Erinnerungen eines Spions für Deutschland: Ein zufriedener Todeskandidat

von Martin Rath

09.08.2015

2/2: Ein faires Verfahren?

Dieses juristische Vorspiel vor Augen zeigte sich Erich Gimpel im Januar, Februar 1945 eher verwundert, mit wie viel prozessualer Umständemacherei ihm und seinem hasenfüßigen Gefährten der Prozess gemacht wurde. Über die Majore Charles E. Reagin und John E. Haginey schrieb Gimpel Worte, die jedem Vertreter des Berufsstands wie Honig im Bart kleben dürften: "Sie waren die besten Verteidiger, die ich finden konnte, und sie setzten sich für mich ein, als seien sie nicht Angehörige eines Volkes, gegen das ich als Spion ausgezogen war."

Gegen Gimpel und Colepaugh wurde vor einem Militärgericht in New York verhandelt, dem diese Zuständigkeit außerordentlich zugewiesen worden war. Nur war die Sondergerichtsbarkeit ein bisschen weniger schamlos: Die Einberufung des Gerichts wurde dem örtlichen Militärbefehlshaber überlassen, die Prüfung, ob die Spielregeln eines fairen Verfahrens eingehalten worden waren, verblieb in der regulären Zuständigkeit der Militärjustizbehörden.

Nicht anders als erwartet, endete das Verfahren mit zwei Todesurteilen. Die veränderte Zuständigkeit spielte Gimpel und Colepaugh ohne ihr Wissen in die Hand: In New York wurden Delinquenten seit bald 50 Jahren mit elektrischem Strom getötet. Weil es der Militärgerichtsbarkeit gefiel, die beiden zum Tod durch Erhängen zu verurteilen, war damit wieder etwas Zeit gewonnen.

Unfair war das Verfahren, soweit man Gimpel folgt, keineswegs. Beide Angeklagten waren geständig. Gimpel beschwert sich nur darüber, dass ihm der Ankläger im rhetorischen Überschwang auch aus der Versenkung eines Handelsfrachters den Strick drehen wollte, dessen Besatzung das U-Boot 1230 auf der Heimfahrt ein nasses Grab bereitet hatte. Da fühlte er sich unschuldig.

Ein Todesfall öffnet den Gnadenweg neu

Die Hinrichtung wurde für den 15. April 1945 festgesetzt, nachdem die förmliche Überprüfung des Urteils abgeschlossen war und Präsident Roosevelt die Gnadengesuche abgewiesen hatte. Gimpel sollte sich später über fanatische Nazis in US-Haft mokieren, die sich lieber töten ließen, als um – nicht selten gewährte – Gnade zu bitten.

Am 12. April 1945 starb Roosevelt. Während der Staatstrauer galt es als verbindliche Praxis, keine Todesurteile zu vollstrecken. Die Verteidiger Gimpels und Colepaughs stellten neue Gnadengesuche, obwohl man das als juristisch unfein hätte ansehen können. Präsident Truman begnadigte zu lebenslanger Haft.

Erich Gimpel wurde 1955 aus der Haft entlassen, seit 1949 konsularisch betreut vom Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in San Francisco. Nach einem Fluchtversuch war Gimpel auf Alcatraz untergebracht worden. Colepaugh musste als verräterischer US-Bürger fünf Jahre länger in Haft bleiben.

Erinnerungsarbeit eines Ex-Spions

Erich Gimpel veröffentlichte zusammen mit dem damals berühmten Journalisten Will Berthold Erinnerungen über seine Spionage-Ausbildung, seinen guten Monat Spionageaufenthalt in New York: Spion für Deutschland". Vieles darin wirkt unglaubwürdig und für den Publikumsgeschmack der 1950er-Jahre erfunden, beispielsweise eine Liebesgeschichte zwischen Erich Gimpel und einer US-Bürgerin, mit der er für kurze Zeit das Appartement eines gemeinsamen Bekannten bezieht.

Die Relevanz des Falls Quirin im Streit der US-Juristen zu den verfassungsmäßigen Rechten klandestiner Gegner steht außer Frage. Der Fall Gimpel ist nicht ganz unwichtig, kam er 1945 doch deshalb nicht vor eine nicht gar zu sonderliche Sondergerichtsbarkeit, weil man damals die Norm, die der US-Präsident seit 1942 als Ermächtigungsgrundlage für solche Verfahren heranzog, nicht überstrapazieren wollte.

Erich Gimpels Erinnerungen sind bei aller Unzuverlässigkeit in manchem Detail für die aktuelle Diskussion doch ganz interessant, erzählen sie doch von der teils ungeheuren Inkompetenz, in der die deutschen Geheimdienste während des Zweiten Weltkriegs ihre Spionage in den USA betrieben. Ein Mann brauchte einen Hut, wenn er in den USA nicht auffallen wollte. Und Banknotenbündel mit Dollar-Scheinen umwickelt man besser nicht mit den Banderolen der Reichsbank.

Ein anderer Beobachter der deutschen Geheimdienste jener Jahre, Erich Kästner, blickte auf ein Verhör bei der Gestapo in Berlin weniger erschreckt als verwundert zurück: Wie Männer, die nicht erwachsen geworden seien und auf brutale Weise Karl-May-Romane nachspielen wollten, waren ihm die Herren vom Inlandsgeheimdienst erschienen.

Man weiß nicht, ob das Geschäft heute mit größerer Seriosität betrieben wird.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Erinnerungen eines Spions für Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16540 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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