für das Einzelstück und von "Keks" für die Mehrzahl dessen die Rede war, was wir heute als "Keks" und "Kekse" bezeichnen. Des Rätsels Lösung: Die Übernahme des englischen Worts "cake(s)", vermittelt durch verschiedene Großbäcker, die die englische Keks-Kultur mittels großindustrieller Fertigung in Deutschland heimisch gemacht hatten, war noch nicht ganz abgeschlossen. Dem Reichsgericht waren nach dem Blick in die 1915er-Ausgabe des Duden jedenfalls die "Kekse" noch "Keks".

Wer heute zu Band 49 der "Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen" greift, kann daher auf den Seiten 306 ff. prüfen, ob sich dort in den vergangenen 100 Jahren Orthografie- Schlaumeier vermeintlich korrigierend verewigt haben. Hier dürften sich Jurastudenten, die sich an Präsenzbeständen ihrer Bibliothek vergangen haben, als Gegenstand der philologischen Forschung wiederfinden.

Beeindruckende Kleinigkeit: das Ermächtigungsgesetz

In der Rechtsprechung des Reichsgerichts während des Ersten Weltkriegs nimmt zumeist eine vergleichsweise bekannte Ermächtigungsgrundlage eine wichtige Position für die Bündelung von Staatsgewalt beim Militär ein: das Belagerungszustandsgesetz.

Über die Befugnis von Festungskommandanten und kommandierenden Generälen, im "Interesse der öffentlichen Sicherheit" in nahezu jede denkbare Verwaltungsaufgabe hineinzuregieren, wurde oft zu Gericht gesessen. Im Jahr 1915 galt dies vor allem für Verstöße gegen die vom Militär angeordnete Vorverlegung der Sperrstunde. Kneipen früher zu schließen, diente nicht allein der Minderung des Verzehrs und dazu die Heiligkeit des Krieges vor alkoholisiertem Frohsinn zu schützen, sondern schränkte vor allem die Kommunikation der Arbeiterschaft ein.

In der Kek-Rechtsprechung war dies anders. Hier rückt eine beinah unsichtbare Ermächtigungsgrundlage in den Blick. Wir erinnern uns: Ausführliche 53 Paragraphen, zehn Seiten im Reichsgesetzblatt nahm allein die Regelung der Beschlagnahme von Getreide und Mehl ein. Fleißige Juristen, wie der Kölner Beigeordnete Adenauer, mehrten die Normen des Kriegswirtschaftsrechts weiter ins Unermessliche.

Lehre aus dem Kek(s)

Doch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für weite Teile des Kriegswirtschaftsrechts findet sich erst auf den zweiten Blick, fast versteckt in einem Gesetz, das am 4. August 1914 in erster Linie eine Verlängerung der Verlängerung der Scheck- und Wechselfristen regelte. Dort heißt es in einem gleichsam überzähligen § 3 Absatz 1: "Der Bundesrat wird ermächtigt, während der Zeit des Krieges diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen als notwendig erweisen."

Auf diese Ermächtigungsgrundlage stützte sich dann sehr viel Recht. In ungeahnter Tiefe und Breite wurde in wirtschaftliche Freiheiten eingegriffen, sodass bald das böse Wort von einem Sozialismus die Runde machte, den konservative preußische Kommunalbeamte eingeführt hätten.
Vielleicht ist es ja eine sinnvolle Lehre aus dem Kek(s), das endlos zitierte Carl-Schmitt-Wort von der Souveränität, die derjenige habe, der den Ausnahmezustand bestimmt, ein wenig zu variieren: Denn als souverän zeigt sich hierzulande womöglich mehr derjenige, der mit denkbar schmaler Ermächtigungsgrundlage eine ungeheure Menge an Recht setzen – und dann auf einen unfassbar weitgehenden Rechtsgehorsam bauen kann.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichte: Kriegsjahr 1915: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17837 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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