2/2: Todesurteil, Rechts- und andere Folgen
Verkündet wurde Tschech das Urteil nach Aktenlage am 12. oder 13. Dezember 1844. Elisabeth Tschech, die sich in der Nacht vor der Hinrichtung ausführlich mit ihrem Vater aussprechen durfte, empört sich 1848 über die Wortwahl: Durch königliche Gnade war das Rädern zur Enthauptung mit dem Beil abgemildert worden. Ihre Schilderung dieser Nacht gehört in die Sprachen aller hinrichtungsfreudigen Länder übersetzt, vor allem jener, die das Töten von Staats wegen zur hygienisch vernünftigen Operation karikieren: Das Trauma der 20-jährigen Tochter kündigt sich in dieser Erzählung an. Derweil wird der selbstmörderische Charakter der Tat deutlich. Ein Bekenntnis der Reue, so klingt selbst bei der schwer vom Vater eingenommen Tochter an, hätte die Hinrichtung wohl abgewendet. Doch der Wunsch, den König als unrechten Herrscher zu sehen, machte Tschech diesen Akt des Selbsterhalts unmöglich.
Vollzogen wurde die Enthauptung am 14. Dezember bei der Festung Spandau, die Öffentlichkeit wurde vor allem durch Soldaten gestellt, die Identität des Verurteilten und seines Verbrechens erst jetzt bekannt gegeben. Das Ansehen des Königs litt gleichwohl.
Zu den weiteren Rechtsfolgen zählte die Verbannung der Tochter, Allgemeines Landrecht II., § 95: "Dergleichen Hochverräther werden nicht nur ihres sämmtlichen Vermögens und aller bürgerlichen Ehre verlustig; sondern tragen auch die Schuld des Unglücks ihrer Kinder, wenn der Staat, zur Abwendung künftiger Gefahren, dieselben in beständiger Gefangenschaft zu behalten, oder zu verbannen nöthig finden sollte." Elisabeth Tschech wurde über rund zwei Jahre bei einem evangelischen Pastor im westfälischen Kamen einquartiert, ihre Post von Geistlichen kontrolliert, die Lektüre von Zeitungen, die ohnehin der Vorzensur unterlagen, von diesem nochmals zensiert – von der geistigen Enge des evangelischen Pfarrhauses – siehe Ensslin, Stuckrad-Barre – ganz abgesehen.
Ein moralisches Urteil
Der Geistliche beklagte den Bau der rheinisch-westfälischen Eisenbahn, welche die Gottlosigkeit nach Kamen trage. Die junge Frau Tschech bestärkte sie im Gedanken zur Flucht. Ihr Buch über den schwierigen Vater erschien 1848, dem Revolutionsjahr, im Zentralgebiet für linksradikale Umtriebe, also in der Schweiz: Ihr Berner Verleger Friedrich Jenni versorgte das deutsche Publikum u.a. mit frühkommunistischen Schriften. Angegriffen wurde das Ansehen des regierenden deutschen Adels von der Schweiz aus derweil mit eher unterleibsbezogenen Arbeiten: Die populären Spekulationen über das angebliche Fürstenkind Kaspar Hauser wurden hier publiziert. Die Geschichte der Elisabeth Tschech gehört wohl in dieses Spektrum zwischen den Polen seriöser Justiz- und Herrschaftskritik sowie sentimentaler Kolportage.
Interessant am Fall des versuchten Königsmords bleiben: Erstens, die damals populäre Lust, ein Staatsoberhaupt zu töten. Die Berliner kannten bald Spottlieder ("Hatte je ein Mensch so’n Pech / wie der Bürgermeister Tschech, / dass er diesen dicken Mann / auf zwei Schritt’ nicht treffen kann!"). Zweitens, das Psychogramm des Täters: Unheimliche Kompromisslosigkeit verbunden mit der Lust, die Widrigkeiten des eigenen Lebens auf Missstände im Staat zu projizieren. Und schließlich, Preußen als unser eigener kleiner Orient, die Verbindung von beidem: Teils alberne, teils nachvollziehbare Kränkungen, die einen Menschen zum Selbstmord von der Hand des Henkers treiben, das überzogene Ehrempfinden gegenüber sich selbst und dem Herrscher. Findet man derlei in der deutschen Geschichte wieder, hält man sich im moralischen Urteil über die ähnlich absurden Ehr-Vorstellungen heutzutage vielleicht ein wenig zurück.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Rechtsgeschichten: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12686 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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